Cum-ex-Steuergutachten als Feigenblätter

Kronzeuge: Transaktionen nicht im Verborgenen

Cum-ex-Steuergutachten als Feigenblätter

ak Bonn – Auf drei Tage ist die Aussage des Kronzeugen S. vor dem Bonner Landgericht angelegt und schon am ersten Tag wird klar, dass der Insider, der jahrelang Cum-ex-Strukturen mitgestaltet hat, viel zu erzählen hat. Die Essenz seiner Ausführungen am ersten Tag: Cum-ex war in allen Einzelheiten vielleicht kompliziert, aber die Grundstruktur der Geschäfte – die doppelte Erstattung nur einmal gezahlter Kapitalertragssteuer und damit die Renditeerzielung ausschließlich auf Kosten des Fiskus – sei allen Beteiligten klar und bis in die höchsten Bankspitzen bekannt gewesen.”Die Aktientransaktionen fanden nicht im Verborgenen statt”, sagte der Anwalt. Wenn etwa eine Bank einen Kredit für einen Cum-ex-Fonds im hohen dreistelligen Millionenbereich genehmigt habe, dann hätten die Verantwortlichen den Zweck ganz genau wissen wollen.In Steuergutachten allerdings, die von renommierten Kanzleien verfasst wurden und die Legalität von Cum-ex bestätigten, sei der Sachverhalt zurechtgebogen worden. Das seien Feigenblätter gewesen. “Wir haben uns unsere Wahrheit oft zurechtgelegt”, erläuterte er. S. bezeichnete das als “Twisting” der Realität. Laut Gesetz waren Absprachen zwischen Käufern und Leerverkäufern verboten. Das musste von 2009 an sogar von Wirtschaftsprüfern oder Steuerberatern bestätigt werden. So schalteten die beteiligten Banken und Investoren zwei Broker dazwischen, die sich absprachen. Formal konnten sie dann behaupten, dass sich Käufer und Leerverkäufer nicht kannten.Auch als das Jahressteuergesetz 2007 deutsche Banken als Leerverkäufer ausschloss, um Cum-ex einzudämmen, sei eben auf ausländische Leerverkäufer ausgewichen worden, beschrieb der Kronzeuge. An dieser Stelle hakte der Vorsitzende Richter Roland Zickler ein: “Ich kann nicht verstehen, dass Juristen den Zweck des Gesetzes nicht im Blick hatten – schon allein aus Haftungsgründen.” Antwort des Kronzeugen: “Ich kann nur sagen: Es sollte weitergehen.”Das Schlupfloch im Gesetz war auch kein Zufall: Der Vorschlag zur Eindämmung von Cum-ex kam vom Bundesverband deutscher Banken und ist laut S. eins zu eins übernommen worden. Da sei der Bock zum Gärtner gemacht worden.S. beschrieb außerdem dezidiert ein Treffen mit dem damaligen Sprecher der Partner von M.M. Warburg, Christian Olearius, und dessen rechter Hand 2007. Nach einigem Zögern und der Überredungskunst des Steueranwalts Hanno Berger, der als einer der Hauptbeschuldigten in den Cum-ex-Geschäften gilt, sei Warburg im Eigenhandel und mit Fonds von 2007 an richtig eingestiegen. Laut S. war den Warburg-Entscheidern bekannt, woher die Rendite kam.Das steht im Gegensatz zu den bisherigen Aussagen der Bank: “Es hat im Zusammenhang mit diesen Wertpapiergeschäften zu keinem Zeitpunkt die Absicht einer Schädigung des Staates seitens unserer Bank gegeben”, hatte der Sprecher der Warburg-Partner, Joachim Olearius, noch im August im Gespräch mit der Börsen-Zeitung gesagt (vgl. BZ vom 22. August).In Bonn fragte der Vorsitzende Richter Zickler nach: “Sie verkaufen einer Bank mit einem guten Ruf den Griff in die Staatskasse. Und da geht keinem das Augenlid hoch?” Der Kronzeuge antwortete: “Ich habe es nur in ganz wenigen Fällen erlebt bei Banken, dass ein Augenlid hochgegangen ist. Alle haben nur ein Ziel gehabt: Profitmaximierung.” In der Rückschau, so resümiert der Kronzeuge, würde er sagen: “Gier frisst Hirn.”