Bankenkrise

Der Credit Suisse läuft die Zeit davon

Die Krise der Credit Suisse hat alarmierende Ausmaße angenommen. Der Abfluss von Kundengeldern und der Niedergang des Aktienkurses setzten sich am Freitag fort, eine Einstufung der Bonität auf Ramschniveau wird nicht ausgeschlossen.

Der Credit Suisse läuft die Zeit davon

Von Daniel Zulauf, Zürich

Die beruhigende Wirkung der 50-Milliarden-Franken-Spritze der Nationalbank von Mittwochnacht ist bereits verflogen. Am Freitag zeigten sich die Finanzmärkte wegen der Credit Suisse schon wieder in höchster Alarmstimmung. Vom Anleihenmarkt gingen direkt vor dem Wochenende sogar noch bedrohlichere Preissignale aus als am Mittwoch, dem Tag, an dem die Aktien der Großbank binnen Stunden bis zu 33% verloren hatten.

Besonders markant sind die jüngsten Kursbewegungen von Schuldpapieren mit einem besonders scharfen Risikoprofil. Eines von vielen Beispielen ist die Anleihe mit der Wertpapiernummer CH0360172719. Die Credit Suisse Group hat 2017 mit der Ausgabe dieses Schuldpapiers 200 Mill. sfr am Kapitalmarkt aufgenommen. Die Gläubiger haben die Papiere in der Erwartung gekauft, dass sie bis zum erstmöglichen Rückzahlungsdatum im September 2023 eine jährliche Verzinsung ihrer Forderung von 3,875% erhalten. 2017 schwankte die Rendite für eine zehnjährige Schweizer Bundesanleihe zwischen 0,2 und 0,6%. Die Credit Suisse bot ihren Gläubigern also eine sehr attraktive Verzinsung.

Kurs heruntergerauscht

Dafür mussten die Gläubiger aber ein besonderes Risiko akzeptieren: Ihre Forderung und die aufgelaufenen Zinsen verfallen vollständig, wenn die Kernkapitalquote der Bank unter die Marke von 7% fällt – wobei sie Ende Dezember bei 14,1% lag – oder wenn die Aufsichtsbehörde eine Abschreibung der Schuld veranlasst, weil die Bank nach Ansicht der Behörde nicht mehr in der Lage ist, ihre Kapitalisierung mit eigenen Maßnahmen zu verbessern. Das Schuldpapier CH0360172719 wurde am Freitagnachmittag an der Six Swiss Exchange nur noch zu 35% des Nominalwertes gehandelt. Bondhändler bezeichnen solche Bewertungsniveaus als „distressed“, also als notleidend. Die Investoren nehmen einen Zahlungsausfall vorweg.

Anleihen unter Druck

Die Credit Suisse und viele andere Banken haben auch sogenannte Bail-in-Anleihen ausgegeben. Solche Schuldtitel können unter bestimmten Bedingungen in Aktienkapital verwandelt werden. Für die Gläubiger ist das sehr unangenehm, denn im Fall einer Insolvenz wird das Aktienkapital zuerst zur Deckung der Schulden herangezogen. Das heißt, die Aktionäre tragen das größte Risiko. Einem Bericht der Nachrichtenagentur Bloomberg zufolge hat die Credit-Suisse-Gruppe verlustabsorbierende Anleihen im Gesamtwert von 76 Mrd. sfr ausstehend. Sie alle werden dem Bericht zufolge auf „Distressed“-Levels gehandelt.

Ein Credit-Suisse-Sprecher wiederholte zwar auf Anfrage der Agentur frühere Aussagen, nach denen sie über ausreichend Kapital und Liquidität verfüge und mit dem frischen Nationalbank-Geld sogar die vorzeitige Rückzahlung einiger Anleihen im Wert von 3 Mrd. sfr plane. Doch die Beteuerungen der Bank, die Lage sei unter Kontrolle, werden im Finanzmarkt offensichtlich nicht mehr geglaubt. Auch der Aktienkurs ist am Freitag wieder im zweistelligen Prozentbereich gefallen.

Von den großen Ratingagenturen, die Schuldner auf ihre Zahlungsfähigkeit prüfen, ist zum Thema Credit Suisse kein Kommentar mehr zu bekommen. „Zu heikel“, sagt der Sprecher einer Agentur in London. Kapitalmarktkenner befürchten, dass die Ratingagenturen die Benotung der Credit-Suisse-Bonität bald auf Ramschniveau senken könnten. Die Bank hat 2022 einen Verlust von 7,3 Mrd. sfr erlitten, und auch für 2023 rechnet sie mit roten Zahlen.

Der heftige Kundengeldabfluss konnte bis Ende März nicht gestoppt werden. Und eine Rückstufung der Credit-Bonität auf Ramschniveau hätte vermutlich schlimme Folgen für die ohnehin schon stark geschundene Investmentbank. Die Bank würde zum Risiko für alle Gegenparteien, ohne die keine Geschäft zu machen sind.

Am Donnerstag tagte der Bundesrat, darunter Finanzministerin Karin Keller-Sutter, im Beisein von Nationalbank und Finanzmarktaufsicht in Sachen Credit Suisse. Die Behörden gaben keine Statements ab, was vielen Beobachtern unverständlich oder gar verantwortungslos erschienen ist. Möglicherweise war der Grund für das Stillschweigen aber ganz einfach der, dass die Behörden bereits mit der eiligen Umsetzung eines Notfallplanes begonnen haben.

Zerschlagung im Gespräch

Der gewöhnlich gut informierte Züricher Finanzblog „Inside Paradeplatz“ will am Freitagmittag bereits von einer immanenten Zerschlagung der Credit Suisse erfahren haben. Der Blogger ventiliert unter Verweis auf eine anonyme Quelle, die sich wiederum auf Informationen von hohen Stellen der Credit Suisse bezieht, dass die Behörden an „Schweizer Lösungen“ für die beiden Flaggschiffe des Finanzkonzerns arbeiteten: Das Schweizer Privat- und Firmenkundengeschäft sollen die Zürcher Kantonalbank und die Raiffeisen-Gruppe unter sich aufteilen, für das internationale Vermögensverwaltungsgeschäft gäbe es Interesse vonseiten der UBS und von Julius Bär, und für das in den vergangenen Jahren stark dezimierte Assetmanagement könnte sich die Deutsche Bank interessieren.

Unklares Schicksal

Aber was passiert mit der Investmentbank, die ein Kernproblem der Credit Suisse darstellt? Gemäß dem Blog könnte die Nationalbank nach dem Vorbild der UBS-Rettung im Jahr 2008 die riskanten Aktiva der Geschäftseinheit übernehmen mit dem Ziel, diese in unbestimmter Zukunft und ohne Zeitdruck auf den Finanzmärkten zu angemessenen Preisen zu veräußern.

Offen ist auch, ob die mutmaßlich angedachte Zerschlagung der Credit Suisse überhaupt gelingen kann. Es gibt viele komplexe Fragen zu lösen. Wer trägt die Verluste, wenn es am Ende des Prozesses solche geben sollte? Die Aufsichtsbehörden aller Länder möchten natürlich eine Übervorteilung des eigenen Publikums verhindern und könnten deshalb ein Interesse haben, einen möglichst großen Teil des für sie greifbaren Eigenkapitals der Credit Suisse zu blockieren. Damit könnten sie aber auch eine geordnete Lösung der Krise behindern. So gesehen sind die Voraussetzungen gegeben, dass die Schweizer in Absprache mit den ausländischen Behörden schon sehr bald das Schicksal der 167-jährigen Bank besiegeln könnten.

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