Der Brexit und seine Folgen für deutsch-britische Vertragsbeziehungen
Dr. Boris UphoffPartner bei McDermott Will & EmerySofern das Vereinigte Königreich tatsächlich die Europäische Union verlässt, ist mit Blick auf die bereits existierenden und in der Zukunft abzuschließenden deutsch-britischen Vertragsbeziehungen Vorsicht geboten – und dies unabhängig davon, ob der drohende Austritt des Vereinigten Königreichs letztlich in Gestalt eines “Deal-Brexits” oder eines “No-Deal-Brexits” vollzogen wird.Unzweifelhaft ist zwar zunächst, dass ein Brexit unter keinen Umständen die Wirksamkeit von Verträgen zwischen deutschen Unternehmen und ihren Handelspartnern aus dem Vereinigten Königreich berührt. Egal ob und wie der Brexit durchgeführt tritt, grundsätzlich werden alle bestehenden Verträge unverändert ihre Gültigkeit behalten.Allerdings kann die Durchsetzbarkeit vertraglicher Ansprüche von einem Brexit in Ausnahmefällen beeinträchtigt werden. Dies beispielsweise dann, wenn bestehende Verträge – wie es häufig der Fall ist – pauschal die “Europäische Union” als Vertragsgebiet bezeichnen. Es stellt sich dann die Frage, ob das Vereinigte Königreich im Falle eines Brexits tatsächlich aus dem Vertragsgebiet entfallen soll. Dafür spricht freilich, dass der reine Vertragstext ein solches Verständnis nahelegt, weil das Vereinigte Königreich nach einem Brexit schlicht nicht mehr Teil der Europäischen Union ist. Dagegen spricht aber, dass ein Austritt des Vereinigten Königreichs für die Vertragspartner zum Zeitpunkt der Vertragsverhandlungen jedenfalls dann unvorhersehbar war und nicht einkalkuliert worden ist, wenn der Vertragsschluss deutlich vor dem Brexit-Vote vom 23.6.2016 erfolgt ist. Denn vor fünf oder gar zehn Jahren schwebte wohl den wenigsten Unternehmern ein Brexit als realistisches Szenario vor.Hinzu kommt, dass der Brexit auch dazu führen kann, dass sich – unabhängig von der Frage des Vertragsgebiets – die im Zuge des Vertragsschlusses ausgehandelte Balance zwischen den Vertragspartnern verschiebt. Nicht unrealistisch ist beispielsweise, dass ein Austritt des Vereinigten Königreichs aus der Europäischen Union (vereinzelt) Zölle nach sich zieht, die etwa den Versand von Waren über den Ärmelkanal deutlich teurer machen als bisher.In solchen und ähnlichen Fällen wird man im Einzelfall über eine Anpassung oder gar Aufhebung bestehender Verträge nachdenken müssen. Das deutsche Recht jedenfalls bietet hierfür eine Handhabe: Neben der Möglichkeit einer ergänzenden Vertragsauslegung dürfte wohl vor allem die sogenannte Störung der Geschäftsgrundlage (§ 313 BGB) als richtiger Ansatzpunkt in Betracht kommen. Das deutsche Recht erlaubt hiernach, im Falle einer “Störung der Geschäftsgrundlage” bestehende Verträge anzupassen oder – falls eine Anpassung unmöglich oder unzumutbar sein sollte – gar einseitig im Wege der Kündigung aufzuheben. Eine solche “Störung” des Vertrags ist dabei immer dann anzunehmen, wenn die Parteien bestimmte Umstände im Zuge ihrer Verhandlungen für die spätere Vertragsdurchführung voraussetzten, ohne dass sie dies ausdrücklich oder stillschweigend in dem Vertragstext formuliert haben, und sich später im Zuge der Vertragsdurchführung herausstellt, dass diese vorausgesetzten Umstände von Anfang an fehlten oder nach Vertragsschluss entfallen sind. Es liegt mindestens nahe, den Brexit während eines laufenden Vertrags als Paradebeispiel für einen solchen Wegfall der Geschäftsgrundlage anzusehen; denn jedenfalls bei Verträgen, die deutlich vor dem Brexit-Vote verhandelt und geschlossen wurden, dürften die Vertragspartner den Verbleib des Vereinigten Königreichs in der Europäischen Union in aller Regel unterstellt haben.Die verbreitete Sorge, dass deutsch-britische Vertragsbeziehungen nach einem Brexit wegen regulatorischer Hürden in dem Vereinigten Königreich und der Europäischen Union schlicht undurchführbar werden, dürfte hingegen unbegründet sein. Das Vereinigte Königreich und die Europäische Union werden schon aus Gründen des jeweiligen wirtschaftlichen Eigennutzes alles unternehmen, um etwaige regulatorische Hürden auszuräumen – entweder im Rahmen eines “Deal-Brexits” oder im Wege sonstiger transnationaler Abkommen. Falls dies ganz vereinzelt und wider Erwarten nicht passieren sollte und regulatorische Bestimmungen den Warenverkehr zwischen dem Vereinigten Königreich und der Europäischen Union behindern, wären Unternehmen mit betroffenen Vertragsbeziehungen wiederum nicht schutzlos. Denn auch in solchen Fällen würde § 313 BGB die bereits erwähnte Vertragsanpassung oder -aufhebung ermöglichen.Deutschen Unternehmen, die bereits Vertragsbeziehungen zu Handelspartnern aus dem Vereinigten Königreich unterhalten oder dies künftig vorhaben, ist daher wegen des drohenden Brexits zur Vorsicht geraten:Bereits bestehende Verträge sollten unbedingt fachkundig auf ihre Durchführbarkeit hin überprüft werden. Zieht ein Brexit etwa Zölle oder ähnliche Hemmnisse nach sich, sollte in einem ersten Schritt mit dem Vertragspartner über eine Anpassung des Vertrags nachverhandelt werden. Gelingt dies nicht (und ist der Vertrag deutschem Recht unterworfen), kann notfalls über § 313 BGB eine Anpassung gerichtlich durchgesetzt werden. Für künftige Verträge, die nach einem Brexit verhandelt werden, sollte mehr denn je auf die Rechtswahl und den Gerichtsstand geachtet werden: Die bislang häufige Vereinbarung einer englischen Rechtswahlklausel sowie eines englischen Gerichtsstands (zumeist London) würde nach einem Brexit enorme Risiken bergen: Denn das englische (Prozess-)Recht ist geprägt von Recht und Rechtsprechung der europäischen Institutionen und erweist sich gerade deshalb als sehr berechenbar. Ob und wie sich allerdings ein Brexit auf diese Verflechtungen auswirkt, ist derzeit kaum verlässlich abschätzbar. Baut das Vereinigte Königreich im Zuge eines Brexit auch die jahrzehntelange Verzahnung mit der europäischen Rechtsordnung ab, büßt das britische Recht jedenfalls für deutsche Unternehmen erheblich an Berechenbarkeit ein.