IM INTERVIEW: GERHARD HOFMANN, VORSTANDSMITGLIED BUNDESVERBAND DER DEUTSCHEN VOLKSBANKEN UND RAIFFEISENBANKEN (BVR)

"Das ist für uns schlicht nicht akzeptabel"

Die Genossenschaftsbanken verfolgen die Reformdebatte in der Eurozone mit Sorge - Voraussetzungen für Einlagensicherung noch Jahre nicht erfüllt

"Das ist für uns schlicht nicht akzeptabel"

– Herr Hofmann, die Eurozone diskutiert aktuell über Reformen in der Währungsunion. Es geht um die Bankenunion, die Einlagensicherung (Edis) und den Eurorettungsschirm ESM, um nur einige Stichworte zu nennen. Die EU-Kommission hat Vorschläge vorgelegt. Der französische Präsident Emmanuel Macron ebenso. Mit welchen Hoffnungen und Sorgen verfolgen Sie die Debatte?Europa braucht Visionen. Und die Eurozone braucht auch Visionen. Das kann man nicht abstreiten. Aber in vielen der bisherigen Vorschläge aus Brüssel und Paris geht es um weitreichende institutionelle Themen. Sie zielen nicht darauf ab, die Eurozone und die EU insgesamt wettbewerbsfähiger zu machen und die demokratische Legitimation ihrer Organe zu verbessern. Dies sehen wir mit Sorge. Die Bundesregierung sollte diese Aspekte stärker in der Debatte einbringen. – Von einer weiteren Stärkung und Vertiefung der Währungsunion würde doch auch Deutschland profitieren. Oder sehen Sie das anders? Ja, aber was heißt Stärkung genau? Und was bedeutet dies für den Beitrag Deutschlands? Viele der Vorschläge, über die heute diskutiert wird, setzen vor allem auf signifikant höhere Transferleistungen und eine stärkere Vergemeinschaftung von Risiken. Es geht darum, die Unumkehrbarkeit des Euro noch stärker zu unterlegen. Aber dass die Eurozone damit längerfristig gestärkt wird, sehe ich nicht unbedingt. Ich glaube, wir können die Währungsunion im Endeffekt nur stärken, indem wir sie tatsächlich wettbewerbsfähiger machen, das heißt auch, vorhandene Altlasten zu beseitigen.- Werden also die falschen Schwerpunkte in der Debatte um die Währungsunion gesetzt?Es besteht durchaus die Gefahr, dass die Politik falsche Anreize setzt. Nehmen wir zum Beispiel die Diskussion um die Einführung eines Schlechtwetterfonds in der Eurozone, der ja Ende März auch von IWF-Chefin Christine Lagarde gefordert wurde. Bei weiterhin weitgehend autonomen nationalen Wirtschaftspolitiken die Konjunkturrisiken durch einen Fonds oder ähnliche Konstruktionen auf die ganze Eurozone absichern zu können erscheint wenig konsistent. Es würden damit Anreize geschaffen, Reformen zu verschieben und nationale Probleme auf Partner abzuwälzen. Letztlich würde ein solcher Schlechtwetterfonds, falls man ihn nicht stark konditionieren würde, ja auf ein unbegrenztes Commitment gegenüber den einzelnen Euro-Staaten hinauslaufen. Ein solches System ist in den europäischen Verträgen nicht vorgesehen. – Der europäische Fahrplan sieht Kompromisse zur Vollendung der Bankenunion sowie Entscheidungen zur Weiterentwicklung des Eurorettungsfonds ESM schon bis Ende Juni vor. In der nächsten Woche stehen diese Themen auch beim Treffen der Eurogruppe wieder ganz oben auf der Agenda. Worauf sollte die Bundesregierung in den anstehenden Debatten Ihrer Meinung nach konkret dringen?Zunächst einmal, dass die Vor- und Nachteile der einzelnen Reformen in der Öffentlichkeit auch sehr transparent dargestellt werden, sei es bei der Einlagensicherung, sei es bei einem ESM-Umbau. Den Wählern dürfte vielfach nicht klar sein, dass aufgrund der Übernahme fremder Risiken und finanzieller Transfers auch ihre persönliche Steuerbelastung mehr und mehr von Entscheidungen der Mehrheit der Euro-Mitgliedstaaten abhängt. Nicht nur in Deutschland, auch in Frankreich und allen anderen Mitgliedstaaten der Eurozone sollte es eine Diskussion über Wirkungen von Reformen der EU geben, denn die betreffen sowohl die nationalen Budgets als auch den EU-Haushalt.- Deutschland hat sich im Koalitionsvertrag ja schon zu höheren EU-Beiträgen bereit erklärt.Ja, das ist eine zwangsläufige Folge des Brexit und zunehmender Aufgaben der EU. Dieses Zugeständnis kann aber nicht ohne Gegenleistungen erfolgen. Die zusätzlichen Gelder werden natürlich immer gerne genommen. Aber dass sich dadurch auch Europa weiter entwickelt, ist längst nicht sicher. Die deutsche Politik sollte zusätzliche Gelder ebenso wie weitere Integrationsschritte nicht unkonditioniert freigeben, sondern immer mit Strukturreformen verbinden. Die politische Aufgabe kann doch nur sein, Europa im internationalen Kontext zu stärken. Reine Umverteilungen lösen nicht Probleme, sondern verschieben diese in die Zukunft. Und meist werden sie dadurch nur noch größer.