„Da entsteht eine ganz neue Investorenklasse“
Anna Sleegers.
Herr Behrens, was genau macht Morgan Stanley in Deutschland, wo das EU-Geschäft wegen des Brexit gebündelt ist?
Unser Geschäftsmodell basiert auf zwei Bereichen: Wir haben das Kapitalmarktgeschäft in der Institutional Securities Group gebündelt, hier sind die M&A-Beratung, das Emissionsgeschäft und der Wertpapierhandel angesiedelt. Daneben sind wir im Assetmanagement-Vertrieb tätig.
Wie ist das Geschäft im dritten Quartal gelaufen?
Sehr gut, auch wenn wir für Deutschland keine gesonderten Zahlen veröffentlichen. Die Morgan Stanley Europe SE, in der unser EU-Geschäft zusammengefasst ist, hat im Vergleich zum Vorjahresquartal eine Gewinnsteigerung von 250% verbucht. Das hat natürlich damit zu tun, dass zum einen das Vorjahr von Covid geprägt war, zum anderen wurden einige EU-Filialen der Morgan Stanley Europe SE hinzugefügt. Aber auch im Vergleich zum zweiten Quartal, in dem die Erholung ja bereits im vollen Gange war, haben wir den Gewinn um 19% steigern können.
Das ist ja noch besser als der Konzern, der weltweit einen Gewinnsprung von 38% verbucht hat. Woran liegt das?
Wir spüren in Kontinentaleuropa sehr deutlich, dass der Brexit die bis dahin praktizierte Auslagerung des europäischen Finanzsektors nach London beendet hat. Das hat unsere Mitarbeiter näher an den Kunden gebracht, gerade hier in Frankfurt, wo alles fußläufig zu erreichen ist. Zwar konnte man wegen Covid zunächst nicht so viele persönliche Kundentermine wahrnehmen, aber im dritten Quartal hat das wieder angefangen. Das kommt bei den Kunden unheimlich gut an und wird honoriert. Im direkten Dialog kommt man auf neue Ideen für gemeinsame Projekte – das merken wir hier nicht nur in Deutschland und Österreich, sondern in ganz Europa. Insgesamt passt das Geschäftsmodell aber auch perfekt auf die aktuelle Marktsituation.
Inwiefern?
Mit der Kombination aus Assetmanagement, Wealth Management und der Institutional-Securities-Gruppe, die Wertpapiere handelt oder emittiert, können wir unseren Kunden, zu denen die größten europäischen Kapitalanleger gehören, genau das bieten, was sie in der gegenwärtigen Situation suchen. Abgerundet wird das Ganze durch die elektronische Handelsplattform E-Trade, die seit 2020 zum Konzern gehört. Weltweit geht jede fünfte Aktie durch unsere Bücher. Das hilft ungemein in den Gesprächen mit unseren Kunden. Aufgrund der Aktienflow-Informationen kennen wir die Investoren und wissen, wo die potenziellen Käufer sind.
Wie positioniert sich Morgan Stanley in Deutschland?
Wir suchen Anknüpfungspunkte mit großen Unternehmen und allen anderen Banken, mit denen wir eine mögliche Win-win-Situation sehen. Natürlich stehen wir in einer Konkurrenzsituation, auch mit amerikanischen Instituten. Aber das würde ich als sportlichen Wettbewerb bezeichnen. Wir konzentrieren uns auf die Kunden, die mit uns Geschäfte machen wollen.
Und Ihr Kooperationsangebot richtet sich säulenübergreifend an alle Banken?
Ja, wir sehen die Säulen nicht als Hemmnisse. Gemäß unserem Wholesale-Distribution-Ansatz suchen wir ganz einfach Partner, die an einer langfristigen Geschäftsbeziehung interessiert sind und die den Vertrieb ernst nehmen, also die Produkte nicht einfach nur ins Regal stellen, um etwas im Regal stehen zu haben. Das funktioniert mit vielen Banken und Finanzdienstleistern sehr gut. Einen besonderen Schub erfährt zurzeit das Geschäft mit Online-Brokern wie Flatex und Comdirect, bei denen im Grunde kaum Anlageberatung stattfindet. Bei den Kunden dieser Portale handelt es sich größtenteils um Selbstentscheider. Sie suchen sich ihre Produkte selbst und bilden Gruppen, die sich über soziale Netzwerke gegenseitig informieren.
