Bewertungen

Des Finanzdienst­leisters neue Kleider

Die Tabelle lügt nicht – das ist eine im Sport oft bemühte Binsenweisheit. Vereine mit überschaubarem Erfolg trösten sich daher mit dem Ansatz: „Willst Du uns mal oben sehen, musst Du die Tabelle drehen.“ Kreative Spielräume bei der Aufstellung von...

Des Finanzdienst­leisters neue Kleider

Die Tabelle lügt nicht – das ist eine im Sport oft bemühte Binsenweisheit. Vereine mit überschaubarem Erfolg trösten sich daher mit dem Ansatz: „Willst Du uns mal oben sehen, musst Du die Tabelle drehen.“ Kreative Spielräume bei der Aufstellung von Rangfolgen sind auch über den Sportbereich hinaus geläufig. So lautete ein politischer Witz zu Zeiten des Kalten Krieges: Reagan und Breschnew liefen ein Wettrennen um das Weiße Haus herum. Die westliche Presse vermeldet danach: „Reagan hat gegen Breschnew gewonnen und wurde Erster. Die Sowjetpresse schreibt hingegen: Breschnew wurde glorreicher Zweiter, Reagan nur Vorletzter.

Neben ‚alternativen Fakten‘ hinsichtlich der Reihenfolge lassen sich bei Ratings oder Benotungen auch ganze Bewertungsschemata neu skalieren, indem der Notenschlüssel strikter oder konzilianter gestaltet wird. Letzteres bedeutet, dass für die gleiche Leistung eine bessere Bewertung vergeben wird, was gemeinhin als Noteninflation bezeichnet wird. Einher geht allerdings oft ein Verlust an Vergleichbarkeit sowie Vertrauen in die Bewertenden und nicht zuletzt auch in die Leistungsfähigkeit der zu Bewertenden. Es stellt sich daher die Frage, inwiefern eine solche „Umetikettierung“ überhaupt im Interesse der Beteiligten sein kann.

Anschauungsmaterial für einen unorthodoxen Bewertungsschlüssel könnte ein aktuelles Ranking zur Kundenzufriedenheit mit Finanzdienstleistern bieten. Für die Marktuntersuchung „Von Anlegern empfohlen“ hat das Beratungsinstitut Service Value 26 117 Anlegerurteile zu 216 Anbietern eingeholt. Bezogen auf 14 Branchen wurde gefragt: „Welche der folgenden Anbieter aus den unterschiedlichsten Kategorien würden Sie anderen Anlegern aus eigener Erfahrung oder aus eigener Einschätzung empfehlen?“ Die Ergebnisse sind beeindruckend: Es wurde in allen Branchen die Auszeichnung „hohe Empfehlung“ oder besser vergeben. Unter diesen ausgezeichneten Anbietern wurde stets über einem Drittel der Bestwert „sehr hohe Empfehlung“ zugeschrieben – in 10 von 14 Branchen sogar mindestens der Hälfte.

Auszeichnung ohne Relevanz

Doch welche Relevanz kann diesen Top-Auszeichnungen tatsächlich beigemessen werden? Laut Bewertungsschema wurde basierend auf den Antwortoptionen „sehr empfehlenswert (1), empfehlenswert (2), weniger empfehlenswert (3), nicht empfehlenswert (4)“ je Unternehmen der ungewichtete Mittelwert (= Score) über alle Bewertungen berechnet. Die Auszeichnung „hohe Empfehlung“ erhalten jene Anbieter, deren Score besser ist als der Durchschnitt der Branche. Anbieter, deren Score zudem über dem Durchschnitt der mit „hohe Empfehlung“ bewerteten Anbieter liegt, erhalten die Auszeichnung „sehr hohe Empfehlung“. Die restlichen und vermeintlich schlechteren Unternehmen wurden gar nicht erst benannt.

Der angelegte Bewertungsschlüssel führt mithin konstruktionsbedingt dazu, dass ein gewisser Anteil jeder Branche automatisch das Prädikat „hohe Empfehlung“ bzw. „sehr hohe Empfehlung“ erhält. Sofern nicht alle Unternehmen gleich bewertet werden, können die Bestnoten also automatisch vergeben werden. Wie ist es aber um die reale Empfehlungsbereitschaft der Kunden bestellt? Eine mögliche Annäherung bietet der ermittelte Score: Die Spannbreite der Finanzdienstleister mit der Auszeichnung „sehr hohe Empfehlung“ reicht über aller Branchen hinweg von 2,11 (Frankfurt in Börsenplätze/Handelsplätze) bis 2,40 (Bondora in P2P-Kreditmarktplätze). Anbieter mit der Auszeichnung „hohe Empfehlung“ erreichten Scores zwischen 2,19 (München in Börsenplätze/Handelsplätze) und 2,44 (Iuvo in P2P-Kreditmarktplätze). Die als Mittelwert gebildeten Scores dieser Anbieter liegen also alle zwischen den Antwortmöglichkeiten „empfehlenswert“ und „weniger empfehlenswert“. Die Kunden haben aufgrund ihrer Erfahrungen scheinbar eine geringere Empfehlungsbereitschaft, als durch das Bewertungsschema vermittelt wird.

