CRAs greifen Nachhaltigkeitstrend auf

Eine nachhaltige Zukunft aufbauen und potenzielle Umwelt- und Sozialkrisen vermeiden

CRAs greifen Nachhaltigkeitstrend auf

Svetlana GrishankovaManaging Director bei RAEX-EuropeIn den letzten Jahren haben verantwortungsvolles Handeln und nachhaltige Finanzierung erheblich an Bedeutung gewonnen. Bei den meisten Investoren, allen voran institutionellen, müssen potenzielle Anlagegelegenheiten nicht nur die gewünschten Rentabilitätsmerkmale und ein niedriges Ausfallrisiko aufweisen, sondern auch auf transparente und detaillierte Weise Verpflichtungen zu verantwortungsvollem Handeln und nachhaltiger Entwicklung darlegen. Klassische Kreditratingagenturen (Credit Rating Agencies, CRAs) bemühen sich seit jeher gezielt darum, Investoren mit den erforderlichen Dienstleistungen und Informationen zu versorgen, um eine qualitative Auswahl der Anlagegelegenheiten treffen zu können. Neben Kreditratings und Ratingberichten liefern sie Branchen- und Länderanalysen, die ein besseres Marktverständnis sowie eine bessere Vergleichbarkeit auf Peergroup-Ebene ermöglichen. Nun, da die Investoren ein zusätzliches Informationsdefizit in puncto Nachhaltigkeitsberichterstattung haben, ist es für CRAs ganz natürlich, diese Lücke mit neuen Angeboten – zum Beispiel ESG- und Green-Bond-Produkten – langsam zu schließen. Im Mai 2016 startete die von den Vereinten Nationen unterstützte Finanzinitiative Principles for Responsible Investment (UNPRI) das sogenannte “ESG in Credit Ratings Statement”: eine freiwillige internationale Initiative für Großanleger und Ratingagenturen, um öffentlich mitzuteilen, dass sie den Wert einer transparenten und systematischen Berücksichtigung von Umwelt-, Sozial- und Governance-Faktoren (ESG) im Rahmen der Kreditrisikoanalyse anerkennen. CRA-seitig hat dies den Prozess einer strukturierten Verpflichtung zu ESG Analysen und Offenlegungen von ESG-Faktoren in Gang gesetzt, wenn dies für die Ratingbeurteilung relevant ist. Die Erklärung wurde bereits von 18 Ratingagenturen unterzeichnet, von denen sieben bei der Europäischen Wertpapier- und Marktaufsichtsbehörde (ESMA) registriert und davon wiederum zwei hauptsächlich in Deutschland angesiedelt sind, darunter RAEX-Europe. In vielen Ländern geht die Nachhaltigkeitsberichterstattung über Investorenpräferenzen und auch freiwillige Selbstverpflichtungen gegenüber Regulierungsstellen hinaus. Dies wird unter anderem am Beispiel der Europäischen Union (EU) deutlich. Im März 2018 stellte die Europäische Kommission (EK) im Rahmen ihrer Verpflichtungen gegenüber Investoren und Begünstigten einen Aktionsplan für nachhaltige Finanzierung vor, insbesondere mit dem Vorschlag für Rahmenbedingungen zur Förderung nachhaltiger Investitionen und des schrittweisen Aufbaus eines einheitlichen Klassifizierungssystems für ESG-Faktoren sowie für Anforderungen an die Integration von ESG Faktoren in Entscheidungsprozesse. Unterdessen führt die ESMA zurzeit eine offene Konsultation zu nachhaltigen Finanzierungsinitiativen durch, um den Nachhaltigkeitsaktionsplan der EK im Bereich der CRA-Regulierung zu unterstützen. Ziel dabei ist es, die Qualität und Einheitlichkeit der Offenlegung von ESG-Faktoren zu verbessern, wenn diese im Rahmen einer Ratinghandlung berücksichtigt werden. Sobald die in der