SERIE: ZEHN JAHRE FINANZKRISE (TEIL 18)

Das Gesicht der Krise in Spanien

Rodrigo Rato ist vom Architekten des spanischen Wirtschaftsaufschwungs zur Symbolfigur für die Verfehlungen dieser Zeit geworden

Das Gesicht der Krise in Spanien

Einst gefeiert, heute beschimpft: Ex-Wirtschaftsminister, Ex-IWF-Generaldirektor und Ex-Bankia-Chef Rodrigo Rato steht in Spanien für das Fehlverhalten, das dem Land eine lange und schwere Rezession bescherte. Von Thilo Schäfer, MadridRodrigo Rato lässt sich seit ein paar Jahren höchst selten in der Öffentlichkeit blicken. Wenn, dann ist es in der Regel für Vernehmungen vor Gericht in einem der diversen Verfahren, die gegen den ehemaligen spanischen Wirtschaftsminister und früheren Generaldirektor des Internationalen Währungsfonds (IWF) laufen. Oft wird der 68-Jährige vor dem Eingang des Nationalen Gerichtshofs von wütenden Menschen empfangen, die ihn auspfeifen und beschimpfen. Wie keine andere Person steht Rodrigo Rato für die Missbräuche und Fehlverhalten der Finanzkrise, die Spanien eine lange und schwere Rezession bescherten.Der Jurist mit einem MBA von der US-Universität Berkeley stammt aus gutem Hause mit aristokratischem Hintergrund. Er und seine Familie besaßen eine Reihe von Unternehmen, von Radiosendern bis Hotels. Unter der konservativen Regierung von José María Aznar war Rato “Superminister” für Wirtschaft und Finanzen mit Rang eines stellvertretenden Ministerpräsidenten. Mit teils unpopulären Maßnahmen gelang Spanien der Eintritt in die Währungsunion als Gründungsmitglied, und die Wirtschaft machte dank der plötzlich gesunkenen Leitzinsen einen gewaltigen Sprung. Doch unter Rato wurden die Grundlagen für die spätere Immobilienblase gelegt, wie die radikale Liberalisierung des Baugrundes, die der Spekulation – und Korruption – Tür und Tor öffnete.Der Madrilene war erfolgreich und durchaus charmant in seinem Auftreten, auch wenn er gelegentlich etwas abgehoben wirkte. Nachdem Aznar angekündigte hatte, dass er 2004 nicht erneut zur Wahl antreten würde, setzten alle im Lande auf Rato als dessen Nachfolger. Doch überraschenderweise fiel die Wahl auf den biederen Mariano Rajoy. Aznar verriet in seiner Biografie Jahre später, dass er Rato die Spitzenkandidatur angeboten, dieser jedoch abgelehnt habe. Vielleicht scheute er eine noch stärkere Beobachtung durch die Medien, denn wie man heute weiß, missbrauchte Rato vermeintlich damals schon seinen Einfluss für private Geschäfte. Überraschender RücktrittNach der Niederlage der konservativen Volkspartei (PP) 2004 wurde der ehemalige Wirtschaftsminister mit dem Posten des Generaldirektors des IWF belohnt. Nur drei Jahre später überraschte der Spanier seine Landsleute und den Rest der Welt durch seinen frühzeitigen Rücktritt aus “persönlichen Gründen”. In einem internen Prüfbericht des IWF wurden Rato, aber auch dessen Vorgänger und Nachfolger schwerwiegende Fehler im Zusammenhang mit der weltweiten Finanzkrise angelastet. Nun zeichnet sich auch ab, dass der Madrilene während seiner Amtszeit in Washington weiter unlautere Geschäfte betrieb.Zurück daheim heuerte Rato zunächst bei der Investmentbank Lazard an, bevor er 2010 an die Spitze von Caja Madrid berufen wurde, die noch im selben Jahr mit sechs anderen Sparkassen zur heutigen Bankia fusionierte. Ein Jahr später feierte Bankia ein auf den ersten Blick erfolgreiches Börsendebüt. Die Bilder von Rato beim traditionellen Läuten der Glocke in der altehrwürdigen Bolsa von Madrid gehören bis heute zum Standardrepertoire der Medien, wenn über dessen Gerichtsverfahren berichtet wird. Es war der Anfang vom Ende.Für 2011 wies Bankia einen Reingewinn von 300 Mill. Euro aus, doch die Wirtschaftsprüfer von Deloitte verweigerten die Unterschrift für die