Das Unternehmen der Zukunft: Ein kleines Hauptquartier mit vielen Satelliten

Digitalisierung zwingt zu neuen Arbeitsformen - Immobilien werden offener und transparenter - Bedürfnisse der Mitarbeiter dürfen nicht vergessen werden

Das Unternehmen der Zukunft: Ein kleines Hauptquartier mit vielen Satelliten

tl Frankfurt – In den kommenden Jahren wird sich die Arbeit von Menschen für ein Unternehmen grundlegend ändern. Die neue Bürowelt besteht aus einem Kern fest Angestellter, um die sich eine Vielzahl freier Mitarbeiter gruppiert. Alle arbeiten in neuen Formen zusammen. Dies verlangt von allen Beteiligten ein hohes Maß an zeitlicher und räumlicher Flexibilität. Mobiler, flexibler, modularerImmobilien werden in den kommenden zehn Jahren “mobiler”, sagte Christian Koch, Mitglied des Management Board Germany der Jones Lang LaSalle SE, zu Beginn der Tagung “Bürowelt reloaded”. Sie wurde gemeinsam von JLL und der Börsen-Zeitung veranstaltet. “Immobilien, im Sinne von mobilen Nutzungsorten, werden flexibler, modularer und auf Geschäftszyklen angepasst.” JLL erwartet, dass 30 % des Büroportfolios eines Unternehmens bis 2030 flexible Flächen umfassen werden (zum Beispiel Coworking-Konzepte und Accelerator-Konzepte). Ein gutes Beispiel der Fokussierung auf den Nutzen ist Koch zufolge Airbnb. Das Unternehmen biete flexible Übernachtungsmöglichkeiten beziehungsweise Unterkünfte, ohne selbst in Immobilien investieren oder klassische Mietverträge zur Flächenbereitstellung abschließen zu müssen. Dabei ist die digitale Vernetzung eine Grundvoraussetzung des Geschäftsmodells.”Dieses Beispiel zeigt, dass digitale Vernetzung notwendig ist, um neue Formen der Immobiliennutzung zu ermöglichen”, sagt Koch. “Konnektivität wird in diesem Sinne zum vierten Produktionsfaktor (neben Boden, Kapital und Arbeit).” Der bei JLL für Corporate Solutions und Project & Development Services zuständige Manager ist überzeugt davon, dass Unternehmen, die nicht den Anforderungen moderner, digital unterstützter Arbeitsplätze und Arbeitsweisen nachkommen und diese aktiv gestalten, im Wettbewerb (um Talente) zurückfallen werden.Auch für Ralf Heuser, Leiter der Geschäftsbereichs Corporate Solutions bei JLL, ist klar: Die Digitalisierung verändert die Bürowelten grundlegend. Immer mehr Menschen werden einen Teil ihrer Arbeitswoche nicht an ihrem Arbeitsplatz verbringen – sondern bei Kollegen, in Meeting-Räumen oder in Bereichen informeller Kommunikation wie Kaffeeküchen. “Die Unternehmen wollen ihren Shareholder Value in den kommenden Jahren in erster Linie durch kollaboratives, also aus der Zusammenarbeit entstehendes Wachstum steigern”, zitiert Heuser aus einer Befragung von CEOs durch KPMG. Immer mehr ComputerDer weiter zunehmende Einsatz vernetzter Endgeräte (Digitalisierung) dürfte gravierende Auswirkungen auf einige Tätigkeitsfelder haben. Dies gilt für das Telemarketing, Wirtschaftsprüfer, aber auch für Analysten (s. Grafik). “Die Zukunft wird schlanker”, meint Tom Carroll, Corporate Researcher für Europa, den Mittleren Osten und Afrika bei JLL. “Durch zunehmendes Outsourcing und mehr Automatisierung werden sich die Unternehmen zunehmend die Expertise von Außenstehenden holen, ganz egal, wo diese sitzen.” Gutes Beispiel ist für Carroll die Softwarefirma Topcoder, die mit Hilfe von 300 000 freiberuflichen Programmierern in über 200 Ländern Unternehmenssoftware u.a. für die UBS und den US-Sportfernsehsender ESPN entwickelt.Um innovativer zu werden, sollten Unternehmen vermehrt auf neue Formen der Kollaboration setzen. Dazu zählen für Carroll Coworking, Inkubatoren, Acceleratoren, Centers of Excellence und Fablabs (offene, demokratische Werkstätten mit Zugang zu Produktionsmitteln und modernen industriellen Produktionsverfahren).Standortentscheidungen hängen für Matthijs Weeink von JLL Corporate Solutions London von vier Faktoren ab: dem Erschließen neuer Märkte und Ressourcen, der Effizienzsteigerung und dem Streben nach strategischen Vorteilen (z. B. durch Übernahmen). Mit Hilfe einer eigenen Software bewertet JLL potenzielle Standorte nach grundsätzlichen Faktoren wie Einzugsgebiet, Wettbewerbern und Sprachkenntnissen der Einwohner, berücksichtigt dabei aber die spezifischen Prioritäten der einzelnen Unternehmen. “Viele Banken suchen nach IT-Spezialisten, nicht nach Bankern”, umreißt Weeink eine solche Grundbedingung für eine Standortentscheidung. “An anderen Standorten geht es darum herauszufinden, ob nach einem starken Anstieg der Beschäftigung noch genügend geeignete Arbeitskräfte für eine weitere Ansiedlung vorhanden sind.” Die Daten sind da”Die Daten sind vorhanden”, sagte Frank Papenthin von Jones Lang LaSalle Services mit Blick auf die vielen Tausend Sensoren, die in einem modernen Bürogebäude Daten sammeln. “Es kommt nur darauf an, sie sinnvoll zu nutzen.” Das fängt beim digitalen Empfang an, geht über die individuelle Einstellung von Beleuchtung und (teilweise) Temperatur und hört bei der Feststellung der Aufenthaltsorte einzelner Mitarbeite im Gebäude noch lange nicht auf. “Digitale Prozesse erfordern aber die Akzeptanz der Mitarbeiter”, betonte Robert Wenzel von JLL Corporate Solutions. Neue Arbeitswelt in MünchenSeit Sommer vergangenen Jahres können die Mitarbeiter des Siemens-Hauptquartiers in München die neue Arbeitswelt erleben. “Wir haben besonderen Wert auf Offenheit und Transparenz gelegt”, sagte der für dieses Projekt verantwortliche General Manager von Siemens Real Estate, Thomas Braun. Ebenerdig führen öffentliche Wege durch ein Gebäude, das besonders ressourcenschonend ist. “Die Bürolandschaft ist offen, und der Arbeitsplatz kann frei gewählt werden.”In Erlangen will Siemens bis 2040 auf 54 Hektar auf bereits von der Firma genutztem Gelände ihren größten Bürostandort weltweit eröffnen. “Wir bauen in drei Bauabschnitten einen Campus für insgesamt 15 000 Mitarbeiter.” Hier wie in München wird die hauseigene Technik zur Digitalisierung eingesetzt. “Dabei fragen wir uns aber immer: Was ist gut für die Mitarbeiter? Und: Was ist gut für den Betrieb der Immobilie?”