Profitiert Morgan Stanley von den Schwächen hiesiger Wettbewerber, die zum Teil in großangelegten Restrukturierungsprogrammen stecken?
Wir haben unser Geschäftsmodell vor einigen Jahren festgelegt und müssen nur dann und wann kleinere Anpassungen vornehmen. Dadurch haben wir natürlich den Vorteil, dass wir nicht so stark mit uns selbst beschäftigt sind, sondern uns um unsere Kunden kümmern können. Unsere Mitarbeiter können sich sozusagen auf die Straße konzentrieren, statt auf die Frage, ob sie ihren Job in ein paar Monaten noch haben werden und wie sich ihre berufliche Zukunft entwickelt. Morgan Stanley Deutschland ist ein echter Wachstums-Case: Wir haben massiv Personal aufgebaut und Geschäft gewonnen. Banken, die aufbauen, werden von den Mitarbeitern positiv wahrgenommen, auch in anderen Häusern. Das hilft uns bei der Suche nach den besten Köpfen.
Wie viele Beschäftigte haben Sie denn?
In Kontinentaleuropa sind wir jetzt etwa 700, davon 400 in Frankfurt. Hier hat sich unsere Belegschaft in den vergangenen rund zwei Jahren ungefähr verdoppelt. Etwa die Hälfte der Neuzugänge haben wir innerhalb des Konzerns rekrutiert und die andere Hälfte im Markt.
Wie hat es mit den Neueinstellungen im Lockdown funktioniert?
Technisch war das zum Glück überhaupt kein Problem. Aber für die neuen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter war es teilweise schon ein schwerer Einstieg. Gerade für die, die aus dem Ausland gekommen sind und dann gezwungen waren, zuhause zu bleiben. Da gab es zum Teil schon die Angst, keinen Anschluss zu finden. Wir haben versucht, das abzufedern, soweit das möglich war, mit Mentoring-Programmen und sozialem Miteinander über Zoom. Unser Ziel war es, mit jedem Mitarbeiter und jeder Mitarbeiterin jede Woche eine Art privates Gespräch zu führen. Das ist nicht ganz einfach, wenn man sich noch nicht kennt. Aber ich glaube schon, dass das geschätzt wurde. Die Resonanz auf die erweiterten Angebote, um den internen Zusammenhalt zu stärken, war sehr gut – übrigens auch bei den Kolleginnen und Kollegen, die schon länger bei uns sind.
Wie gehen Sie bei Morgan Stanley mit dem Thema Homeoffice um?
Wir hätten es nie für möglich gehalten, dass das funktioniert, aber zu Beginn der Pandemie haben bis zu 90% der Beschäftigten zuhause gearbeitet – in allen Funktionsbereichen. Dank steigender Impfquoten versuchen wir schon, die Beschäftigten wieder ins Büro zu bekommen, auch wenn man dabei natürlich auf Sicht fahren muss. Aktuell liegt die Präsenzquote zwischen 30 und 40%, mittelfristig wären uns 70 bis 80% lieber, sofern das Infektionsgeschehen das zulässt.
Gilt das für alle Bereiche?
Nein, das variiert zwischen den verschiedenen Tätigkeiten. Im Frontoffice, wo der Kundenkontakt zählt, liegt die Präsenzquote heute schon bei 80 bis 90%. In diesem Bereich geht es um Dialog und Interaktion, das macht auch Spaß, selbst wenn man sich am Anfang erst wieder daran gewöhnen musste. Im Backoffice können wir deutlich flexibler sein und hier wird von der Möglichkeit zum mobilen Arbeiten auch stärker Gebrauch gemacht.
