Cum-ex: Früherer Berger-Partner lässt Hosen herunter
Von Anna Sleegers, zzt. Bonn
Im Cum-ex-Strafprozess gegen den früheren Finanzbeamten und Steueranwalt Hanno Berger am Landgericht Bonn hat sein früherer Kanzleipartner Kai-Uwe S. als Zeuge ausgesagt (62Kls 2/20). Der von großem Medieninteresse begleitete Auftritt des 50-jährigen Experten für Aufsichtsrecht geriet ziemlich emotional. Der Anwalt, der seit einigen Jahren in der Schweiz lebt, hat die Staatsanwaltschaft Köln durch umfangreiche Aussagen bei der Ermittlungsarbeit unterstützt und kann dadurch auf Strafmilderung hoffen.
Mafiöse Methoden
Folgt man seiner Darstellung, hat er dafür teuer bezahlt. Mit seiner Entscheidung, reinen Tisch zu machen, habe er eine gesamte Industrie gegen sich aufgebracht und sei Bedrohungen ausgesetzt gewesen, die an Mafia-Methoden erinnern. „In den Jahren von 2016 bis 2018 bin ich immer wieder gefragt worden, ob mir klar ist, mit wem ich mich anlege“, gab er zu Protokoll. Dabei hätten seine Widersacher nicht davor zurückgeschreckt, seine Familie zu bedrohen: „Für 5000 Euro finde man einen Rumänen, der meiner Tochter einen Finger in den Popo steckt, hat man mir mitgeteilt.“ Nachdem er sich von diesen Einschüchterungsversuchen nicht habe abschrecken lassen, seien die Bedrohungen heute eher zivilrechtlicher Natur.
Geradezu devot präsentierte sich der Zeuge gegenüber seinen Anwälten und der Staatsanwaltschaft Köln. Der ermittelnden Staatsanwältin Anne Brorhilker sei es zu verdanken, dass er sich auf „seinen Weg der Wahrheit“ gemacht habe. „Ich habe lange Dinge ignoriert, die mir hätten faul vorkommen müssen“, räumte er ein. Brorhilker habe viel Geduld mit ihm gehabt: „Als sie einmal in der Vernehmung gemerkt hat, dass meine Aussagen nicht mit den Ermittlungsprotokollen übereinstimmten, hat sie zu mir gesagt: Sie sollten die Hose nicht nur bis zu den Knien herunterlassen, sondern bis zu den Knöcheln.“ Damit habe die inzwischen zur Oberstaatsanwältin beförderte Brorhilker einen Prozess in Gang gesetzt, der bis heute anhalte. „Ich habe die Hose noch immer bis zum Knöchel heruntergelassen“, sagt er, offenbar um zu unterstreichen, wie ernst es ihm mit seiner Reue und seinem Willen zur Aufklärung ist.
Von Geldgier gepackt
Der nach eigenen Angaben in Nordfriesland in eher kleinbürgerlichen Verhältnissen aufgewachsene S. schilderte, wie er nach seinem schnellen Jura-Abschluss an der Universität Osnabrück in die „Welt der Hochhäuser und internationalen Kanzleien“ nach Frankfurt wechselte. Nach einer erfolgreichen Promotion über die aufsichtsrechtliche Behandlung von Investmentfonds in New York, die ihm der inzwischen emeritierte Bankrechtsprofessor Theodor Baums ermöglicht habe, kehrte er nach der Jahrtausendwende zur Kanzlei Shearman Sterling zurück, deren Abteilung Steuerrecht Berger damals leitete. Voller Überzeugung hinsichtlich seiner eigenen fachlichen Fähigkeiten habe ihn damals der Ehrgeiz gepackt, Karriere zu machen und viel Geld zu verdienen. Auch das Wort Gier meidet er nicht.
Berger habe von 2002 an immer mal wieder seine aufsichtsrechtliche Expertise eingeholt für Steuersparmodelle, die noch nichts mit Cum-ex zu tun gehabt hätten. Als Berger zwei Jahre später zu Dewey Ballantine wechselte, einer anderen Wall-Street-Kanzlei, die damals ein Büro in Frankfurt aufbaute, ergriff S. die sich ihm bietende Chance, mitzuziehen und schneller zum Partner aufzusteigen.
Der Vorsitzende Richter Ronald Zickler, dessen Befragung keiner chronologischen, sondern einer inhaltsorientierten Ordnung folgt, interessiert sich vor allem für die Frage, ob den Beteiligten bewusst gewesen ist, dass die strafbaren Cum-ex-Transaktionen auf Leerverkäufen basierten. Das sei von 2006 an jedem klar gewesen, der sich mit dem Thema befasste, sagte S., womit er die Aussagen zahlreicher Zeugen und Angeklagter in den anhängigen Cum-ex-Strafprozessen an den Landgerichten Bonn, Frankfurt und Wiesbaden in Frage stellt. In den ersten Jahren seien die beteiligten Anwälte damit auch völlig offen umgegangen, ergänzte er. Dabei bezog er sich unter anderem auf das von der Kanzlei Freshfields im Auftrag der australischen Investmentbank Macquarie erstellte Gutachten, das Berger 2005 in die Finger bekommen habe. Da Berger keinen Zugang in das damals bereits florierende Interbankengeschäft mit Cum-ex-Transaktionen bekam, habe er das Modell für schwerreiche Privatkunden umgemünzt.
Sonne und Mond
Auch Berger habe in seinem ersten Gutachten explizit von Leerverkäufen geschrieben, ohne die sich die doppelte Erstattung einer einfach abgeführten Kapitalertragsteuer nicht bewerkstelligen ließ. Eine Sensibilität für das Thema Leerverkäufe habe sich erst mit dem Steuergesetz aus dem Jahr 2007 entwickelt, sagte S. Damals habe die Branche begonnen, die Hinweise auf Leerverkäufe zu verschleiern. Dabei habe man sich einer Technik bedient, die er als „Twisten“ bezeichnet. Er selbst habe diese so verinnerlicht, dass er sie sogar in einer Vernehmung durch die Staatsanwaltschaft eingesetzt habe. „Auf die Frage, ob wir von Leerverkäufen wussten, habe ich geantwortet: Wir kannten die Leerverkäufer nicht“, sagte er. Das sei, wie nach der Sonne gefragt zu werden und mit dem Mond zu antworten.
Endgültig getilgt worden seien alle Hinweise auf Leerverkäufe, nachdem 2009 das Rundschreiben des Bundesfinanzministeriums veröffentlicht wurde. Berger habe darauf gepocht, dass sie sich an Gesetze hielten, das Schreiben aber keines sei. Jeder, der Zweifel an der Rechtmäßigkeit geäußert habe, sei von ihm niedergemacht worden. Deshalb und weil es sich finanziell lohnte, habe keiner der juristischen Mitarbeiter sich getraut, ein Störgefühl anzusprechen: „Jeden Abend sind alle nach Hause gegangen und haben immer weitergemacht.“