Jürgen Eckert

Degussa Bank feilt an Ökosystem

Die Degussa Bank kündigt weitere Filialschließungen an. Ersetzen soll sie eine eigens entwickelte virtuelle Filiale, die sich die Bank patentieren lassen will. Als Teil einer digitalen Offensive soll sie neue Kundschaft und Erträge bringen.

Degussa Bank feilt an Ökosystem

Von Tobias Fischer, Frankfurt

Die Degussa Bank baut ein digitales Ökosystem auf, von dem sich das Management haufenweise neue Kontakte, Kunden und Erträge erhofft. Das Institut, das sich mit seinen Dienstleistungen und Produkten traditionell vor allem an Unternehmen und deren Mitarbeiter richtet, hat bereits in den vergangenen Jahren kräftig in die Digitalisierung investiert (vgl. BZ vom 31.7.2019). Nun widmet es sich mit Hochdruck der Aufgabe, seine verschiedenen digitalen Plattformen zu verquicken, mit bestehenden wie potenziellen Kunden in den virtuellen Dialog zu treten, ihr Online-Verhalten mit auf künstlicher Intelligenz basierenden Verfahren besser auszuwerten und die Erkenntnisse etwa über zielgenaue Angebote zu monetarisieren. 

Ehrgeizige Ziele

Die Hoffnung sei, bis 2025 insgesamt 4,8 Millionen Endkunden ge­wonnen zu haben, sagt Vorstandsvorsitzender Jürgen Eckert im Ge­spräch mit der Börsen-Zeitung. Aktuell zählt der Konzern (s. Kasten) rund 1,3 Millionen Kunden, wobei allein die sich an Mitarbeiter von Unternehmen richtende Rabatt- und ServiceplattformMivo die Hälfte beisteuert, die Bank knapp 400000.

An ehrgeizigen Zielen mangelt es nicht: Die Zahl der Unternehmenskunden, zu denen bereits viele Schwergewichte wie Siemens und BASF gehören, will Eckert auf 6000 nahezu verdoppeln, den Vorsteuergewinn auf 115 Mill. Euro gut verzehnfachen. „Wir sind sehr, sehr weit gediehen mit der Entwicklung des digitalen Geschäftsmodells“, sagt Eckert, der seit 21 Jahren an der Spitze des Instituts steht. Nachdem in den vergangenen fünf Jahren jährlich 10 Mill. bis 15 Mill. Euro für Digitalisierung ausgegeben worden seien, sollen mindestens noch für drei Jahre Beträge in dieser Größenordnung – wenngleich am unteren Ende der Spanne – investiert werden.

Gemäß Eckerts Losung – „der Kontakt im digitalen Raum ist das Erfolgsprinzip“ – will er die verschiedenen Angebote der Konzerntöchter ausbauen und mit Partnergesellschaften, Firmenkunden und deren Mitarbeitern sowie neuen Zielgruppen zusammenbringen. Dazu zählt beispielsweise das Deutsche Rote Kreuz. In einer Kooperation mit dem Verband in Sachsen können Bürger, die sich vollständig gegen Corona impfen lassen, Gutscheine und Angebote von mehreren Hundert Kooperationspartnern der Degussa-Bank-Tochter Mivo, was für Mitarbeitervorteile steht, in Anspruch nehmen. Gut 20000 neue Nutzer, die davon Gebrauch machen, hat die Zusammenarbeit mit dem DRK dem Finanzkonzern Eckert zufolge beschert.

Alles in allem wachse das gesamte „Mehrwert-Universum“, wie der Vorstandschef es nennt, aus sich selbst heraus, ist er überzeugt. Zu finden seien dort Finanzprodukte ebenso wie Angebote für Arbeit, Freizeit und Gesundheit. Ein Potenzial von nicht weniger als rund 30 Millionen Nutzern rechnet sich die Degussa Bank damit aus.

