Mairead McGuinness

„Der Solvency-Rahmen funktioniert“

Die EU-Kommission möchte die Solvency-II-Regeln anpassen, damit mehr Geld für langfristige Investitionen des Versicherungssektors freigesetzt werden – insbesondere für grüne und digitale Projekte, wie die Kommissarin Mairead McGuinness im Gespräch erläutert.

„Der Solvency-Rahmen funktioniert“

Von Andreas Heitker, Brüssel

Erstmals seit dem Inkrafttreten im Jahr 2016 hat die EU-Kommission eine größere Anpassung der Versicherungsrichtlinie Solvency II angekündigt. Geplant sind unter anderem punktuelle Nachbesserungen in der Aufsicht, die Einführung einer stärkeren Proportionalität sowie eines Abwicklungsregimes. Die zuständige EU-Finanzmarktkommissarin Mairead McGuinness zeigt sich dennoch grundsätzlich zufrieden mit der Richtlinie: „Nach fünf Jahren kann man sagen: Der Solvency-Rahmen funktioniert im Großen und Ganzen gut“, sagt sie im Gespräch mit der Börsen-Zeitung.

Eine Verschärfung der allgemeinen Kapitalanforderungen hält die Brüsseler Behörde daher auch nicht für notwendig und spricht von einer „bereits recht soliden Lage“ des Versicherungssektors in Europa. Lediglich bestimmte (Rück-)Versicherer oder Märkte könnten mit einer Erhöhung der Kapitalanforderungen konfrontiert werden, hieß es.

„Unser Ansatz war, sicherzustellen, dass der Versicherungssektor in Europa stark bleibt, damit er einen Beitrag liefern und langfristig stärker in nachhaltige Anlagen investieren kann“, erläutert McGuinness die Vorschläge. Nach Berechnungen der EU-Kom­mission könnten die nun vorgeschlagenen Anpassungen be­reits kurzfristig bis zu 90 Mrd. Euro in der Branche freisetzen, die dann wieder investiert werden könnten. Langfristig, so McGuinness, kämen noch weitere 30 Mrd. Euro hinzu.

Dazu will die Kommission unter anderem den Anwendungskreis bei den langfristigen Aktieninvestments erweitern und die Risikomarge bei den versicherungstechnischen Rückstellungen deutlich absenken. „Es gibt viel Geld im Versicherungssektor. Doch die aktuellen Regeln bieten zu wenig Flexibilität, dass die Unternehmen diese Mittel auch langfristig und nachhaltig investieren können“, sagt die irische Kommissarin und verweist auf die aktuelle Volatilität in der Branche. „Wir ändern die Regeln, um das vorhandene Kapital leichter freisetzen zu können.“

Kein grüner Bonus

Die EU-Kommission möchte, dass Negativzinsen künftig berücksichtigt werden können und will die derzeit zu hohen kalkulatorischen Langfristzinsen bis 2032 schrittweise absenken. Zugleich sollten Risiken besser eingepreist werden – vor allem auch Klimarisiken, wie McGuinness be­tont. „Wir wollen denjenigen, die in grüne Projekte investieren, allerdings keine Vorteile bei der Regulierung geben oder eine Art Bonus. Es geht vielmehr darum, den Unternehmen das Investieren in langfristige Anlagen zu erleichtern.“ Eine Lockerung der Regeln gebe es nicht.

Die Kommission hatte sich im Vorfeld intensiv von der Versicherungsaufsicht EIOPA beraten lassen. McGuinness verweist aber darauf, dass sie in ihren Vorschlägen an einigen Punkten auch von den EIOPA-Empfehlungen abgewichen sei, um die Vorschläge ausgewogener zu gestalten, beispielsweise bei der Proportionalität. „Einige Versicherer hatten zu große Belastungen auferlegt bekommen“, stellt sie klar. Vorgeschlagen wird nun eine erhebliche Ausweitung der für den Anwendungsbereich der Richtlinie maßgeblichen Größenschwellen von 5 Mill. auf 15 Mill. Euro. Die EIOPA hatte sogar 25 Mill. Euro vorgeschlagen. Zudem wurde die Liste mit Erleichterungen bei den Berichtspflichten für Versicherer mit einem geringen Risiko verlängert und die Kriterien für eine Einstufung als Versicherer mit geringem Risiko wurden vereinfacht.

McGuinness stellt in dem Gespräch klar, dass es bei der Solvency-II-Reform kein Absenken von Verbraucherschutzinteressen geben wird. Sie gehe auch nicht davon aus, dass die Kosten der Versicherungspolicen steigen würden. Die Kommission geht zudem davon aus, dass Verbraucher beim Kauf von Versicherungsprodukten in anderen Mitgliedstaaten künftig besser geschützt sind, weil sich die Zusammenarbeit zwischen den nationalen Aufsichtsbehörden verbessern wird.

Einen besseren Schutz – für die Versicherungsnehmer, die Realwirtschaft, das Finanzsystem und letztlich die Steuerzahler – verspricht sich die EU-Kommission auch von der Einführung eines Abwicklungsregimes in der Branche. McGuinness ver­­weist in dem Gespräch darauf, dass dieses ganz anders modelliert sei als das System im Bankensektor: In der Versicherungswirtschaft sollen die Unternehmen unter der Aufsicht der nationalen Behörden Abwicklungspläne vorbereiten. Der Single Resolution Board (SRB) wird dabei nicht mit eingebunden, stellt die Finanzmarktkommissarin klar. Auch eine Harmonisierung der Finanzierung soll es im Versicherungssektor nicht geben.

Bei ihren Solvency-Vorschlägen hat die Kommission nach den Worten von McGuinness auch die Lehren der Pandemie berücksichtigt. Sie verweist auf Unklarheiten in einigen Ländern bei der Frage, was überhaupt versichert sei und was nicht. Dies müssten die Halter von Policen aber ganz genau wissen. Hier habe man mehr Klarheit geschaffen. Auch habe man in der Pandemie gesehen, dass längst nicht jeder ausreichend Versicherungsschutz hatte.

BZ+
Jetzt weiterlesen mit BZ+
4 Wochen für nur 1 € testen
Zugang zu allen Premium-Artikeln
Flexible Laufzeit, monatlich kündbar.