Bei den Versicherern (Fondspolice) wurden die mit „sehr hohe Empfehlung“ dekorierten Anbieter von ihren Kunden allesamt nur zwischen „empfehlenswert“ (2,0) und „weniger empfehlenswert“ (3,0) eingeschätzt – bemessen am jeweiligen Score von Allianz (2,22), HUK-Coburg (2,27), HUK24 (2,32), WWK (2,34) und HDI (2,35). Ein Score von 2,42 führte bei der Signal Iduna und der Universa immerhin zur Auszeichnung mit „hohe Empfehlung“.

Ein ähnliches Bild ergab sich in der Branche Finanzvertriebe, wo schlechtere Scores als glatt „empfehlenswert“ nach angelegtem Bewertungsschlüssel ebenfalls zur Auszeichnung mit „sehr hohe Empfehlung“ (MLP mit 2,31, Swiss Life Select mit 2,32 und Telis Finanz mit 2,34) bzw. „hohe Empfehlung“ (Bonnfinanz mit 2,39 und DVAG mit 2,40) führten.

Wie hoch ist der Informations­gehalt dieser Auszeichnungen überhaupt? Aus der Beratungserfahrung der Verbraucherzentralen ergibt sich ein anderes Zufriedenheitsbild: Viele Verbraucher sind sehr verunsichert. Sie stellen fest, dass ihre fondsgebundenen Versicherungen – auch nach Jahren der monatlichen Einzahlungen – nicht in Fahrt kommen. Die in den letzten Jahren fast durchgängig gestiegenen Börsenkurse kommen in vielen Fonds­policen kaum an. Die Verbraucherzentralen müssen von Verträgen Kenntnis nehmen, welche auch nach zehn oder 20 Jahren nicht einmal die Summe im Topf haben, die eingezahlt wurde. Dies ist als Zeichen zu werten, dass hohe Verwaltungskosten und schlechtes Anlage­management hier vorherrschen. Manche Kunden haben das offensichtlich auch so bewertet, sonst hätte sich ein besseres Studienergebnis, gemessen am Score, abgezeichnet. Gleichwohl ist (Un-)Zu­friedenheit oft ein eher subjektives Empfinden.

Viele Kunden haben gegebenenfalls gar nicht das Wissen, ihren Vertrag sachgerecht zu bewerten. Sie orientieren sich daher oft an Bewertungen und Tests, ohne deren Bauweise und damit deren Qualität wirklich abschätzen zu können. Verzerrte Studienergebnisse können dann sogar eine falsche Sicherheit bieten. So wächst die Gefahr, dass für die Altersvorsorge wertvolles Kapital verloren geht. In Deutschland haben viele Bürger mit einer Versorgungslücke zu kämpfen. Eine gute Anlage als Zusatzbaustein einer Altersvorsorge wäre daher besonders wichtig – was wiederum eine möglichst realitätsnahe Einschätzung von Anbietern und Produkten erfordert.

Interessengeleitet

Gerade die Empfehlungen von Finanzvertrieben können interessengeleitet sein – auch davon zeugt die Beratungserfahrung in den Verbraucherzentralen. Naturgemäß birgt eine provisionsbasierte Vergütung die Gefahr von Fehlanreizen, die in reinen Verkaufsgesprächen ohne fach- und sachgerechte Beratung münden können. Verbraucher erhalten oft das provisionsträchtigste Produkt, welches nicht immer passend für sie sein muss. Eine gute Marketingstrategie kann dann zwar als verkaufsfördernd wirken und über Mängel hinwegtäuschen – der Inhalt bleibt indes von minderer Qualität.

Potemkin’sche Dörfer haben in der Altersvorsorge jedoch nichts zu suchen. Daher stellt sich abschließend die Frage, ob die erst durch ein unkonventionelles Bewertungsschema hübsch gekleideten Anbieter darauf vertrauen können, dass die Marktteilnehmer ihnen ähnlich wie in „Des Kaisers neue Kleider“ dazu gratulieren. In Hans Christian An­dersens berühmtem Märchen rufen alle Leute zunächst: „Liebe Zeit, wie sind des Kaisers neue Kleider unvergleichlich; welche Schleppe er am Kleide hat, wie schön das sitzt!“ – bis irgendwann ein kleines Kind entgegnet­: „Aber er hat ja gar nichts an!“

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