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Demografischer Wandel lässt Sparquote schmelzen

Von Jan Schrader, Frankfurt Börsen-Zeitung, 29.10.2015 Wenn die Finanzbranche auf den morgigen Weltspartag blickt, ist vor allem ein Thema dominierend: Das Niedrigzinsumfeld. "Größte Sorgen" bereiten die Folgen der gegenwärtigen Geldpolitik bereits...

Demografischer Wandel lässt Sparquote schmelzen

Von Jan Schrader, FrankfurtWenn die Finanzbranche auf den morgigen Weltspartag blickt, ist vor allem ein Thema dominierend: Das Niedrigzinsumfeld. “Größte Sorgen” bereiten die Folgen der gegenwärtigen Geldpolitik bereits einem Drittel der Deutschen, wie der Sparkassenverband DSGV wissen lässt; “Niedrigzins dämpft Anlageertrag deutlich”, warnt indes auf Seiten der Kreditgenossen der Bundesverband der Deutschen Volksbanken und Raiffeisenbanken (BVR). Die größten SorgenGrößte Sorgen und gedämpfte Erträge sind nicht zuletzt für die Kreditwirtschaft selbst als Folge niedriger Zinsen charakteristisch, so dass der Fokus auf das Thema nachvollziehbar ist. Für das Verhalten der Sparer dürfte gerade auf längere Sicht jedoch ein anderes Phänomen eine größere Wirkung entfalten: Der demografische Wandel. Die Generation der Babyboomer, die in den späten fünfziger und in den sechziger Jahren geboren wurden, geht auf das Rentenalter zu. Bereits in naher Zukunft werden jedes Jahr weit mehr als eine Million Menschen die Altersgrenze erreichen. Den Gipfel markiert der Jahrgang 1964 mit derzeit mehr als 1,4 Millionen.Die Sparquote dürfte aus Sicht von Ökonomen daher sinken – nicht nur in der Generation selbst, sondern angesichts der großen Zahl der Menschen auch insgesamt. Während das Abfallen der Zinsen seit der Finanzkrise aus Sicht des BVR dazu geführt hat, dass die Sparquote um ungefähr einen Prozentpunkt gesunken ist, wird der demografische Wandel bis Mitte des nächsten Jahrzehnts einen Rückgang von zwei bis drei Prozentpunkten bewirken, wie der Verband schätzt. Weil bis dahin auch vorübergehende Effekte wie der zuletzt stark gefallene Ölpreis verpufft sind, hält der Verband eine Sparquote von ungefähr 6,5 % statt zuletzt 9,7 % in zehn Jahren für realistisch. “Der demografische Trend wird die Höhe der Sparquote tiefgreifend beeinflussen”, sagt BVR-Volkswirt Jan Philip Weber.Auch das Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung (ZEW) und der Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung (die “Wirtschaftsweisen”) haben bereits festgehalten, dass die Sparquote als Folge des demografischen Wandels sinken wird. Ausschlaggebend ist das Zusammenspiel der vier großen Sparmotive: Altersvorsorge, Immobilienerwerb, Vorsichtssparen und Vererbung. Lediglich das Vorsichtssparen ist auch für Sparer an der Schwelle des Ruhestands in höherem Maße relevant. Die Altersvorsorge ist im Berufsleben ein leitendes Sparmotiv, der Immobilienerwerb darüber hinaus gerade in jüngeren Jahren. Das Motiv des Vererbens ist erst im hohen Alter von großer Bedeutung.Zählt man alle Effekte zusammen, sparen gerade Menschen im dem Lebensjahrzehnt des Renteneintritts vergleichsweise wenig, wie das ZEW in vier Untersuchungen von 1993 bis 2008 herausgefunden hat, als die Sparquoten allerdings insgesamt noch höher waren als heute (siehe Grafik). Weil die Generation der Babyboomer die späten Jahre des Wirtschaftswunders miterlebt hat, könnte sie im Alter ohnehin konsumorientierter sein als die Kriegsgeneration zuvor, argumentieren zudem die Wirtschaftsweisen. In hohem Alter steigt die Sparneigung wieder, weil – neben dem Vererbungsmotiv – die Konsumneigung bei mangelnder Gesundheit nachlassen kann und weil Menschen mit hohem Einkommen insgesamt länger leben und somit die Statistik prägen.Ob und wie weit die Sparquote tatsächlich sinkt, ist allerdings umstritten. Die Bundesbank lässt sich auf keine exakte Prognose ein und nennt in ihrem jüngsten Monatsbericht auch andere wichtige Faktoren, die auf die Kennziffer einwirken – etwa die Vermögenshöhe, die Erwartungen zur künftigen Einkommensentwicklung, das Steuer- und das Sozialsystem. Darüber hinaus kann die Entwicklung von Konjunktur und Preisniveau dazu führen, dass sich der finanzielle Spielraum der Sparer plötzlich ändert und die Konsumgewohnheiten nicht Schritt halten, die Sparquote also steigt oder fällt.Für die Finanzbranche wird auch relevant sein, wie die Menschen ihr Geld anlegen – im zurückliegenden Jahr flossen laut BVR von 160 Mrd. Euro neu angelegter Mittel knapp 91 Mrd. Euro in Sichtguthaben, darunter Bargeld. Es bleibt also Spielraum für Anlagealternativen – auch bei sinkender Sparneigung.