Konzernweite Vorgaben gibt es nicht?
Nein. Das würde angesichts der weltweiten Präsenz von Morgan Stanley auch gar nicht funktionieren. Während wir hier in Frankfurt gerade wieder verstärkt ins Büro zurückkehren, arbeitet zum Beispiel in Indien ein großer Teil der Kollegen zurzeit zuhause, weil die Infektionslage einen andere ist. Außerdem variieren die gesetzlichen Vorgaben. Wir werden jedenfalls niemanden ins Büro zwingen.
Haben Sie Ihre Mannschaft jetzt zusammen oder planen Sie weitere Einstellungen?
Personalwachstum ist ja kein Wert an sich. Aber natürlich stellen wir uns regelmäßig die Frage, in welchen Bereichen wir wachsen können und wollen. Daraus resultiert dann auch eine neue Personalplanung. Dazu kann ich Ihnen jetzt noch nicht viel sagen, denn die neue Planungsrunde steht uns erst noch bevor. Lassen Sie mich so viel sagen: In unserem neuen Office, dem Omniturm, haben wir Platz für bis zu 600 Mitarbeiter.
Geht es in der Planungsrunde auch um die geschäftlichen Prioritäten für den deutschen Markt?
Ja, diese überarbeiten wir ungefähr alle drei Jahre und jetzt ist es bald wieder so weit.
Was steht auf der Agenda?
Wir sehen zum Beispiel die Chance, im Wertpapierhandel und den damit verbundenen Angeboten noch ein paar Schritte weiterzugehen. Es zeichnet sich eine Trendwende im Anlegerverhalten ab. Immer mehr Privatpersonen interessieren sich für Wertpapiere. Da entsteht eine ganz neue Investorenklasse.
War das nicht ein temporärer Effekt während des Lockdowns?
Es mag sein, dass die viele Zeit, die Menschen während der Pandemie zuhause verbracht haben, eine Rolle gespielt hat. Der eine oder andere schaut im Homeoffice dann vielleicht auch eher mal die Entwicklung von Wertpapierkursen an, statt sich nur auf seine Arbeit zu konzentrieren. Und viele Menschen haben wegen der Reisebeschränkungen und der unsicheren Lage auf den Urlaub verzichtet, was die Sparquoten noch weiter in die Höhe getrieben hat. Dass es sich um ein vorübergehendes Phänomen gehandelt hat, glaube ich nicht. Dafür liegt einfach zu viel Cash auf den Konten. Und die Banken langen inzwischen bei den Verwahrentgelten ordentlich zu. Diese Belastung kommt auf die Inflation ja noch obendrauf. Zugleich sind die Kosten der Online-Banken deutlich zurückgegangen, wodurch ihr Angebot deutlich attraktiver wird. Und es sind neue Anbieter wie N26 hinzugekommen, deren Angebot sich gezielt an junge Kunden richtet.
Welche Wachstumschancen sehen Sie sonst noch?
Eigentlich in allen Geschäftsbereichen. Auch wenn es sich abzeichnet, dass dieses Jahr ein sehr gutes wird, kann man sich des Eindrucks kaum erwehren, dass es im nächsten Jahr so weitergehen wird und wahrscheinlich auch darüber hinaus.
Was stimmt Sie so positiv?
Viele Dinge in unserem Geschäft haben ja einen gewissen Vorlauf. Und wenn man die bereits angebahnten Transaktionen ansieht, die Zahl der Interessenbekundungen und der gemeinsamen Projekte mit Kunden, dann fühlt sich das gut an. Da kommt einiges in Bewegung; ein kompletter Umbau der Wirtschaft durch Dekarbonisierung und Digitalisierung. Im Grunde genommen ist jede Firma zurzeit dabei, ihr eigenes Portfolio durchzugehen und sich die Frage zu stellen, was passt da in den nächsten Jahren noch hinein, wo muss ich aufbauen, was fehlt mir. Das Umfeld der niedrigen Zinsen, das ja noch eine Weile anhalten wird, hilft natürlich ungemein, diese enormen Investitionen, die notwendig werden, zinsgünstig zu finanzieren.
