Der Negativzins wird salonfähig
Vor dem Hintergrund der Debatte um ein “Strafzinsverbot” für private Einlagen rückt der aktuelle Stresstest für kleinere und mittelgroße Institute fast in den Hintergrund. BaFin und Bundesbank bescheinigen mehr als 90 % der von ihnen beaufsichtigten Banken und Sparkassen eine solide Kapitalausstattung. lee Frankfurt – Die Umfrage der Aufseher bei kleinen und mittelgroßen Banken und Sparkassen im Rahmen des jüngsten Stresstests hat deutlich gemacht, wie fest die Branche mit einer baldigen Zinswende gerechnet hat. Etwa die Hälfte der befragten Institute habe sich bei der Prognose ihrer Ertragsentwicklung in den kommenden fünf Jahren auf diese Hoffnung gestützt, unterstrich Bundesbank-Vorstandsmitglied Joachim Wuermeling am Montag in einem gemeinsamen Pressegespräch mit der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin). Die beiden Behörden sind für die Beaufsichtigung der rund 1 400 als nicht systemrelevant eingestuften Institute in Deutschland zuständig.In der Umfrage, die im zweiten Quartal 2019 stattfand, wurde zunächst untersucht, wie sich die Rentabilität der Banken und Sparkassen in den Jahren 2019 bis 2023 auf der Grundlage ihrer eigenen Plan- und Prognosedaten entwickeln würde. Demnach rechneten die Institute in den kommenden fünf Jahren im Durchschnitt mit einem um 23 % gestiegenen Jahresüberschuss vor Steuern. Tatsächlich sind die Zinsen seither jedoch weiter gesunken, und eine Trendwende ist nicht in Sicht.Abgefragt wurde auch, wie sich die Gewinn-und-Verlust-Rechnung in fünf von der Aufsicht vorgegebenen Szenarien entwickeln würde. Zwecks besserer Vergleichbarkeit der Ergebnisse mussten die Institute dabei von einer statischen Bilanz ausgehen, also simulieren, dass sie ihre Portfolios in einem veränderten Zinsszenario nicht anpassen würden. Die Simulation zeigte, dass die Ertragskraft der Banken und Sparkassen sich bei dem nun abzeichnenden Anhalten des Niedrigzinsumfelds weiter verschlechtern würde.Vor diesem Hintergrund ist die Bereitschaft der Institute, negative Zinsen an ihre Kunden weiterzugeben trotz der politischen Debatte über ein Verbot von “Strafzinsen” auf Bankguthaben deutlich gestiegen. Bei der letzten Umfrage vor zwei Jahren hatten nur 23 % der befragten Institute angegeben, dieses Instrument nutzen zu wollen, in der aktuellen Umfrage waren es bereits 42 %. Wuermeling betonte, dass er die Weitergabe von negativen Zinsen für ein probates Mittel halte.Deutlich wurde in der Umfrage auch, wie stark die Neigung zu dieser umstrittenen geschäftspolitischen Entscheidung von der Europäischen Zentralbank (EZB) abhängt, welche den Satz für Übernachteinlagen der Banken gerade um 10 Basispunkte auf minus 0,5 % gesenkt hat. Im Firmenkundengeschäft gab etwa ein Drittel der Banken, mehr als doppelt so viele wie 2017, an, dass sie in ihrem eigenen Szenario negative Zinsen zumindest an ihre Firmenkunden weiterreichen würden. Unter der Annahme einer Absenkung des Einlagesatzes bei der EZB auf minus 1 % würde fast jedes zweite der befragten Geldhäuser diese Belastung an Privat- und Firmenkunden weiterreichen (siehe Grafik).Wie stark die Negativzinsen auf Übernachteinlagen die Banken unter dem Strich belasten, geht nicht aus der Umfrage hervor. Gleichwohl konstatierte Wuermeling, dass die Weitergabe an Kunden bereits heute Realität sei. Zusammengenommen nähmen die Institute in Deutschland sogar etwas mehr an Negativzinsen von ihren Kunden ein, als sie ihren Kunden an Zinsen auf Kundeneinlagen zahlten. Auf diese Weise erwirtschafteten die Banken in Deutschland einen kleinen Überschuss. Im eigentlichen Stresstest überprüften BaFin und Bundesbank, wie sich eine Verschlechterung der wirtschaftlichen Rahmenbedingungen auf die Kapitalausstattung der von ihnen beaufsichtigten Institute auswirken würde. Demnach führte das Stressszenario zu einer durchschnittlichen Verschlechterung der harten Kernkapitalquote um 3,5 Prozentpunkte. Insgesamt seien die Institute jedoch auch im Stressfall solide kapitalisiert, sagte BaFin-Exekutivdirektor Raimund Röseler.Allerdings würde eine mittlere zweistellige Zahl von Banken und Sparkassen die gesetzlichen Vorgaben für die harte Kernkapitalquote unterschreiten. Diese wollen sich die Aufseher nun einzeln vorknöpfen, auch wenn das Unterschreiten der Vorgaben nicht gleichbedeutend mit einer existenzbedrohenden Schieflage sei. Röseler unterstrich, dass er in den kommenden Jahren nicht mit einer Flut von Bankenpleiten rechne.Der Bundesverband der Deutschen Volksbanken und Raiffeisenbanken (BVR) unterstrich in einer Stellungnahme , dass der Stresstest die gute Kapitalausstattung seiner Mitglieder belege. BVR-Vorstandsmitglied Gerhard Hofmann wies darauf hin, dass die nach den Bilanzierungsstandards des Handelsgesetzbuches (HGB) möglichen Reserven für allgemeine Bankrisiken (340 f) nicht berücksichtigt wurden. Dies betrifft auch die Sparkassen, die anders als private Institute ebenfalls weiterhin nach HGB bilanzieren. Mehr Fusionen erwartetNach Einschätzung der Aufseher wird sich aufgrund des anhaltenden Ertragsdrucks der Trend zu Fusionen, Kooperationen und Auslagerungen in die Cloud verstärken. Jedes 20. Institut habe angeben, dass es Pläne für ein Zusammengehen mit einem Wettbewerber habe oder sogar bereits in einem Fusionsprozess stecke. Fast die Hälfte der befragten Institute kann sich demnach eine Fusion vorstellen. Röseler: “Bemerkenswerterweise sehen sich die meisten dabei jedoch in der Rolle des übernehmenden Partners.” Der Befürchtung, dass Banken wegen der Geldpolitik zu hohe Risiken eingehen könnten, trat Wuermeling entgegen. Die Lockerung der Kreditvergabestandards sei noch nicht kritisch. Insbesondere bei Wohnimmobilien beobachteten die Aufseher die Entwicklung jedoch genau.