SERIE: FINANZPLÄTZE UND IHRE ZUKUNFT (25)

China lockt globale Investoren

Finanzmarktöffnung als Schutzschild im Handelsstreit mit den USA - Schanghai punktet gegenüber Hongkong

China lockt globale Investoren

Von Norbert Hellmann, SchanghaiChinas jahrzehntealtes Bestreben, den Finanzplatz Schanghai in der internationalen Liga anzusiedeln, hat neue Dringlichkeit erhalten. Nicht nur, weil der Zeitrahmen des vor zehn Jahren beschlossenen Aktionsplans “Shanghai International Financial Centre 2020” sich dem Ende zuneigt, sondern auch wegen des erbitterten Handelsstreits mit den USA.An der Frage, ob es gelungen ist, Schanghai als führendes asiatisches Finanzzentrum zu etablieren, das in einem Atemzug mit New York und London genannt werden muss, scheiden sich die Geister. Zweifelsohne hat Schanghai in den vergangenen Jahren mächtig aufgeholt, was sich auch in dem gerade veröffentlichten Finanzplatz-Ranking des Londoner Think-Tanks Z/Yen Group und des China Development Institute widerspiegelt. In der neuesten Auflage des halbjährlich erscheinenden “Global Financial Centres Index” wird Schanghai tatsächlich erstmals überhaupt hinter New York und London auf Platz 3 geführt. Damit wurden Tokio, Hongkong und Singapur auf die Plätze 4 bis 6 verwiesen. Doch das Ranking stellt mehr auf die Größe eines Finanzplatzes als auf seine Internationalität ab. Zudem ist der Abstand zu London und New York groß, die Distanz zu den asiatischen Wettbewerbern hingegen hauchdünn.In China selbst ist man sich bewusst, dass es noch eine Menge Defizite zu beheben gilt: Hohe Markteintrittsbarrieren für ausländische Finanzinstitute, weitreichende Restriktionen im Kapitalverkehr, die eher schwache Rolle des chinesischen Yuan im Weltwährungskonzert, vor allem aber das Fehlen eines transparenten und unabhängigen Rechtssystems, auf das Hongkong bislang bauen konnte. Nicht gerade kleine Hürden also. Öffnung in TrippelschrittenEs mangelt den Wirtschaftsplanern Chinas an der Bereitschaft, sich von der seit drei Jahrzehnten gepflegten Maxime einer in erster Linie behutsamen Öffnung zu verabschieden. Einen “Big Bang”, wie ihn die Londoner City in den 1980er Jahren erlebte, wird es unter der Ägide der Kommunistischen Partei nicht geben. Die Liberalisierung des Finanzmarktes erfolgt vielmehr in Trippelschritten, deren Kadenz sich jedoch in diesem Jahr spürbar erhöht hat. Maßgeblich dazu beigetragen haben dürfte, auch wenn man das in Peking nicht gerne hört, der Druck durch den epochalen Handelsstreit mit den USA. InteressenkonfliktPeking steht vor einem Interessenkonflikt: Einerseits trachtet der Finanzplatz nach einer globalen Rolle und bemüht sich daher um Reformen. Ausländische Investmentbanken und Fondsgesellschaften sind eingeladen, ausländisches Kapital, Management-Know-how, Erfahrung und Innovationen nach China zu schleusen, um den Wettbewerb zu beleben und die heimische Finanzbranche auf eine neue Qualitätsstufe zu hieven. Andererseits gilt es aber zu verhindern, dass versierte Player aus dem Ausland den heimischen Adressen allzu große Marktanteile abjagen. Einer tief sitzenden Angst wegen hat sich China bei der Aufnahme in die WTO im Jahr 1996 Ausnahmeregelungen bei der Öffnung des Finanzmarkts ausbedungen, die bis heute weiterwirken.Ein weiterer Grund für die Verzögerungstaktik ist die Gewissheit, dass der von den USA und der Europäischen Union immer wieder geforderten Marktzugang zum chinesischen Finanzsektor ein wichtiges Faustpfand ist, um handelspolitische Gegenleistungen zu erstreiten. Das erklärt, warum man sich just in diesem Jahr so manchen Ruck gegeben hat. Die Zugeständnisse an die Forderungen