ESMA-Konsultation vorgeschlagenen Maßnahmen umgesetzt und Teil der verbindlichen Offenlegungsanforderungen sind, werden alle Ratingagenturen in der EU angehalten zu prüfen, ob sie ESG-Faktoren bei ihren Ratinganalysen berücksichtigen wollen. Wenn ja, dann müssen sie diese im Rahmen der Ratingberichterstattung und Offenlegung der zugrunde liegenden Faktoren auf transparente und strukturierte Weise angeben. Bis Ende 2019 sollen diese Informationen öffentlich werden. Dann wird sich zeigen, welche EU-CRAs bei der Ratinganalyse auch Nachhaltigkeitskriterien Rechnung tragen – und welche nicht. Die Angabe von ESG-Faktoren im Rahmen relevanter klassischer Kreditratings markiert einen wichtigen Schritt, reicht aber nicht aus, um die oben erwähnten Informationsdefizite beim Thema Nachhaltigkeit zu beheben. Es gibt daher Spielraum für neue CRA-Produkte, die die verbleibende Lücke schließen und dem Investitionsauswahlprozess neue Dimensionen geben können. CRAs können auch über die Erfüllung der vorgeschriebenen Berichtsstandards hinausgehen und durch ihr zusätzliches Produktangebot aktiv zur Entwicklung neuer nachhaltiger Märkte beitragen. Dies lässt sich gut anhand von Beispielen aus den Green-Bond-Märkten in Asien erläutern. Die chinesische Regierung reagiert aktuell auf die Umweltherausforderungen des Landes, indem sie ihre Prioritäten in Richtung nachhaltiger Entwicklung verlagert. Dabei lässt der 13. Fünfjahresplan für 2016 bis 2020 einen enormen Investitionsbedarf erkennen, um die Umwelt- und Klimaprobleme in China zu bewältigen. Der Markt für Green Bonds gilt als wirksames Instrument zur Erreichung dieser Ziele. China unternimmt daher Anstrengungen, um die lokalen Green-Bond-Vorgaben mit internationalen Standards zu harmonisieren. Je nach Art des chinesischen Inlandsemittenten gelten unterschiedliche Richtlinien für die Begebung von Green Bonds, die wiederum bestimmen werden, welche Projekte für die Finanzierung über den heimischen Green-Bond-Markt konkret infrage kommen. Sämtliche führende Ratingagenturen in China sind im Rahmen des “Kreises zuverlässiger Prüfer” an der Erstellung von Zweitmeinungsberichten für diese grünen Anleihen beteiligt.Neben der beeindruckenden Entwicklung des Green-Bond-Marktes ist China auch Initiator einer offenen und unabhängigen internationalen Kooperationsplattform: der Belt-and-Road-Initiative. CRAs können daran arbeiten, Investoren mit transparenten und verlässlichen Informationen zum B & R-Projekt zu versorgen, die in den meisten Ländern der Initiative auch für regulatorische Zwecke verwendet werden könnten. Während Daten zur Kreditwürdigkeit für viele dieser Projekte verfügbar sind oder sich zumindest schätzen lassen, fehlt es häufig an Informationen zu ESG-Faktoren. Dies macht es für Investoren schwierig zu erkennen, ob interessante Anlagegelegenheiten im Ausland auch die erwarteten Standards in Bezug auf Nachhaltigkeit und Verantwortung erfüllen. Im Dezember 2018 wurde in Peking ein Kooperationsmemorandum von vier Ratingagenturen unterzeichnet, die die Seidenstraßen-Länder repräsentieren: die größte chinesische Rating­agentur China Chengxin International Credit Rating Co., Ltd. (CCXI), RAEX-Europe, JCR-VIS Credit Rating Co. Ltd. aus Pakistan und die bahrainische Islamic International Rating Agency (IIRA). Ziel ist die Zusammenarbeit