GASTBEITRAG

Das Pendel schlägt um

Börsen-Zeitung, 5.7.2016 Fintechs bringen Banken auch in einem ihrer ureigenen Geschäftsfelder - der privaten Geldanlage - in Bedrängnis. Die Reaktion deutscher Finanzinstitute auf die neue digitale Konkurrenz klingt dann häufig so: Es gibt eine...

Das Pendel schlägt um

Fintechs bringen Banken auch in einem ihrer ureigenen Geschäftsfelder – der privaten Geldanlage – in Bedrängnis. Die Reaktion deutscher Finanzinstitute auf die neue digitale Konkurrenz klingt dann häufig so: Es gibt eine funktionierende Finanzberatung in Deutschland. Menschen wünschen sich weiterhin eine persönliche Beratung in Finanzfragen. Und Geldanlage ist und bleibt eine Sache des Vertrauens. Das ist letztlich auch das Fazit eines Gastbeitrags von Hans Joachim Reinke, Vorstandsvorsitzender der Union Investment-Gruppe, der am 8. Juni an dieser Stelle erschienen ist. Bei seinen Aussagen handelt es sich nicht um grundsätzliche Fehleinschätzungen, sie vermitteln aber ein stark verkürztes Bild der Realität. Zwei VariantenEine gute Finanzberatung gibt es in Deutschland nur für Menschen ab einer Anlagesumme von über 1 Mill. Euro, also für rund 1 % der deutschen Bevölkerung. Diese Anleger kommen in den Genuss einer Finanzberatung und Vermögensverwaltung, wie sie sein sollte: individuell, unabhängig und kosteneffizient. Der Anleger, der sein Geld mangels Zeit, Bereitschaft oder Kenntnis nicht selbst anlegen will oder kann, hatte bisher nur die Wahl zwischen niedrig verzinsten Spar- und Tagesgeldkonten oder teuren – meist hauseigenen und provisionsgetriebenen – Fondslösungen. Im aktuellen Niedrigzinsumfeld ist das die Wahl zwischen einer inflations- oder einer kostenbedingten Geldvernichtung. Mit einer “guten Finanzberatung” oder gar mit einer professionellen Vermögensverwaltung haben beide Varianten nichts zu tun. Viele Menschen haben das längst begriffen. Deshalb liegen in Deutschland über 2 Bill. Euro faktisch unverzinst auf Tages- und Festgeldkonten. Die Summe auf deutschen Girokonten ist seit 2010 um 30 % gestiegen. Das gehortete Bargeld verzeichnet in den letzten fünf Jahren einen Zuwachs von 40 %. Hinzu kommt, dass börsengehandelte Fonds (ETF) eine der größten Erfolgsgeschichten der letzten Jahre sind – obwohl diese passiven Indexfonds von Banken aufgrund ihrer günstigen Kostenstruktur nicht aktiv angeboten werden. All diese Faktoren lassen nur einen Schluss zu: Das Misstrauen gegenüber Banken und ihren aktiv verwalteten Fonds wächst. Die Konsequenz ist ernüchternd: Im Vermögensbericht der EZB aus dem Jahr 2013 landet Deutschland trotz höchster Sparquote auf dem letzten Platz. Für reine Online-LösungenBei der Geldanlage schlägt das Pendel daher bereits in Richtung Digitalisierung um. Das Niedrigzinsumfeld erhöht die Sensibilität für Kosten. Das generelle Verständnis für die Vorteile von Technologie wächst. Mit einer fairen Kostenstruktur und einer transparenteren Kommunikation von Verlustrisiken lassen sich auch die traditionell risikoscheuen deutschen Anleger für den Kapitalmarkt gewinnen. Deshalb werden sich “Online only”-Lösungen auch in der Geldanlage etablieren und die provisionsgetriebene Bankberatung, die man guten Gewissens auch Bankvertrieb nennen könnte, mittelfristig größtenteils ablösen.In den USA werden heute bereits über 50 Mrd. Dollar von automatisierten Investment Managern verwaltet. Bis 2020 könnte diese Summe laut A.T. Kearney auf über 2 Bill. Dollar steigen. Europa hinkt solchen Entwicklungen traditionell etwas hinterher, aber auch hier wird in zehn Jahren jeder Anleger irgendeine Form von Robo-Advice nutzen. Die Vorteile sind einfach zu überzeugend. Überlegene TechnologieTechnologiebasierte Lösungen ermöglichen eine individuell auf die jeweilige Risikotoleranz zugeschnittene und kosteneffiziente Geldanlage. Denn Risikomanagement-Technologien überwachen rund um die Uhr und führen automatisch Umschichtungen durch, sobald die Risikoprojektionen eine drohende Verletzung der festgelegten Risikokategorie anzeigen. Das Ergebnis: Anleger wissen zu jedem Zeitpunkt, welches Verlustrisiko sie eingehen. Das schont ihre Nerven und sorgt dafür, dass sie keine emotionalen Entscheidungen treffen und beispielsweise bei ihren Engagements zu früh aus dem Kapitalmarkt aussteigen.Ein Bankberater könnte diese Datenmengen nicht einmal ansatzweise auswerten und verarbeiten – und schon gar nicht für Tausende unterschiedlicher Portfolios. Gleichzeitig lassen sich die Kosten durch die Automatisierung der Prozesse auf unter 1 % des verwalteten Vermögens pro Jahr reduzieren.Kurzum: Technologie gibt vielen Privatanlegern erstmals Zugang zu einer professionellen und unabhängigen Vermögensverwaltung – einer Dienstleistung, die bisher nur sehr wohlhabenden Menschen zur Verfügung stand. Mehr als FinanzberatungDas Leistungsspektrum einer digitalen Vermögensverwaltung geht weit über das einer klassischen Finanzberatung hinaus. Die Finanzberatung endet letztlich mit dem Kauf eines standardisierten Finanzprodukts, der Anleger muss dabei letztlich die Kaufentscheidung treffen. Der Berater hat keinerlei Verpflichtung, sich fortlaufend um die Pflege des Portfolios zu kümmern. Außerdem steht der Berater im ständigen Interessenkonflikt mit seinen Kunden, weil er am Verkauf der Produkte verdient. Das ist in etwa so, als würde der Arzt nicht an der Behandlung seines Patienten verdienen, sondern am Verkauf der Medikamente.Ein digitaler Vermögensverwalter agiert unabhängig, hat das Portfolio seiner Kunden rund um die Uhr im Blick und erhebt eine transparente Gebühr auf das verwaltete Vermögen und nicht auf Produkte. Nachhaltig muss es seinKeine Frage, es gibt auch zahlreiche Online-Angebote, die nur wenige Standardportfolios ohne echte Vermögensverwaltung anbieten. Aber online hat der Anleger die Wahl zwischen einer Vertriebsplattform und einer technologiegetriebenen Vermögensverwaltung. Und die ist – anders als von Herrn Reinke dargestellt – durchaus in der Lage, ganz wesentlich zu einer nachhaltigeren Vermögensbildung in Deutschland beizutragen. Deutsche Anleger müssen nämlich nicht mehr sparen, sie müssen intelligenter sparen. Aber ohne den Einsatz moderner Technologie ist das nicht möglich.—-Erik Podzuweit, Scalable Capital Gründer und CEO