- Besonders intensiv wird aktuell wieder über die Einführung einer europäischen Einlagensicherung – kurz: Edis – diskutiert. Hier soll bis Juni die Einigung auf einen neuen Fahrplan gelingen.Aber es gibt ja schon eine Roadmap. Auf die haben sich die Euro-Finanzminister im Juni 2016 geeinigt. Und dort steht ganz klar, dass erst einmal die Risiken im Bankensektor weiter abgebaut werden müssen, bevor eine politische Diskussion über Edis überhaupt erst startet. An getroffene Absprachen sollten sich die Beteiligten halten. Für uns ist es ganz offensichtlich, dass diese notwendige Risikoreduzierung noch nicht erreicht ist und realistisch noch viele Jahre braucht. Es muss klar sein, worüber wir reden: Edis ist ein System der unbegrenzten Haftung unter Banken. Und um so ein System installieren zu können, müssen wir erst einmal homogene wirtschaftliche und rechtliche Bedingungen haben. Keine private Versicherung würde unter den gegenwärtigen, stark divergierenden Risikobedingungen innerhalb der Eurozone einen Vertrag anbieten.- Welche Risiken sind denn noch nicht genügend abgebaut worden?Sehen Sie sich den Bereich der immer noch gefährlich hohen Non-Performing Loans (NPL) an. Hier werden wir sicherlich noch fünf Jahre oder länger brauchen, bis wir ein ausreichend niedriges Level erreicht haben. Dass kürzlich eine geplante Ergänzung der EZB-Guidelines zu NPL gerade in Italien und anderen südeuropäischen Ländern auf große Widerstände gestoßen ist, bestätigt nur, dass es hier immer noch zu hohe Kreditrisiken in manchen Bankbilanzen gibt. Ebenso ist wenig Fortschritt bei der Harmonisierung des Insolvenzrechts einschließlich der Verwertung von Kreditsicherheiten erreicht worden. – Und was ist mit den hohen Beständen an Staatsanleihen in vielen Bankbilanzen?Dieser Link zwischen Banken und Staaten hat sich in den letzten Jahren sogar noch erheblich verstärkt. Angesichts der hohen Staatsverschuldung in vielen Ländern ist dieses Thema noch relevanter geworden. Die Staatsanleihen können die Banken ernsthaft treffen, sei es durch Spread-Ausweitungen, weil die Bonität von Ländern wieder schlechter eingeschätzt wird, sei es durch Zinsänderungsrisiken. Und bei unsicherem fiskalischem Ausblick ist die Gefahr, dass über Edis auch Staatsrisiken auf Banken übertragen werden, nicht nur eine theoretische Überlegung.- Ist Edis letztlich auch ein Vertrauensthema?Eindeutig. Nach den ganzen multiplen Verletzungen der Maastricht-Kriterien ist es wenig wahrscheinlich, dass “Risikoreduzierung” in allen Ländern auch gleich interpretiert wird. Wahrscheinlich ist es eher, dass der Begriff politisch ausgelegt wird. Der politische Druck, zu einer gemeinsamen zentralen Einlagensicherung in der Eurozone zu kommen, ist in den letzten Monaten aus einer Reihe von Ländern größer geworden. Dass die EU-Kommission aber bis heute keine Auswirkungsstudie vorgelegt hat, die mit Fakten und Argumenten begründet, weshalb diese Vergemeinschaftung notwendig und die beste aller möglichen Optionen ist, deutet schon darauf hin, dass Edis in Brüssel als rein politisches Projekt gesehen wird. – Welche Rolle spielt die Institutssicherung der Genossenschaftsbanken in diesem Zusammenhang? Die Edis-Vorschläge der EU-Kommission sehen keine Institutssicherung mehr vor. Das ist für uns schlicht nicht akzeptabel. Unser bewährtes System hat seit 1934 alle politischen, wirtschaftlichen, militärischen, ökologischen und sonstigen Krisen überstanden. Es kann der Politik in Brüssel nicht gleichgültig sein, dass gut funktionierende Systeme für Edis geopfert, sprich zerstört werden oder dies zumindest in Kauf genommen wird. Regulierungspolitik sollte nicht strukturverändernd dort wirken, wo Strukturen seit Jahrzehnten die Wirtschaft unterstützen und Vertrauen ausstrahlen. Für Deutschland kann ich nicht erkennen, dass Edis nennenswerte positive Wirkungen über den Status quo hinaus entfalten könnte, da unsere Einlagensicherungs- und Institutssicherungssysteme den Bankenmarkt stabil gehalten und das Vertrauen der Einleger bewahrt haben.- Sehen Sie die Chance, dass beim Thema Edis bis Juni eine Kompromisslösung in der Eurogruppe gefunden wird?Angesichts der erwähnten Probleme möchte ich mir das nicht vorstellen. Der weitere Verlauf wird entscheidend von der Bundesregierung abhängen.—-Das Interview führte Andreas Heitker.