Patent angemeldet

Jüngster Baustein des Degussa-Bank-Ökosystems ist der digitale Bankshop, der neben das klassische Online-Banking tritt, es aber keineswegs ersetzen soll, wie Eckert ausführt. Auch hier sind die Erwartungen hoch. Die von der Bank von November vergangenen Jahres an selbst entwickelte Online-Filiale verlegt den realen Besuch einer Degussa-Zweigstelle in die digitale Sphäre, leicht bedienbar navigieren Besucher im virtuellen Raum. Das sei in dieser Form noch nirgends zu finden, weshalb für die „Weltneuheit“ ein Patent in Deutschland, Europa und den USA angemeldet worden sei, berichtet Eckert.

Kunden können die Online-Filiale fast wie im echten Leben betreten, verfügbare Berater auswählen und etwa per Videotelefonie direkten Kontakt zu ihnen aufnehmen. Die Erreichbarkeit ist auch über Telefon, E-Mail oder Chat gewährleistet. Einzigartig sei, dass der Kunde Zugriff auf die Kalender der Bankmitarbeiter hat und einen Termin selbst auswählen kann. Die Bankmitarbeiter werden verschiedenen sogenannten Communities zugeordnet, in denen Expertise nach folgenden Thematiken, die sämtliche Angebote der Bank abdecken, gebündelt wird: Immobilienkredite, Konsumentenkredite, Wertpapierberatung, Versicherungsleistungen, Immobilien als Kapitalanlage und Smart Services, die As­pekte rund um Konten und Karten be­treffen. Partnerunternehmen können den digitalen Bankshop zum Beispiel in ihr Intranet einbinden und so ihren Mitarbeitern zur Verfügung stellen. Im Einsatz ist er Eckert zufolge seit zwei Monaten – zuerst bei Siemens, dem Reisekonzern Tui und der Funke Mediengruppe, doch andere Unternehmenskunden der Bank werden folgen. Der Bankshop ist für sie kostenfrei, im Gegenzug erhält die Degussa Bank Kontakte, aus denen, wenn es gut läuft, neue Kunden werden. So eröffne sich die Möglichkeit, Zugang zu Mitarbeitern von Konzernen weltweit zu erhalten.

Die bisherigen positiven Erfahrungen bewogen den Vorstand der Bank dazu, sich von weiteren Filialen zu trennen. Das sich selbst als einzige Worksite Bank Deutschlands be­zeichnende Institut, das über eine Bilanzsumme von gut 6 Mrd. Euro verfügt, unterhält von einst rund 300 Zweigstellen nach mehreren Schließungswellen in den vergangenen Jahren aktuell noch 129 in In­dustrie- und Technologieparks sowie auf Unternehmensgeländen in der ganzen Republik.

„Wir schließen 50 bis 60 Bankshops am 1. Oktober und ersetzen sie durch den virtuellen Bankshop“, kündigt Eckert an. Die Pandemie war ihm zufolge dafür nicht ausschlaggebend, habe den Pro­zess aber beschleunigt. Welche in Betrieb bleiben, richte sich danach, dass eine ge­wisse Mindesterreichbarkeit ge­wahrt sei. Zumindest in Bal­lungsgebieten wie München, dem Rhein-Main-Gebiet, Stuttgart, Berlin, Hamburg oder Dresden werden Kunden weiterhin Filialen aufsuchen können.

Baufinanzierung gestrafft

Durch die Schließungen im größeren Maße Kunden zu vergraulen, be­fürchtet Eckert nicht. Die digitale Variante der Zweigstelle komme gut an, Kunden hätten rasch gelernt, in­tu­itiv damit umzugehen. Zudem sei diese Form der Dialogaufnahme hocheffizient. „Man muss den Kundenkontakt ganz anders professionalisieren als früher. Das gelingt durch die Konzentration der Kommunikation mit technologischen Mitteln“, sagt Eckert. „Wurde früher eine Baufinanzierung in der Zweigstelle abgeschlossen, hat das Beratungsgespräch zwei Stunden gedauert. Heute brauchen wir im digitalen Bankshop nur noch 20 Minuten und haben obendrein hochzufriedene Kunden.“ Obschon die Kommunikation von Angesicht zu Angesicht an Bedeutung verliere, hält der Vorstandsvorsitzende sie dennoch für wichtig. Auf Filialen will er deshalb nicht gänzlich verzichten. „Es gibt Menschen, die das persönliche Erlebnis brauchen.“

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