bei der Entwicklung von Produkten, die ESG-Faktoren für B & R-Projekte bewerten. In Russland steckt der grüne Finanzmarkt derzeit noch in den Kinderschuhen und es gibt noch keine formalisierte Regelung für nachhaltige Finanzprodukte. Das Thema wird aber intensiv diskutiert, zumal es nur wenige erfahrene Research-Zentren gibt, die Nachhaltigkeitsaktivitäten koordinieren. Dafür gibt es in verschiedenen Bereichen der Wirtschaft (z. B. Energie, Metallurgie, Bau, Petrochemie, Immobilien und kommunale Dienstleistungen) eine ganze Reihe von Unternehmen und Organisationen, die sich selbst als Teilnehmer des nachhaltigen Kapitalmarktes identifizieren. Laut Schätzungen des russischen Nationalverbands der Konzessionäre und langfristigen Infrastrukturinvestoren CoLTI umfasst der selbst organisierte “grüne Markt” in Russland aktuell rund 50 Unternehmen mit mehr als 450 im Umlauf befindlichen Anleihen, die an der Moskauer Börse gehandelt werden und über 7,8 Bill. Rubel wert sind. Die erste Anleihe, die die vom Kapitalmarktverband International Capital Market Association (ICMA) 2018 aufgestellten Green Bond Principles (GBP) offiziell erfüllt, wurde im Dezember 2018 von RSB HMAO Ltd., einem Tochterunternehmen der Large Waste Management Company, an der Moskauer Börse begeben. RAEX-Europe nahm an diesem historischen Ereignis für den nachhaltigen russischen Finanzmarkt als Prüfer der GBP-Konformität und Anbieter von Green-Bond-Zweitmeinungen teil. Die Emission stellt einen ersten wichtigen Präzedenzfall für den Markt dar. Am 18. Dezember 2018 ratifizierte der russische Präsident Wladimir Putin einen Beschluss, um die Einführung des “Green-Bond-Mechanismus” zum frühestmöglichen Zeitpunkt sicherzustellen. Dieser Mechanismus hat das Potenzial, einerseits die Attraktivität von Investitionen in Russland zu erhöhen und andererseits die Fremdfinanzierungskosten bei der Umsetzung von Umweltprojekten zu reduzieren. Geplant ist außerdem, an der Moskauer Börse ein Anleihensegment zum Thema nachhaltige Entwicklung zu schaffen, wo Ende des ersten Quartals 2019 die ersten grünen und sozialen Anleihen gehandelt werden sollen.Die genannten Länderbeispiele deuten darauf hin, dass sich künftige weitere CRA-Aktivitäten nicht nur auf die transparente Offenlegung von Nachhaltigkeitsfaktoren – wie von den lokalen Aufsichtsbehörden gefordert – beschränken dürfen, sondern sie müssen auch neue Produkte umfassen, die die Entwicklung nachhaltiger Finanzmärkte und verantwortungsvoller Investitionspraktiken fördern. Kreditratingagenturen haben bereits einen verlässlichen und angesehenen Dienstleistungsmarkt in einem Bereich aufgebaut, in dem es bislang keine Regelungen und keine gemeinsamen Standards gab. Vor der globalen Finanzkrise waren die Tätigkeiten von Ratingagenturen in den meisten Ländern überhaupt nicht oder nur sehr geringfügig reguliert. In den letzten zehn Jahren hat sich das geändert, wobei überall auf der Welt Konzepte für ein strenges und robustes CRA-Regulierungsregime entwickelt wurden. Geht man für den nachhaltigen Finanzmarkt einen ähnlichen Weg und nutzt dabei die gesammelten Erfahrungen der CRAs sowie deren bewährte Compliance-Praktiken, dann dürfte dieser Markt einmal dazu beitragen, eine nachhaltige Zukunft aufzubauen und potenzielle Umwelt- oder Sozialkrisen zu vermeiden.