Gastbeitrag

Corona-Pandemie, Ukraine-Krieg und M&A

Angesichts des Ukraine-Krieges und der Corona-Pandemie spricht vieles dafür, dass sich der M&A-Markt im ersten Halbjahr 2022 nicht nur schüttelt, sondern wirklich verändert.

Corona-Pandemie, Ukraine-Krieg und M&A

In den letzten 25 Jahren haben gerade einmal zwei weltweite Wirtschafts- und Finanzkrisen den M&A-Markt nach jeweils so nicht gekannten Höhenflügen – von der Forschung „Wellen“ genannt – zurückgeworfen: das Platzen der Dotcom-Blase Anfang 2000 und die Finanzkrise ab 2008. Beide Ereignisse waren dabei mit den Gründen des vorigen Aufschwungs eng verbunden, die New Economy mit ihren Hunderten von Börsengängen allein in Deutschland in den 1990er Jahren und die erste goldene Blütezeit von Private Equity in den 2000er Jahren. Der Neue Markt brach zusammen, weil rote Zahlen auf Dauer nicht funktionieren, und die Finanzkrise hatte ihre zentrale Ursache in der Fremdfinanzierung/dem Leverage auf nicht nachhaltige Geschäftsmodelle.

Wie ein Meteoriteneinschlag

Doch in den letzten 24 Monaten wurde der M&A-Markt durch die Corona-Pandemie und den Ukraine-Krieg erstmals mit zwei Ereignissen konfrontiert, die ihn so wie auch die Wirtschaft und Gesellschaft von außen quasi wie ein Meteoritenschlag getroffen haben. Umso überraschender, dass sich die Folgen aus heutiger Sicht völlig unterschiedlich auswirken. Der erste Corona-Lockdown ab März 2020 führte dazu, dass der bis dahin seit Jahren stabile Markt für Unternehmensübernahmen für ein Quartal quasi in den Standby-Modus wechselte. Transaktionen wurden gestoppt, Bewertungen hinterfragt, und bei der Gestaltung von Unternehmenskaufverträgen kamen plötzlich Themen wie Earn out oder Rücktrittsklauseln = Material Adverse Change Clauses auf den Tisch, die im Boom in Deutschland und Europa weitgehend verschwunden waren.

Doch dann geschah das Überraschende: Schnell wurde deutlich, dass bestimmte, vor allem Online-Geschäftsmodelle in einer Pandemie sogar besser funktionieren. Dies führte nicht nur zu einem Innovationsschub, sondern parallel stiegen Bewertungen für in der Krise stabile und vor allem dynamisch wachsende Unternehmen. Selbst in einer Zeit, in der man kaum Lust hatte, an Flughäfen, der Kö oder der Goethestraße zu shoppen, entwickelten sich Luxusmarken prächtig. Hinzu kam eine so – zumindest in Deutschland – noch nicht gesehene Zunahme von Unicorns, was auch den Markt für Börsengänge im letzten Jahr beeindruckend belebte.

All dies kumulierte im vierten Quartal 2021, und es gab gute Gründe, darüber nachzudenken, inwieweit eine Pandemie zu einer M&A-Welle führen könnte. Auch die Aussichten für 2022 waren aus der Sicht aller Beobachter blendend. Doch dann kam der 24. Februar 2022. Seit 1945 wurde noch niemals ein derartig großflächiger und brutaler Angriffskrieg in Europa geführt. Die Konflikte im ehemaligen Jugoslawien lassen sich damit nicht ansatzweise vergleichen, und hinzu kommt die nicht nur latente Bedrohung durch Massenvernichtungswaffen, die wir im „Westen“ so seit 1989 ebenfalls nicht mehr kannten. Natürlich, seit 1945 gab es zahlreiche und auch lang dauernde Kriege, doch auf die Weltwirtschaft, das Geschäft mit M&A – und das soll nicht zynisch klingen – hatten diese keine signifikanten Auswirkungen. Selbst 9/11 und die folgenden Interventionen in Afghanistan und dem Irak haben die sechste M&A-Welle, die von Private Equity getragen wurde und parallel begann, nicht beeinträchtigen können.

Krieg und M&A, da schien kein Zusammenhang zu bestehen. Doch dies ist jetzt anders. Zwei Ebenen sind klar zu unterscheiden: M&A mit Bezug zu Russland und der weltweite M&A-Markt während der russischen Invasion.

