Carney keift zurück

Britischer Notenbankchef warnt Brüssel vor ungeordnetem Brexit

Carney keift zurück

Der britische Notenbankchef Mark Carney hat die Vorlage des halbjährlichen Finanzstabilitätsberichts dazu genutzt, noch einmal die Bedeutung des Finanzplatzes London für Europa herauszustreichen.hip London – Der britische Notenbankchef Mark Carney hat die Bedeutung des Vereinigten Königreichs als Finanzzentrum Europas bei der Vorlage des ersten Finanzstabilitätsberichts seit dem EU-Referendum noch einmal klargemacht. Zuvor hatte der niederländische Finanzminister Jeroen Dijsselbloem gedroht, London könne diese Rolle infolge des Brexit verlieren. EZB-Chef Mario Draghi gab den Briten zu verstehen, sie würden unter der Scheidung am meisten zu leiden haben. “Großbritannien ist gewissermaßen der Investmentbanker Europas”, sagte der Kanadier, der seit 2013 an der Spitze der Bank of England steht. Für Firmen aus der EU sei dies von entscheidender Bedeutung. “Es ist völlig im Interesse der Europäischen Union, dass es zu einem ordentlichen Übergang kommt und ununterbrochener Zugang zu diesen Dienstleistungen besteht.”Premierministerin Theresa May will den Austrittsprozess bis Ende März 2017 durch Inanspruchnahme von Artikel 50 des Vertrags von Lissabon in Gang setzen. Nach zwei Jahren würde dann – zumindest theoretisch – der Austritt folgen. Reges EmissionsgeschäftBritische Firmen sind an mehr als der Hälfte der Aktien- und Anleiheemissionen von Unternehmen aus der EU beteiligt, wie dem Finanzstabilitätsbericht zu entnehmen ist. Sie verschafften ihnen auch Zugang zu Hedging-Instrumenten. Mehr als drei Viertel des europäischen Geschäfts mit Währungs- und nicht börsengehandelten Zinsderivaten finden in Großbritannien statt. “Veränderungen der Handelsbeziehungen zwischen dem Vereinigten Königreich und der Europäischen Union könnten erfordern, dass Firmen ihr Geschäft und die Dienstleistungen, die sie anbieten, verändern”, heißt es in dem halbjährlich erscheinenden Dokument. “Wenn solche Veränderungen in einem kurzen Zeitrahmen stattfinden, könnte ein größeres Risiko bestehen, dass Dienstleistungen für die europäische Realwirtschaft zum Erliegen kommen, was wiederum über Handels- und Finanzbeziehungen Rückwirkungen auf die britische Wirtschaft haben könnte.” In der Übergangszeit könne auch die Liquidität am Markt unter Druck geraten. Jede Veränderung der bestehenden Arrangements könne Auswirkungen auf die Aktivität an Börsen und anderen Handelsplätzen haben. Auch Auswirkungen auf die Market-Making-Tätigkeit von Intermediären seien denkbar, wenn diese ihre Geschäftsmodelle anpassen.Kurzfristig stehen neben den steigenden Anleiherenditen und der hohen Verschuldung der Volksrepublik China kontinentaleuropäische Themen auf der Watchlist der Stabilitätshüter: “Das anstehende Referendum in Italien und Wahlen in einer Reihe von europäischen Ländern werden die Unsicherheit in den kommenden Monaten weiter erhöhen”, heißt es in dem Bericht.Die Preise für Gewerbeimmobilien seien seit dem Brexit-Referendum um 2,6 % zurückgegangen. Der Markt zeige Zeichen der Stabilisierung. Die meisten offenen Immobilienfonds, die mangels Liquidität schließen mussten, nähmen wieder Anteile zurück oder wollen die Pforten bis zum Jahresende wieder öffnen. Allerdings bestehe angesichts der großen Abhängigkeit von Kapitalzuflüssen aus dem Ausland und der in manchen Segmenten hohen Bewertungen das Risiko einer weiteren Korrektur. Die Aktivität am Markt habe sich stark verlangsamt. Das Volumen der im dritten Quartal getätigten Transaktionen habe um 27 % unter Vorjahresniveau gelegen. In einigen Fällen hätten Fonds Objekte zu einem “wesentlichen Abschlag” auf die Bewertung vor dem Referendum veräußert, um Anleger auszahlen zu können. Es gebe bislang keine Anzeichen dafür, dass die Probleme am Gewerbeimmobilienmarkt Unternehmen, die meist Firmengebäude als Sicherheiten hinterlegen, den Zugang zu Krediten erschweren.