Sie rechnen weiterhin mit niedrigen Zinsen?
Bisher haben wir kein Signal bekommen, dass signifikante Zinsveränderungen anstehen. Frau Lagarde hat ja gerade wieder bekräftigt, dass die EZB die Inflationsentwicklung für ein vorübergehendes Phänomen hält. Natürlich muss man der wachsam bleiben. Aber gerade deshalb sieht man natürlich bei den Kunden ein hohes Interesse an langfristigen Finanzierungen und langen Laufzeiten. Niemand will irgendwann von der Zinswende überrascht werden.
Ich persönlich kann mir allerdings nicht vorstellen, dass die EZB gerade jetzt, wo der Gesamtumbau der europäischen Wirtschaft ansteht, ein Interesse hat an nachhaltig höheren Zinsen. Das wäre eine enorme Wachstumsbremse.
Es ist doch aber der Auftrag der EZB, die Inflation in Schach zu halten, nicht das Wachstum zu fördern.
Schon. Aber das kann man ja auch etwas weiter interpretieren und die EZB hat das in den vergangenen Jahren ja auch getan. Wenn man davon ausgeht, dass die Inflation nur übergangsweise so hoch ist, sollte sich das ja wieder irgendwann normalisieren. Das ist ja auch plausibel. Wenn derzeit bestehende Lieferengpässe überwunden sind, fällt ja zum Beispiel ein gewaltiger Inflationstreiber weg.
Welche Geschäftsfelder stehen für Sie in Deutschland im Fokus?
Grundsätzlich gehen wir davon aus, dass wir im kommenden Jahr in allen Geschäftsbereichen gute Wachstumschancen wahrnehmen können. In der M&A-Beratung und im Geschäft mit Aktien- und Anleiheemissionen sind wir in Deutschland und Österreich in der Regel ganz vorn dabei. In einem relativ kleinen Markt wie Deutschland kann das auch mal variieren, wenn man etwa bei einem größeren Deal zufällig nicht dabei ist. Auf europäischer Ebene ist es schon unser Ziel, auf einem der ersten drei Plätze zu landen. Wachstumspotenzial sehen wir aktuell vor allem im Fixed-Income-Bereich.
Weshalb?
Infolge der Pandemie hat sich der Markt im vergangenen Jahr verändert. Um die verschiedenen Konjunkturmaßnahmen zu finanzieren, sind die Neuemissionen des öffentlichen Sektors deutlich angestiegen. Denken Sie hierbei zum Beispiel an die EU als Emittentin. Ebenso haben Unternehmen die Möglichkeiten genutzt, sich am Kapitalmarkt zu finanzieren, nachdem die Zentralbanken mit ihren Maßnahmen die Märkte stabilisiert haben. Hier besteht ein großer Bedarf an der aktiven Bereitstellung von Liquidität durch Wertpapierhändler als „Market-Maker“, den wir gerne wahrnehmen. Außerdem werden sich aus dem Umbau der Wirtschaft zur Klimaneutralität Chancen ergeben.
Was bedeutet das konkret?
Der Handel in Staatsanleihen wird größere Bedeutung erlangen, schlichtweg, weil die Marktvolumina sich deutlich erhöhen. Aber auch andere Bondmärkte sind stark gewachsen. Damit verbunden sind auch die jeweiligen Derivatemärkte. Sie profitieren von diesem Wachstum, da die Risiken in den jeweiligen Portfolien gesteuert werden müssen.
Konkret bedeutet das für uns, dass wir am Standort Frankfurt entsprechende Experten für das Fixed-Income-Geschäft sowohl in der Distribution als auch im Handel eingestellt haben und auch weiter aufbauen werden, um unsere Kunden jederzeit mit einem umfangreichen Produktangebot ideal bedienen zu können.
Das Interview führte