Dabei sind trotz der beeindruckenden russischen Devisen-Reserven grenzüberschreitende Unternehmensübernahmen mit russischen Beteiligten seit 2014 weitgehend unbedeutend. Die Annexion der Krim und die damals bereits verhängten Sanktionen haben Deals für internationale Akteure unattraktiv gemacht.

Massiv verschärfte Kontrolle

Ebenfalls seit 2014 und noch einmal unter anderen Vorzeichen seit Anfang 2020 wurde darüber hinaus die Außenwirtschaftskontrolle in allen Mitgliedstaaten der EU und darüber hinaus massiv verschärft. Auch dies hat Transaktionen zunehmend schwieriger, teurer und damit unwahrscheinlicher ge­macht. In den letzten Tagen kommt noch ein weiterer wichtiger Faktor dazu: Die großen internationalen Rechtsanwaltskanzleien haben alle angekündigt, ihre Büros in Moskau oder Sankt Petersburg zu schließen. Selbst wenn man also eine Transaktion, die nicht sanktionsbewehrt wäre, durchführen möchte, fehlt es den Beteiligten nunmehr an be­währten Beratern. Hinzu kommt, dass im Hinblick auf Geldwäsche, Ultimate Benificial Owner etc. und angesichts des starken und teilweise auch informellen Staatseinflusses vielfach schwer rechtsverbindlich abzuklären ist, ob ein Unternehmen oder ein Unternehmer unter die darüber  verschärften Sanktionsregime fällt. Doch ganz abgesehen von dieser rechtlichen Unsicherheit kommen die derzeit vollständig unkalkulierbaren Reputationsrisiken für Geschäftsaktivitäten in oder mit Russland hinzu. All dies wird dazu führen, dass Transaktionen mit russischen Beteiligten noch einmal signifikant zurückgehen, wahrscheinlich überhaupt keine Rolle mehr auf dem internationalen M&A-Markt spielen werden. Weiter besteht sogar die Gefahr, dass Geschäftsaktivi­täten in Russland, wie etwa Zweigniederlassungen oder Joint Ventures, im Prinzip nicht russische M&A-Transaktionen in Frage stellen. Technisch ist dies ein lösbares Problem, man kann das Geschäft in Russland abspalten – quasi aus der Transaktion herausnehmen –, um damit Genehmigungen der derzeit schwer berechenbaren nationalen Kartell- und Außenwirtschaftsbehörden „aus dem Spiel“ zu nehmen. Dies ist eine Taktik, die in der Vergangenheit bei „schwierigen Jurisdiktionen“ funktioniert hat.

Das eigentliche Problem für den M&A-Markt in den nächsten Monaten ist aber, wie er auf die Vielzahl von „negativen“ äußeren Einflüssen reagiert. Die Pandemie ist ja nicht verschwunden, schon vor dem Krieg stieg die Inflationsrate signifikant an, und jetzt kommen Unterbrechungen von Lieferketten, massive Preiserhöhungen etwa bei Energie oder Getreide und steigende Zinsen hinzu.

Entscheidender Unterschied

Insoweit ist der entscheidende Unterschied zu März 2020, dass es jetzt nicht „nur“ darum geht, mit einer so nicht bekannten weltweiten Pandemie umzugehen, sondern mit der Frage, wie und ob Unternehmensübernahmen und Börsengänge angesichts einer vielfältigen Unsicherheit der richtige Weg sind. Dabei waren gerade die zahlreichen ökonomischen und politischen Börsengänge von Spacs über große Strategen wie Daimler Trucks bis zu spannenden Unicorns das Salz in der Suppe des M&A-Markts 2021. Dabei werden viele daran denken, dass gerade Transaktionen, die kurz vor dem Lehman-Crash durchgeführt wurden, aus heutiger Sicht besonders wenig erfolgreich waren. Die Frage ist: Ist der M&A-Markt jetzt „nur“ in einem Standby-Modus oder aber stehen wir vor einem grundlegenden Einschnitt, einer Veränderung? Wie also funktionieren Innovation und externes Wachstum im Zeitalter eines Krieges, an den wir seit 1945 nicht mehr glauben wollten? Vieles spricht dafür, dass sich der M&A-Markt im ersten Halbjahr 2022 nicht nur schüttelt, sondern wirklich verändert.

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