LEITARTIKEL

Der Gewinn trügt . . .

Seit Jahren vergeht kaum eine Woche, ohne dass wenigstens ein Bankmanager an der Wall Street öffentlich seinen Unmut über die ausufernde US-Regulierungswut kundtut: zu teuer, zu limitierend, zu komplex zu implementieren, neue Risiken schaffend,...

Der Gewinn trügt . . .

Seit Jahren vergeht kaum eine Woche, ohne dass wenigstens ein Bankmanager an der Wall Street öffentlich seinen Unmut über die ausufernde US-Regulierungswut kundtut: zu teuer, zu limitierend, zu komplex zu implementieren, neue Risiken schaffend, unausgewogen, unrealistisch – die Kritikansätze sind kreativ wie zahlreich. Nun scheint eine Studie das ganze Gejammer als Klagen auf sehr hohem Niveau zu entlarven. SNL Financial hat ermittelt, dass die Gewinne der US-Banken im zweiten Quartal mit insgesamt 40,24 Mrd. Dollar so hoch ausfielen wie nur einmal binnen 23 Jahren. Sind die Beschwerden also nicht ernst zu nehmen?Pauschal lässt sich das nicht beantworten. Allerdings haben in den vergangenen Jahren zahlreiche Sonderfaktoren die Nettoergebnisse gestützt, die teils ebenso einflussreich wie flüchtig waren. Während die Branche laut SNL Financial insgesamt zumindest seit Ende 2011 relativ stabile Gewinne zeigt, hat dies auf Institutsebene zu sehr volatilen Ergebnissen geführt. Ein wesentlicher Faktor, der die Bankgewinne in den vergangenen Jahren getrieben hat, war etwa der Abbau der Risikovorsorge. Diese war im Zuge der Finanzkrise in den USA regelrecht explodiert, da viele Schuldner in Zahlungsschwierigkeiten gerieten. In den Folgejahren wurden die Rückstellungen für Kreditausfälle dann wieder reduziert. Unter dem Strich bedeutete dies Buchgewinne in Milliardenhöhe. Altes Thema? Noch immer aktuell! Bank of America hat im ersten Halbjahr 1,5 Mrd. Dollar Gewinnplus aus ihrer gesunkenen Risikovorsorge geschöpft. Bei Wells Fargo waren es 1,3 Mrd. Dollar, bei Citigroup 350 Mill. Dollar. Von den vier größten US-Banken hat nur J. P. Morgan Chase die Risikovorsorge dieses Jahr hochgefahren.Das nach Bilanzsumme größte US-Institut trägt damit der Ausweitung der Kreditvergabe Rechnung und wohl auch einer damit verbundenen Lockerung der Standards. Damit könnte dessen CEO Jamie Dimon den Trend für die nächsten Quartale vorgeben. Die Lockerung der Kreditstandards, die vor Jahren entscheidend zur Immobilien- und Finanzkrise beitrug, beunruhigt offenbar auch die US-Behörden wieder. Das US-Justizministerium sieht sich derzeit etwa die Vergabe von Autokrediten näher an. Branchenexperten zufolge ist diese selbst für schlechte Schuldner so günstig wie lange nicht. 0-Prozent-Finanzierungen über fünf Jahre seien keine Seltenheit. Derweil hat die US-Aufsichtsbehörde Federal Reserve in ihrem vierteljährlichen Bericht festgestellt, dass die Banken vor allem bei Firmenkrediten die nach der Krise verschärften Vergabestandards im zweiten Quartal gelockert haben. Bei Häuserkrediten hätten sowohl Privat- als auch Firmenkunden lockerere Kreditvergabebedingungen vorgefunden, heißt es in dem Bericht.Damit dürfte die Risikovorsorge schon in der näheren Zukunft steigen müssen. Insbesondere, wenn die Fed die Zinsen wie erwartet nächstes Jahr wieder anhebt. Denn derzeit klagen viele US-Banker zwar über das niedrige Zinsniveau und die damit einhergehend niedrigen Zinsmargen. Doch ob angesichts geringer Wachstumsraten und lahmender Lohnentwicklung wesentlich höhere Zinsniveaus von den Kreditnehmern gestemmt werden können, scheint fraglich. Zumal die US-Retailbanken die gesunkene Zinsmarge längst über höhere Gebühren für Kontoführung und andere Dienstleistungen kompensieren. Daher steht Wells Fargo mit der höchsten Konzentration auf den Heimatmarkt von allen US-Großbanken seit Jahren am besten da.Schwieriger ist die Situation für Institute, die bislang stark auf Investment Banking und Eigengeschäft gesetzt haben. Sie spüren die Auswirkungen der Regulierung am stärksten. Zwar haben sich die Erträge hier zuletzt erholt. Dabei darf aber nicht vergessen werden, dass die Banken von der außergewöhnlichen Situation profitieren, dass praktisch alle Assetklassen gut gelaufen sind – sicher kein Dauerzustand. Zudem dringen die Regulierungsbehörden darauf, das Eigengeschäft zu reduzieren. So hat etwa J. P. Morgan erst vergangene Woche die Hälfte ihrer Private-Equity-Gruppe One Equity Partners veräußert. Auch Citigroup und Bank of America haben Buy-out-Assets verkauft. Von Goldman Sachs, die mit Private-Equity-Investitionen jährlich noch Milliarden verdient, wird Ähnliches erwartet. Viele regulatorische Anforderungen legen die Trennung oder Reduzierung von (in guten Zeiten) hochprofitablen Geschäftsbereichen nahe, greifen aber erst in den nächsten Jahren. Daher trügt die aktuell hohe Profitabilität des US-Bankensektors. Besser als die aktuellen Gewinne weist die Aktienkursentwicklung den Weg in die nahe Zukunft. Seit Jahresbeginn hat der Bankindex der Nasdaq 2 % eingebüßt. Der S & P 500 hat derweil 7,6 % zugelegt.——–Von Sebastian Schmid Die US-Banken haben im zweiten Quartal den zweithöchsten Gewinn binnen 23 Jahren eingefahren. Der Blick nach vorne sollte die Euphorie aber dämpfen.——-