IM BLICKFELD

Brexit zwingt Versicherern Standortdiskussion auf

Von Thomas List, Frankfurt Börsen-Zeitung, 15.9.2017 Chubb, einer der großen weltweiten Industrie- und Personenversicherer, verlegt seinen europäischen Hauptsitz nach Paris und baut dafür seine dort bereits bestehende Niederlassung aus. Damit fügt...

Brexit zwingt Versicherern Standortdiskussion auf

Von Thomas List, FrankfurtChubb, einer der großen weltweiten Industrie- und Personenversicherer, verlegt seinen europäischen Hauptsitz nach Paris und baut dafür seine dort bereits bestehende Niederlassung aus. Damit fügt sich der Versicherer in die Riege der bald zwei Dutzend Branchenunternehmen ein, die in Großbritannien ihren (EU)- Hauptsitz haben und in der Zeit nach dem Brexit Ende März 2019 weiter in der EU präsent sein wollen. EU-Pass ist wegDenn eines ist auch jetzt schon klar: der EU-Pass, also der genehmigungsfreie Marktzugang in alle EU-Länder, geht den britischen Versicherern beziehungsweise Nicht-EU-Versicherern mit einer Tochtergesellschaft in Großbritannien ab Anfang April 2019 verloren – außer es wird in den laufenden Austrittsverhandlungen etwas anderes beschlossen. So könnte Großbritannien durch die Mitgliedschaft im Europäischen Wirtschaftsraum im Binnenmarkt verbleiben. Dieses Modell erscheint aktuell eher unwahrscheinlich.Alternativ können britische Versicherer eine bereits vorhandene Niederlassung in einem der 27 EU-Staaten in eine selbständige Tochtergesellschaft umwandeln oder, falls es dort eine solche Niederlassung nicht gibt, eine eigenständige Tochtergesellschaft in einem dieser Staaten gründen. Ist diese die Tochter von der jeweiligen nationalen Aufsichtsbehörde (in Deutschland der BaFin) zugelassen, so wäre damit der europäische Pass verbunden. Wie die BaFin der Börsen-Zeitung bestätigte, gab es bereits verschiedene Anfragen, und es werden mit einigen Versicherern bereits Zulassungsgespräche geführt. Namen werden allerdings nicht genannt.Bekannt ist allerdings aus einem Special Report der Ratingagentur A.M. Best, dass zwei Versicherer Brexit-bedingt ihre Präsenz hierzulande verstärken beziehungsweise begründen: Der US-Versicherer Markel, der bisher ein Büro in München hat, will dort eine Tochter aufbauen, und der Spezialversicherer Ironshore International will für sein M-&-A- sowie Steuerversicherungsgeschäft ein Büro in Frankfurt eröffnen (siehe Grafik). Beliebtester Standort für Brexit-Flüchtlinge ist allerdings bisher Luxemburg, gefolgt von Dublin.Auch wenn bisher noch gänzlich offen ist, wie die Brexit-Verhandlungen ausgehen werden: Wer weiterhin Geschäft in der EU machen will, sollte bald über die Art der Präsenz entscheiden. So rät die BaFin den Unternehmen, frühzeitig mit ihr Kontakt aufzunehmen, “da ein Zulassungsverfahren in der Regel – abhängig auch von der Qualität der Unterlagen und der Komplexität des Einzelfalls – längere Zeit in Anspruch nimmt”. Im April dieses Jahres hatte die britische Aufsicht Prudential Regulation Authority (PRA) neben Banken und Investmentgesellschaften auch Versicherer mit grenzüberschreitenden Aktivitäten aufgefordert, Notfallpläne für alle möglichen Brexit-Szenarien aufzustellen und einzureichen. Um ihre EU-Kunden weiterhin betreuen zu können, gehört zu den Notfallplänen britischer Versicherer auch die Gründung neuer EU-Töchter.Ein britischer Versicherer mit einer Tochter in einem anderen EU-Land kann diese zum freien Dienstleistungsverkehr in Deutschland anmelden (Notifikationsverfahren). Außerdem könnte diese Tochter hierzulande eine Niederlassung errichten, ohne ein komplettes Zulassungsverfahren durchlaufen zu müssen. “Eine Drittstaaten-Niederlassung in einem anderen EU-Land hat diese Möglichkeit allerdings nicht”, betont die BaFin. “Es müsste sich vielmehr um ein Versicherungsunternehmen mit Sitz in der EU handeln.”Inwieweit eine Tochtergesellschaft in dem anderen EU-Land “aufrüsten” muss, also zum Beispiel durch Anpassung des Geschäftsplans, müsse mit der dortigen Aufsichtsbehörde geklärt werden, schreibt die BaFin weiter. “Das Versicherungsgeschäft in Deutschland wird in einem solchen Fall jedenfalls von der Tochtergesellschaft in dem anderen Land betrieben und nicht etwa mit der Muttergesellschaft in Großbritannien.” Akzeptabler KontrollrahmenZur Frage, inwieweit diese EU-Tochter Teile an ihre britische Mutter beziehungsweise einen dortigen Dienstleister ausgliedern darf, schreibt die BaFin, dies könne in einem “aufsichtlich akzeptablen Kontrollrahmen” zulässig sein. Konkret müsse die BaFin durch effektive Einwirkungs- und Kontrollrechte den beauftragten Dienstleister beaufsichtigen und hierfür Zugang zu Informationen und, wenn nötig, Zugang zu den Geschäftsräumen des Dienstleisters erhalten können. Reine Briefkastenunternehmen ohne ordentlichen Geschäftsbetrieb und ohne Geschäftsführer vor Ort – eine Variante, die immer wieder diskutiert wird – will die BaFin nicht zulassen.Besteht hingegen nach dem Brexit keine Zulassung in Deutschland, wären die Versicherungsbestände abzuwickeln und könnten nicht mehr verlängert werden. Das bedeutet laut BaFin, dass britische Bestandsversicherungsverträge zivilrechtlich zunächst ganz normal weiterliefen, aber spätestens mit dem Ablauf ihrer regulären Vertragslaufzeit beendet sein müssten.