Der große Steuerstreit wirkt nach
Von Daniel Zulauf, ZürichExakt drei Jahre ist es her, als sich die Schweiz und Amerika in einer gemeinsamen Erklärung auf einen Weg zur endgültigen Lösung des langen und für beide Seiten nervenzehrenden Steuerstreits geeinigt hatten. Seither haben 80 Banken ein sogenanntes Non-Prosecution Agreement erhalten, müssen also nach Vorlage der geforderten Informationen über ihr einstiges Business mit US-Kunden und nach Zahlung einer Strafe mit keiner weiteren Verfolgung durch die US-Justizbehörden mehr rechnen. Die durchschnittliche Höhe der bezahlten Strafen belief sich auf weniger als 3 % der verwalteten Vermögen, was deutlich unter den anfänglichen Schätzungen lag.Auf einer Juristenkonferenz am Europainstitut der Universität Zürich zogen eingeweihte Anwälte aus dem In- und Ausland sowie Behördenvertreter aus der Schweiz und den USA ihre Schlussfolgerungen aus den seinerzeitigen Vorgängen. Ihre Auftritte weckten den unmissverständlichen Eindruck, als ginge die vor bald zehn Jahren mit einer US-Steueraffäre der UBS in Gang gekommene Geschichte auf anderen Schauplätzen weiter. Weniger spektakulär als die Strafuntersuchungen der US-Staatsanwälte gegen Schweizer Banken sind die zahlreichen Verfahren gegen einzelne Banker, die seit dem Ausbruch des US-Steuerstreits angestrengt wurden. Elf Banker wurden in den USA seit 2009 verurteilt. Die Zahl erscheint auf den ersten Blick zwar nicht besonders hoch, aber viel wichtiger als die Anzahl der Verfahren sei die riesige Dunkelziffer von Bankern, die sich aus Angst vor einem Verfahren nicht mehr getrauten, die Schweiz zu verlassen, sagte US-Anwalt Sean Casey, dessen Kanzlei Kobre & Kim unter anderen den ehemaligen UBS-Spitzenmanager Raoul Weil erfolgreich gegen eine Verurteilung verteidigt hatte.Während es auch in den USA offensichtlich kaum möglich ist, Banker in Spitzenfunktionen für Fehlentwicklungen strafrechtlich zu belangen, ist es gemäß Casey ein Kinderspiel, gegen Vertreter der Finanzbranche Anklagen unter dem Titel der Verschwörung gegen die USA zu konstruieren. Und obschon auch viele Verfahren gegen subalterne Banker mit einem Freispruch endeten, stelle der lange Weg bis zum Richter mit den US-Untersuchungsmethoden eine bedrohliche Vision für viele dar, die sich selbst aufgrund von losen Kontakten zu einigen US-Kunden als potenziell gefährdet erachteten. Die Wahrscheinlichkeit ist umso höher, als die US-Behörden im Rahmen der 54 000 Offenlegungen reuiger Steuerflüchtiger zahllose Namen von Bankern gesammelt hätten. Silvia Frohofer, Leiterin der Sektion für multilaterale Steuerfragen beim Staatssekretariat für internationale Finanzfragen, bestätigte den Eindruck einer verängstigten Banker-Szene mit der Bemerkung, der Anstieg von Datenschutzfällen um 30 % auf 332 Fälle allein am Zürcher Arbeitsgericht habe wohl mit dem Umstand zu tun, dass viele Banker unter Verweis auf den Datenschutz gegen die Lieferung von Datenbeständen an die US-Behörden Einspruch erhoben hätten. Diese Einspruchsmöglichkeit ist freilich Bestandteil der zwischenstaatlichen Lösung des Steuerstreites, in dem die USA explizit die Respektierung der rechtsstaatlichen Verfahren in der Schweiz zugesichert haben.Auch in Deutschland seien die Hürden niedrig, um Bankmitarbeiter wegen Beihilfe zu einem Steuervergehen unter ein Strafverfahren zu stellen, sagte Karsten Randt von der Kanzlei Flick Gocke Schaumburg. Der Tatbestand der Beihilfe sei schon dann erfüllt, wenn der Banker das Steuervergehen seines Kunden lediglich für möglich hält. Mit dieser Drohkeule gehen die deutschen Behörden inzwischen systematisch gegen Bankhäuser vor, bei denen sie Steuerflüchtige vermuten. Aus dem aktiven und grenzüberschreitenden Handel mit gestohlenen Datenträgern und den Selbstdeklarationen vieler deutscher Steuersünder haben die deutschen Ermittlungsbehörden ähnlich wie in den USA einen großen Datenpool gebildet, der ihnen ein aktives Vorgehen gegen Banken erlaubt. Die 2015 bekannt gewordene Aktion, in der sich die deutschen Ermittlungsbehörden mit einem Informationsbegehren direkt und nicht über den üblichen Rechtsweg an Schweizer Banken wandten und damit einen Aufschrei in der Branche provozierten, sei erst der Anfang einer Welle systematischer Ermittlungen, die auch Österreich oder Luxemburg betreffe, sagte Randt. Am schwierigsten einzuschätzen sind die Entwicklungen in Frankreich, wo die Behörden einen großen Prozess gegen die UBS vorbereiten und dazu bereits eine “beispiellose” Kautionszahlung von 1 Mrd. Dollar eingezogen haben.