Washingtons und der Wall Street waren ein wichtiger Baustein, um den im Januar geschlossenen sogenannten Phase-1-Deal in der handelspolitischen Auseinandersetzung mit den USA zu ermöglichen.Die Coronakrise und die dadurch bedingte Verschärfung der Konflikte mit den USA und anderen Ländern rückt das Thema einer drohenden wirtschaftlichen Entkoppelung Chinas von der westlichen Welt zunehmend in den Vordergrund. Vor diesem Hintergrund schmiedet die Staatsführung neue wirtschaftspolitische Konzepte.Der Fokus richtet sich verstärkt auf den sogenannten internen Kreislauf, von dem man sich die Stärkung der Binnennachfrage und eine technologische Aufholjagd verspricht. Auf diese Weise soll das wirtschaftliche Gedeihen Chinas unabhängiger gemacht werden von US-Technologie-Restriktionen und Handelsattacken.Das wirft die Frage auf, ob es im chinesischen Interesse wäre, die Finanzmärkte unabhängiger zu machen von ausländischen Einflüssen und sich nach dem Vorbild des international wenig integrierten japanischen Kapitalmarkts weitgehend auf die heimischen Finanzkräfte zu verlassen. Die Antwort ist ein klares Nein. Die chinesischen Wirtschaftsplaner und Regulatoren sehen das Finanzmarktgeschehen vielmehr als Teil eines externen Kreislaufs an, der sogar explizit gestärkt werden muss, um die Fokussierung auf wirtschaftliche Binnenkräfte nicht zu kompromittieren. USA träfen sich selbst Diese etwas akademische Diskussion mündet in einer griffigen realpolitischen Handlungsmaxime: Größere und offenere chinesische Finanzmärkte, die viele ausländische Investoren, insbesondere aus den USA, anziehen, gelten als Schutzwall gegen einseitige Attacken der US-Regierung. Je größer das Engagement ausländischer Finanzinstitute, desto stärker träfen die von manchen Hardlinern in den USA geforderten Sanktionen auch die US-Finanzbranche. Furcht vor IsolierungDahingehend hat sich auch der einflussreiche Expertenkreis China Finance 40 Forum positioniert. Die darin vertretenen Finanzfachleute und -regulatoren plädieren für Reformen und eine beherztere Öffnungspolitik, um es der US-Regierung zu erschweren, China über eine Entkopplung der Finanzmärkte zu isolieren. Bei diesen Überlegungen schwingt die Furcht davor mit, dass die Vereinigten Staaten bei einer weiteren Eskalation des Wirtschaftskonfliktes die “nukleare Option” ziehen könnten und China den Zugang zum US-Finanzsystem und damit auch zum Dollarkreislauf zu verwehren, was die chinesischen Banken und Wertpapierhäuser auf internationaler Ebene ins Abseits drängen würde.Trotz des Handelsstreits mit den USA, der Warenverkehr und Lieferketten schwer beeinträchtigen mag, sind ausländische und insbesondere amerikanische Investoren in China daher willkommener denn je. Auch dank der Aufnahme des Yuan in den Kreis der internationalen Reservewährungen des Internationalen Währungsfonds IWF gelingt es immer besser, Staatsfonds und andere große institutionelle Anleger in Chinas Aktien- und Bondmärkte zu locken (siehe Grafik).Laut Reuters-Daten halten ausländische Investoren aktuell etwas mehr als 9 % des 1,6 Bill. Yuan (rund 200 Mrd. Euro) schweren Marktes für chinesische Staatsanleihen. Dazu kommen zwischen 4 und 5 % an dem etwa halb so großen Markt für Anleihen der drei großen Förderbanken China Development Bank, Export Import Bank of China und Agricultural Development Bank of China. Der Anteil des von Auslandsinvestoren gehaltenen Free Floats der sogenannten A-Aktien auf dem chinesischen Festland, der sich auf rund 1,65 Bill. Yuan oder rund 203 Mrd. Euro summiert, beläuft sich laut einem Researchbericht der UBS auf 7,3 %.Einen maßgeblichen Beitrag zur steigenden