„Compliance hatte keine besondere Stellung“
sck München
Im Strafprozess um die Bilanzfälschungen beim pleitegegangenen Zahlungsabwickler Wirecard hat vor dem Landgericht München I eine Zeugin ausführlich über Missstände im Konzern bei der Einhaltung und der Kontrolle von Regeln berichtet. „Compliance hatte bei Wirecard keine besondere Stellung“, sagte Christine Ahlfeld in ihrer Befragung durch den Vorsitzenden Richter Markus Födisch. Die frühere Mitarbeiterin des Unternehmens führte an, dass für die Compliance-Themen bei Wirecard nur sie selbst und ein Kollege zuständig gewesen seien. Letzterer aber ihrer Aussage nach nur zu einem Drittel. Dieser sei nämlich überwiegend in Rechtsfragen tätig gewesen, erklärte die 41-jährige Juristin.
„Recht und Compliance sollten immer getrennt sein“, führte Ahlfeld aus. Das sei erst im Herbst 2019 geschehen, also ein dreiviertel Jahr vor dem Zusammenbruch des einstigen Dax-Mitglieds im Frühsommer 2020 nach den aufgedeckten mutmaßlichen kriminellen Machenschaften und dem verweigerten Testat des langjährigen Abschlussprüfers EY. Zur Erinnerung: Im Herbst 2019 beauftragte der Aufsichtsrat unter Leitung von Thomas Eichelmann den Wirtschaftsprüfer KPMG mit einer Sonderuntersuchung. Anlass waren damals abermalige konkrete Vorwürfe der „Financial Times“ über eine vorsätzliche unrichtige Darstellung der Bilanzen. Dabei ging es um das sogenannte Drittpartnergeschäft (TPA) in Asien, welches sich später als groß angelegte Luftbuchung herausstellte.
„Für Mitarbeiter ein Schock“
„Es war für jeden normalen Mitarbeiter ein Schock, dass es dieses Geschäft nicht gab“, sagte die Zeugin. Unter Verweis auf frühere Kollegen gab sie vor der Vierten großen Wirtschaftsstrafkammer des Landgerichts an, dass Wirecard ohne diese TPA-Aktivitäten „defizitär“ gewesen wäre. Allerdings räumte Ahlfeld ein, während ihrer Tätigkeit bei Wirecard sich selbst darüber gewundert zu haben, dass Oliver Bellenhaus im operativen Geschäft hausintern der einzige Ansprechpartner für TPA gewesen ist. „Der wusste alles zu dem Thema.“ Der frühere Statthalter des Konzerns in Dubai legte vor Gericht ein umfangreiches Geständnis ab. Dabei beschuldigte der Kronzeuge der Staatsanwaltschaft München I mehrmals den Hauptangeklagten, Ex-Vorstandschef Markus Braun. Neben diesen beiden Personen ist auch Ex-Konzernchefbuchhalter Stephan von Erffa angeklagt. Braun streitet die Tatvorwürfe ab. Die Strafermittler werfen dem Trio unter anderem gewerbsmäßigen Bandenbetrug vor.
Ahlfeld zufolge hätten im Juni und Juli 2020 hausinterne Untersuchungen die Beschuldigungen bestätigt, dass dieses TPA-Geschäft nicht existierte. „Wir stellten fest, dass es Dateien von echten Zahlungstransaktionen mit kopierten Processing-Transaktionen über den Standort Dubai gab, von denen andere Personen nichts wussten.“ Die Zeugin bezog sich dabei auf Nachkontrollen von Unterlagen, als sich Wirecard bereits unter der Regie des Insolvenzverwalters Michael Jaffé befand. Gegenüber dessen Kanzlei mussten die verbliebenen Wirecard-Konzernmitarbeiter, darunter auch Ahlfeld, nach ihrer Aussage „Vertrauen aufbauen“. Auch diese gefälschten Zahlungsvorgänge während der Sonderprüfung von KPMG räumte Bellenhaus zuvor vor Gericht ein.
„Kommunikationsintern sind die genannten TPA-Händler nicht aufgetaucht. Wir haben da nichts gefunden“, sagte Ahlfeld unter Bezug auf eine seinerzeit von KPMG zur Verfügung gestellte Händlerliste. „Die Verträge im TPA-Bereich gingen nicht über die Rechtsabteilung. Das war auch so bei den Beraterverträgen, die Jan Marsalek abschloss.“ Normalerweise hätten solche geschäftlichen Dokumente von dem dafür zuständigen Konzernbereich paraphiert werden müssen, so die Zeugin. Letzteres sei erstmals im Frühjahr 2020 geschehen. Der frühere Wirecard-Vorstand Marsalek befindet sich seit dem aufgeflogenen Bilanzskandal auf der Flucht. Medienberichten zufolge soll er sich in Russland versteckt halten. Ahlfeld zufolge hat er während der KPMG-Prüfung „Widerstand“ geleistet. Marsalek habe dabei wiederholt auf EY verwiesen. Dadurch sei die Herausgabe von angeforderten Dokumenten erschwert worden. „Es war extrem schwierig, an Unterlagen heranzukommen“, schilderte sie.