Jahresbilanz. Im Mai 2012 trat Rato zurück, nachdem das Wirtschaftsministerium, das von seinem früheren Staatssekretär Luis de Guindos geführt wurde, einem Strategieplan die Zustimmung verweigerte. Kurz darauf entdeckte das neue Management von Bankia ein Milliardenloch, das die staatliche Intervention mit Hilfen von fast 23 Mrd. Euro und letztlich den internationalen Rettungsschirm für Spaniens Finanzbranche auslöste.Die kurze Zeit an der Spitze des viertgrößten Kreditinstituts des Landes hat Rato mehrere Gerichtsverfahren eingebracht. So wird er der Bilanzfälschung vor dem Börsengang beschuldigt, was Zehntausende Anleger viel Geld kostete. Es kam auch der Verdacht auf, dass er von seinem vorherigen Arbeitgeber Lazard für die Vergabe von Aufträgen von Bankia kassiert haben soll. Durch die Veröffentlichung der “Panama-Papiere” wurde später bekannt, dass Rato schon zu Zeiten als Minister Firmen in Steuerparadiesen besaß, über die er Einnahmen vor dem heimischen Fiskus versteckt haben soll. Das neueste Verfahren untersucht, ob der ehemalige Superminister die unter seiner Ägide privatisierten Staatskonzerne wie Repsol, Endesa oder Telefónica dazu zwang, Unternehmen aus seiner Familie Aufträge zu erteilen. Vor Gericht wies Rato diese Vorwürfe rigoros zurück und sprach von einer “allumfassenden, kriminellen Hypothese für mein ganzes Leben”.Bislang ist der frühere IWF-Chef erst in einem Fall verurteilt worden. Für den Missbrauch der sogenannten “schwarzen Kreditkarten” bei Bankia bekam Rato viereinhalb Jahre Haft aufgebrummt. Über Jahre hatten Vorstände und Aufsichtsräte der ehemaligen Sparkasse 2,7 Mill. Euro über die Karten für ihren persönlichen, oft fragwürdigen Gebrauch abgezogen, ohne die Ausgaben zu deklarieren. Rato, der auf der Legalität dieser Art von Sondervergütung beharrt, kaufte mit der Karte in Schuhgeschäften ein und hatte an einem einzigen Tag eine Getränkerechnung in Höhe von 3 547 Euro aufgestellt. Der Ex-Vorsitzende und dessen Vorgänger bei Caja Madrid, Miguel Blesa, legten Berufung gegen das Urteil ein und blieben vorerst auf freiem Fuß. Blesa nahm sich Mitte Juni das Leben.Wegen der Skandale wendeten sich die alten Weggefährten von Rato ab. Die Partei, die ihren Superminister früher wie einen Star feierte und als glänzendes Beispiel für ihre wirtschaftspolitische Kompetenz anführte, schloss ihn vor drei Jahren aus. Die Vorsitzende der Großbank Santander, Ana Botín, setzte ihn als internationalen Berater ab, nachdem die Vorstände der Bank bei jeder Gelegenheit mit dem Fall konfrontiert worden waren. Bei Telefónica hielt Ratos alter Verbündeter César Alierta, der dem Wirtschaftsminister seinerzeit den Vorsitz des gerade privatisierten Telekomriesen verdankte, trotz allem Druck noch ein Weilchen länger an ihm fest. Hadern mit der VergütungVom gefeierten Architekten des spanischen Wirtschaftsaufschwungs zu Beginn des Jahrtausends ist Rodrigo Rato heute zur Symbolfigur für die Verfehlungen dieser Epoche geworden. Und den diversen Ermittlungen nach scheint er sich dabei die ganze Zeit persönlich bereichert zu haben. Wenige Monate vor seinem Rücktritt vom Chefsessel bei Bankia klagte er über die im europäischen Vergleich zu niedrigen Bezüge der Politiker in Spanien. “Keiner übt einen öffentlichen Posten aus, um sich zu bereichern, aber es gibt auch Grenzen. Die Vergütung im öffentlichen Bereich steht in keinem Verhältnis zur Verantwortung”, sagte Rato im Februar 2012. Drei Monate danach, am Tag seines Rücktritts, stand auf der Abrechnung seiner schwarzen Kreditkarte noch ein Abendessen für 341,63 Euro.—-Zuletzt erschienen:- “Die Regulierung hat sich als Flop erwiesen” (18. Juli)- Strafrecht bietet nur stumpfes Schwert (8. Juli)- Ökonomische Ideen zum Vergessen (24. Juni)