Bedeutung ausländischer Investoren an den chinesischen Kapitalmärkten leistet die auch von ihrer Assetmanagement-Klientel mitgetragene Entscheidung führender Indexanbieter wie MSCI, FTSE Russell, J.P Morgan und Bloomberg Barclays, in Yuan denominierte Bonds und A-Aktien in die globalen Benchmark-Indizes aufzunehmen. Dies hat dank des Siegeszuges von Indexzertifikaten und anderen passiven Anlageprodukten eine enorme Sogwirkung.Mit einer Reihe von Öffnungsschritten haben sich in diesem Jahr aber auch Chinas Wirtschaftsplaner und Finanzregulatoren einen Ruck gegeben. So wurden etwa Beteiligungsgrenzen gelockert und die tückische Einschränkung für Auslandsbanken, nur in Kooperation mit einer heimischen Adresse auf dem chinesischen Markt aktiv werden zu dürfen, entfiel. Ausländische Banken, Versicherer und Wertpapierhäuser können seither einen eigenständigen Marktauftritt nutzen, um an den Wachstumsaussichten teilzuhaben (siehe Grafik). Lizenzen zügig nutzen Den angesichts des sich viele Jahre lang hinziehenden Öffnungstempos Kummer gewöhnten ausländischen Investmentbanken ist klar, dass sich selbst ein bescheidenes Entree in dem riesengroßen Markt läppern kann. Bereits im April wurden die Beteiligungsgrenzen für ausländische Wertpapierhäuser und Investmentbanken im chinesischen Markt gelockert. Nachdem sich die Joint Ventures der großen amerikanischen und europäischen Häuser ausnahmslos als konfliktträchtig und wenig profitabel erwiesen haben, geht es für Goldman Sachs, J.P. Morgan Chase, Blackrock, UBS und viele andere nun vor allem darum, neue Lizenzen für das Brokergeschäft und Assetmanagement ohne weitere regulatorische Hindernisse zügig zu nutzen.Der schrittweise Abbau von Marktbarrieren und Anteilsbeschränkungen erlaubt es auch ausländischen Lebensversicherern, Optionshändlern sowie Anbietern von Publikumsfonds, ihr China-Geschäft eigenständig aufzuziehen oder Mehrheitsbeteiligungen an lokalen Adressen einzugehen. Ausländische Player können zudem in allen Segmenten des chinesischen Bondmarktes als Underwriter fungieren und Vermögensverwaltungsfirmen, Pensionsfondsmanager, und auch Interdealer-Broker übernehmen. Zudem dürfen ausländische Banken sich bei chinesischen Kreditinstituten einkaufen und sie sogar ganz übernehmen, was in einem fast vollständig staatlich kontrollierten Bankensystem freilich eine eher theoretische Option darstellt. Perspektiven am Star MarketAngesichts der Belastung des Offshorezentrums Hongkong durch das umstrittene chinesische Sicherheitsgesetz steigt die Attraktivität Schanghais für ausländische Finanzinstitute, die Steuerungsaktivitäten für das wachstumsträchtige Fonds- und Wertpapiergeschäft zunehmend dorthin verlagern. Die chinesische Regierung wiederum beeilt sich, den erschwerten Bedingungen am Hongkonger Markt neue Perspektiven auf dem Festland entgegenzusetzen. Im Vordergrund steht dabei das Geschäft mit Börsengängen chinesischer Technologieunternehmen, die mit dem Star Market in Schanghai eine neue, deregulierte IPO-Bühne nach dem Vorbild der US-Technologiebörse Nasdaq vorfinden.Der vor dem mutmaßlich größten Börsengang der Welt stehende Zahlungsdienstleister Ant Financial steuert in wenigen Wochen neben der Hongkonger Börse und dem Shanghai Star Market auch den Star Market an. Die Tatsache, dass Schanghai erstmals gleichberechtigt als Schauplatz für die Aufnahme festlandchinesischen wie auch internationalen Kapitals antritt, kommt einem Ritterschlag für die aufstrebende Finanzmetropole gleich. Zuletzt erschienen: “Wir sind wie eine spezialisierte Werkstatt” (26. September) Herausfordererbörsen attackieren Nyse und Nasdaq (24. September)