Der Wert einer Immobilie steckt in ihrer Klimabilanz
Die Klimabilanz einer Immobilie ist entscheidendes Kriterium für ihre Bewertung. In Zukunft dürfte der Nachhaltigkeitsfaktor noch an Bedeutung gewinnen. Der “Sustainable Finance Action Plan” der Europäischen Union (EU) zieht zunehmend konkrete Verordnungen nach sich, die auch die Akteure auf dem Immobilienmarkt in die Pflicht nehmen. Aber auch nationale Regularien forcieren den Klimaschutz im Bereich Bauen. Transparenz erforderlichDie EU veröffentlichte ihren “Sustainable Finance Action Plan” bereits im März 2018. Der Aktionsplan folgte dem Pariser Klimaabkommen 2016 und der Agenda 2030 der Vereinten Nationen für nachhaltige Entwicklung. Die Grundidee: Wachstum soll nachhaltig werden, deshalb sollen die Kapitalflüsse so umgelenkt werden, dass sie in entsprechende Investitionen fließen – nicht nur im Immobilienbereich. Voraussetzung dafür ist Transparenz: Wie nachhaltig ist ein Projekt, welche Benchmarks werden erfüllt? Eine Reihe von Verordnungen, die nun nach und nach in Kraft treten, setzen den EU-Aktionsplan in die Tat um.Eine wichtige Rolle spielt dabei die Disclosure-Verordnung vom 9. Dezember 2019, die ab März kommenden Jahres gilt. Sie enthält vor allem weitreichende Offenlegungspflichten bezüglich der Chancen und Risiken eines Investments in Sachen Nachhaltigkeit. Es werden Angaben erforderlich, wie sich diese Chancen und Risiken auf die Rentabilität der Investition aber auch auf den Klimaschutz auswirken können. Das dürfte auch Immobilieninvestoren zu mehr Nachhaltigkeit bewegen. Die CO2-Bilanz eines Gebäudes und andere Nachhaltigkeitsfaktoren müssen in Zukunft offengelegt werden. Die Intention: Geld soll künftig vermehrt in Gebäude fließen, die eine gute Energiebilanz aufweisen und möglichst klimaneutral sind. EU-VerordnungenEine ähnliche Stoßrichtung verfolgt die EU-Taxonomie-Verordnung, die im Juli 2020 in Kraft trat und ab Januar 2022 anzuwenden ist. Sie enthält Kriterien zur Bestimmung, ob eine Wirtschaftstätigkeit als ökologisch nachhaltig einzustufen ist (Taxonomie). Ziel ist es auch hier, Geldströme umzuleiten und Investitionen in grüne Projekte zu fördern. Welche Mindeststandards für eine CO2-arme Investition gelten, regelt wiederum die Benchmark-Verordnung. Mit ihr führt die EU zwei neue Kategorien für Grenzwerte ein. Damit soll zudem Greenwashing eingedämmt werden.Auch auf nationaler Ebene weisen neue Gesetze den Weg in Richtung klimafreundliche Gebäude. In wenigen Wochen, am 1. November 2020, tritt das Gebäudeenergiegesetz (GEG) in Kraft. Der Anstoß für das GEG kam aus Brüssel: Der EU-Gebäuderichtlinie zufolge sollen alle neuen Nichtwohngebäude der öffentlichen Hand ab 2019 und alle neuen Gebäude ab 2021 als Niedrigstenergiegebäude errichtet werden. Damit setzt sie Standards für den Neubau. Eigeninitiative zahlt sich ausTrotz der Vielzahl neuer Verordnungen und Regularien – bisher gibt es kaum staatliche Vorgaben für das CO2-neutrale Bauen. Es hängt nach wie vor von der Eigeninitiative der Bauherren ab. Allerdings wird auf dem Markt allen Teilnehmern immer deutlicher, dass sich diese Eigeninitiative auszahlen dürfte. Denn nicht nur gibt es vielfältige, regional unterschiedliche Fördermöglichkeiten für CO2-armes Bauen und energieeffiziente Gebäude. Auch steigt der Wert eines Gebäudes mit seiner Energieeffizienz. Die Klimabilanz wird damit so wichtig wie Bausubstanz und Lage des Objekts und ist ausschlaggebend für die Werthaltigkeit der eigenen Immobilie.Am Markt steigt die Akzeptanz: Auch und gerade in Coronazeiten sind nachhaltige Immobilien ein attraktives Investment. Zugleich nimmt der Absatz von Nachhaltigkeitszertifikaten im Immobilienbereich zu – das gilt sowohl bei Neubauten als auch beim Betrieb von Gebäuden. Sustainable Finance ist im Immobiliengeschäft angekommen. Hier wird sich zeigen, dass der Aktionsplan der EU ausstrahlt: Werden Geldflüsse in Immobilieninvestments umgeleitet, die nachhaltig sind, verhilft das dem klimaneutralen Gebäude zu Wertzuwächsen. CO2-Prüfstand für ImmobilienAber wie lässt sich erkennen, ob ein Gebäude die Nachhaltigkeitskriterien erfüllt? Dabei helfen Tools wie der Carbon-Due-Diligence-Ansatz, den das Planungs- und Beratungsunternehmen Arcadis entwickelt hat. Mit diesem Verfahren werden der Energieverbrauch und der CO2-Fußabdruck einer Immobilie sichtbar. Zugleich werden Potenziale aufgezeigt, wie die Bilanz verbessert werden kann. Dies ist nicht nur bei Bestandsgebäuden, sondern auch bei Projektentwicklungen möglich.Neue oder bereits geplante Effizienzmaßnahmen werden in die Bewertung einbezogen. Bei Neubauten wird auch der sogenannte CO2-Rucksack mit einberechnet: In diesem Rucksack steckt der CO2-Ausstoß, der bei der Herstellung der Baumaterialien angefallen ist. Mit Hilfe des Due-Diligence-Ansatzes kann auch die Energie- und CO2-Bilanz für ein ganzes Unternehmen oder ein Immobilienportfolio erstellt werden.Um die Klimaschutzziele zu erreichen, ist es sinnvoll, hier anzusetzen und die Reduzierung der CO2-Emissionen im Gebäudesektor voranzutreiben. Denn das verspricht einen großen Hebel: Bau und Betrieb von Gebäuden sind für rund 36 % der gesamten CO2-Emissionen in Europa verantwortlich. Karsten Peleikis, Bereichsleiter Lifecycle Management beim Planungs- und Beratungsunternehmen Arcadis