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Brüsseler Nachhaltigkeitsvorgabe weckt üble Erinnerung

Von Jan Schrader, Frankfurt Börsen-Zeitung, 17.12.2019 Die Zeit ist knapp: Bereits 2021 soll die geplante EU-Vorgabe wirksam werden, Nachhaltigkeit in die Wertpapierberatung aufzunehmen. Dann müssen Banken und Finanzvermittler im Vertrieb von Fonds...

Brüsseler Nachhaltigkeitsvorgabe weckt üble Erinnerung

Von Jan Schrader, FrankfurtDie Zeit ist knapp: Bereits 2021 soll die geplante EU-Vorgabe wirksam werden, Nachhaltigkeit in die Wertpapierberatung aufzunehmen. Dann müssen Banken und Finanzvermittler im Vertrieb von Fonds und Wertpapieren den Anleger auf Nachhaltigkeitskriterien in der Geldanlage ansprechen – und die passenden Produkte im Köcher haben.Zwar besitzen Privatleute bisher nur selten nachhaltige Finanzprodukte, die Umwelt-, Sozial- und Governance-Kriterien (ESG) berücksichtigen. Doch Umfragen deuten auf eine hohe Bereitschaft hin. Die Fondsbranche lanciert neue Nachhaltigkeitsfonds und steuert im Vertrieb allmählich um (siehe Grafik). In Kürze will der EU-Gesetzgeber die Finanzmarktrichtlinie Mifid II per Verordnung ergänzen, um die Frage nach der Nachhaltigkeit im Verkaufsgespräch zu verankern.Offen ist bislang, welche Produkte als “nachhaltig” klassifiziert werden können, sobald der Anleger Interesse signalisiert. Die Deutsche Kreditwirtschaft als Vertretung der Banken und Sparkassen, der Deutsche Derivate Verband (DDV) und der deutsche Fondsverband BVI arbeiten derzeit an einem Konzept, das drei Definitionen von Nachhaltigkeit vorsieht: Erstens gewöhnliche ESG-Produkte, die etablierte Konzepte wie den Ausschluss unethischer Geschäftsfelder oder die Auswahl der jeweils vorbildlichsten Unternehmen je Branche verfolgen, zweitens eine Kategorie für wirkungsorientierte Fonds und Wertpapiere (Impact Investing). Darüber hinaus planen die Verbände als dritte Variante eine abgespeckte ESG-Version, die mehr Nachhaltigkeit als gewöhnliche Fonds und Wertpapiere bieten soll, aber hinter den Standards von Produkten mit dezidierter ESG-Strategie zurückbleibt. Entsprechende Pläne hatte der Fondsverband BVI im November im Newsletter “Fonds & Finanzen” der Börsen-Zeitung skizziert. Viele Köche, viele RezeptideenGegenwind droht den Verbänden aus Berlin: Der Sustainable-Finance-Beirat der Bundesregierung wird, sofern es keine Verzögerung gibt, bereits Ende Januar oder Anfang Februar einen Bericht vorlegen. So diskutieren die Experten über verpflichtende Weiterbildungsstandards für Vertriebsmitarbeiter, um einheitliche Regeln in der Beratung zu schaffen. Diese sollen möglichst unabhängig von bestimmten Produkten gelten, wie Angela McClellan, Geschäftsführerin der Initiative Forum Nachhaltige Geldanlagen (FNG), unterstreicht. Die Expertin gehört dem Nachhaltigkeitsbeirat an und ist dort für das Thema “Endkunden und Bildung” zuständig.Außerdem erwägt der Beirat eine eigene Klassifizierung von Nachhaltigkeitsprodukten. Ziel müsse eine Balance aus Qualitätssicherheit und Breitenwirkung sein, also der Strenge der Kriterien und einer Tauglichkeit im Massengeschäft. McClellan: “Es ist sehr wahrscheinlich, das sich der Beirat hier noch positionieren wird.” Von einer Einigung allerdings ist der Beirat offenbar noch entfernt. Auch ist nicht klar, ob die Bundesregierung etwaige Vorschläge des Beirats übernehmen wird.Gleichwohl wird das Gremium, das 38 Experten umfasst, seit Gründung im Juni von Verbänden der Finanzbranche skeptisch betrachtet. Zwar gehören dem Beirat zahlreiche Vertreter der Finanzbranche an, etwa von Deutscher Bank und Deutscher Börse, Allianz und Münchener Rück, Deka Investment und Union Investment. Die Verbände sind allerdings nur als Beobachter zugelassen, während Vertreter aus Nichtregierungsorganisationen wie Finanzwende, Südwind, Urgewald und WWF als vollwertige Mitglieder eingebunden sind. Die SPD-geführten Bundesministerien für Umwelt und für Finanzen haben dem Beirat einen politischen Auftrag erteilt: Deutschland soll “führender Standort für nachhaltige Finanzen” werden. Das riecht nach mehr Regulierung.Ein Streitpunkt dürfte die Offenlegungsverordnung sein, die unter anderem Transparenzvorgaben für Finanzprodukte machen soll. Die Verordnung wurde vor wenigen Tagen im Amtsblatt der Europäischen Union veröffentlicht, muss aber noch von der EU-Aufsicht im Detail ausgearbeitet werden, ehe sie im März 2021 in Kraft tritt. Die dritte, abgespeckte ESG-Variante der deutschen Verbände wird dabei nicht an die Kategorisierung der Verordnung anschließen, wie der BVI erläutert. Der Nachhaltigkeitsbeirat hingegen könnte mit seinen Vorschlägen über die Verordnung hinausgehen, wie die Expertin McClellan sagt. Auch Europa mischt mitDritter Akteur schließlich ist die europäische Branche: Das Gremium Findatex, in dem Europas Branchenverbände sitzen, sieht für die ESG-Klassifizierung bisher nur ein Datenfeld vor, wie aus der aktuellen Version für das sogenannte dritte “European Mifid Template” (EMT) hervorgeht. Bliebe es dabei, müssten sich deutsche Adressen auf eine separate Klassifizierung für den Vertrieb in vielen anderen EU-Staaten einlassen, während einige ESG-Anbieter aus dem Ausland hierzulande womöglich aus dem Raster fielen.Mancher fühlt sich bereits an Ende 2017 erinnert, als aus Europa erst kurz vor Einführung der Mifid-Vorgaben Anfang 2018 mit dem Template ein weiteres Datenformat eingeführt wurde. Damals hatte sich die deutsche Branche längst auf ein Format geeinigt, kurz vor Toreschluss kam somit erneut Hektik auf. Nun droht eine weitere Runde im Regulierungszirkus.