Der Prüfer ist tot, lang lebe der Prüfer!
Der erste Rauch hat sich gelegt. Der Sachverhalt des Wirecard-Desasters ist allerdings alles andere als aufgeklärt. Dennoch könnte es jetzt mit den Konsequenzen und Systemveränderungen schnell gehen. Im Fokus: die BaFin und die Wirtschaftsprüfer. BaFin-Chef Felix Hufeld sieht nun die Gelegenheit gekommen, seine Aufsichtsbehörde umzubauen und so mit mehr Macht auszustatten. Flucht nach vorn, könnte man das nennen. Gleiches gilt für Olaf Scholz, der wie seine Vorgänger im Amt die Lücken in unserem Enforcementsystem nicht geschlossen hat, nun aber alles besser machen will. DPR hat ihren Job gemachtJetzt wird es also für die BaFin aller Voraussicht nach mehr Personal, mehr Geld und auch mehr Kompetenzen geben. Es droht eine Superbehörde à la SEC. Endlich, wird es vielerorts heißen. Aber wollen wir das hierzulande wirklich? Dass man dabei gegebenenfalls die Deutsche Prüfstelle für Rechnungslegung (DPR) und vielleicht auch noch andere etablierte und sinnvolle Einrichtungen und vor allem Freiheiten opfert, geht im Trubel unter. Das ist fatal.Effektiv und richtig wäre, zielgerichtete, sinnvolle Ergänzungen des bestehenden Systems vorzunehmen, wie etwa eine für Bilanzbetrug und Sonderprüfungen zuständige schnelle Einsatztruppe bei der BaFin, unter Beibehaltung der DPR, die dann für Regelprüfungen zuständig wäre. “Viel hilft viel”, lautet stattdessen vielerorts die aktuelle Parole, und dabei wird verkannt, dass die DPR im Rahmen ihres Auftrages in den letzten Jahren bei rund 1 500 Prüfungen über 300 Bilanzfehler aufgedeckt hat. Die DPR hat ihre Aufgabe erfüllt. Das Kontrollsystem hat jedoch blinde Flecken, die es auszufüllen gilt.Im Zentrum der Kritik im Wirecard-Skandal steht aber auch und vor allem der Wirtschaftsprüfer EY. Und so wird in Bezug auf die Wirtschaftsprüfung die Systemfrage ebenfalls immer lauter gestellt. Eine Aufspaltung in Prüfung und Beratung oder ein verpflichtendes Joint Audit werden in Großbritannien, aber auch hierzulande diskutiert. Aber trifft das allein den Kern des Problems?Eine Trennung von Prüfung und Beratung, die sicher ihren Reiz hat, wird isoliert nicht die gewünschte Veränderung bringen, wenn wir nicht endlich den Prüfern mehr Außenwirkung verleihen und sie verpflichten, deutlich mehr zu kommunizieren. Die Prüfung muss vor allem den Aktionären und damit den Eigentümern “dienen”.Das ist nur konsequent, denn die Eigentümer wählen den Prüfer auf der Hauptversammlung, selbst wenn sie dabei nicht wirklich eine Auswahl haben. Dennoch ist es “ihr” Prüfer. Ab der Wahl war es das dann allerdings mit der Beziehung. Eine Interaktion zwischen dem Abschlussprüfer und den Aktionären findet schlicht nicht statt.Die Prüfung der Rechnungslegung, des Risikomanagementsystems oder des Compliancesystems soll aber den Eigentümern mehr Sicherheit geben. Sie sind es, die am Ende des Tages davon profitieren oder eben leiden, wenn etwas nicht richtig läuft. Das bedeutet nicht zugleich, dass man dem Aufsichtsrat den Wirtschaftsprüfer als Partner nimmt oder deren Verhältnis schwächt.Wir brauchen ein System, in dem Unregelmäßigkeiten und vor allem Betrug rechtzeitig auffallen und Verdachtsfälle frühzeitiger als bisher gegenüber der BaFin, der Staatsanwaltschaft und auch sonst kommuniziert werden müssen. Das hätte auch stark präventiven Charakter. Heute findet eine Kommunikation des Wirtschaftsprüfers mit der Außenwelt nur in sehr geringem Rahmen statt. Das Testat, das bis vor kurzem allein wenige allgemeingültige Floskeln enthielt, wurde erst vor drei Jahren um Key Audit Matters und weitere qualifiziertere Aussagen ergänzt. Über die sensiblen und gefährlichen Bereiche sowie Aspekte der Prüfung und der Rechnungslegung fehlen allerdings weiterhin harte Fakten, und so mangelt es nach wie vor an Transparenz für die Eigentümer. Prüfer sollen redenEs fehlt zudem die Möglichkeit für die Eigentümer, Fragen an den Wirtschaftsprüfer zu richten, und es mangelt an der Pflicht des Wirtschaftsprüfers, diese dann auch – in der Hauptversammlung – zu beantworten. Schaut man sich im europäischen Umfeld um, zeigt das Beispiel Niederlande, wie es besser laufen kann. Dort hat der Wirtschaftsprüfer die Fragen der Aktionäre zu beantworten, so wie dies für den Chairman, den CEO und den Vorsitzenden des Prüfungs- oder auch Personalausschusses gilt.Holen wir den Wirtschaftsprüfer also aus seinem Schattendasein. Werten wir ihn auf, für die Aktionäre, Eigentümer, für alle anderen Stakeholder und damit zum Schutz unseres gesamten Systems. Dazu gehört definitiv auch ein verschärftes Haftungsregime für die Prüfer. Das alles wird seinen Preis haben. Aber sollte uns eine gute und unabhängige Wirtschaftsprüfung das nicht wert sein? Bisher war das leider nicht der Fall. Jede Ausschreibung führte zu einem erneuten Preisdruck bei gleichzeitig gestiegenen Anforderungen an Prüfer und Prüfung. Das zeigt anschaulich, woran das System krankt. Schädlicher PreiswettbewerbVor diesem Hintergrund stellt sich die Frage, ob bei der Wirtschaftsprüfung ein klassischer Preiswettbewerb überhaupt stattfinden darf und ob eine Ausschreibung in der bisherigen Form tatsächlich das richtige Verfahren ist. Und sollte der Prüfer – wie in Frankreich üblich – nicht eher für mehrere Jahre gewählt werden, um seine eigene Position und Unabhängigkeit zu festigen?Die Fragen sind zahlreich und konkret, die Antworten sind es noch nicht. Wir sollten uns die Zeit nehmen, die es braucht, um in ein neues, dann besseres System zu wechseln. Schnellschüsse sind hier wahrlich nicht zielführend. Marc Tüngler ist Hauptgeschäftsführer der Deutschen Schutzvereinigung für Wertpapierbesitz (DSW) und Rechtsanwalt. In dieser Rubrik veröffentlichen wir Kommentare von führenden Vertretern aus der Wirtschafts- und Finanzwelt, aus Politik und Wissenschaft.——-Von Marc TünglerDer Fall Wirecard hat gezeigt: Der Wirtschaftsprüfer sollte aufgewertet, aber auch stärker in die Haftung genommen werden.