Deutschlands Aktienkultur - Es liegt an uns Banken!

Die Chancen sind besser denn je - Weitere Regulierungen sollten den Bogen nicht überspannen - Nicht vom vernünftigen Investieren abschrecken

Deutschlands Aktienkultur - Es liegt an uns Banken!

Nach der Finanzkrise war Aufräumen angesagt. Die Finanzmarkt-Akteure und Intermediäre mussten zum Schutz der Anleger und Volkswirtschaften strenger beaufsichtigt werden. Das ungleiche Kräfteverhältnis zwischen Anbietern und Nachfragern verlangte neue Schutzmechanismen für die schwächeren Marktteilnehmer. Es gibt keinen Zweifel: Diese neuen Regeln, im Laufe der vergangenen Jahre nach und nach eingeführt, sind gerechtfertigt. Ein engerer Rahmen für den Ablauf und die Dokumentation von Beratungsgesprächen in Banken, mehr Preistransparenz und eine bessere Passgenauigkeit bei Finanzprodukten sind eine gute Sache im Sinne der Privatanleger. Richtig war es auch, die Probleme gleich auf europäischer Ebene anzugehen. Der Teufel steckt allerdings im Detail. Besonders detailversessenDie Summe aller neuen Vorschriften hat mittlerweile einen Umfang erreicht, der nach der Zahl der Dokumente dem Genehmigungsverfahren für ein atomares Endlager immer ähnlicher wird. Und wie so oft war man bei der Anwendung europäischen Rechts in Deutschland besonders eifrig und sehr detailversessen.Im echten Leben ist besonders die im Januar 2018 in Kraft getretene Regulierung der Wertpapierberatung – Mifid II (Markets in Financial Instruments Directive) – für jede Bank ein Mammutprojekt und könnte viele Banken und Berater im Wertpapiergeschäft an den Rand der Kapitulation bringen, einige wohl auch darüber hinaus. Hinter vorgehaltener Hand häufen sich die Klagen, und manche Finanzhäuser gehen damit sogar ganz offensiv in die Öffentlichkeit.Nun ist Mitleid mit den Banken weder en vogue noch in der Sache angemessen. Aber Mifid II könnte unerwünschte Nebeneffekte auf das Verhalten der Privatanleger haben, die der Gesetzgeber so sicher nicht beabsichtigt hatte.In der Wertpapierberatung muss mittlerweile zunächst sehr lange über Risiken, die Funktionsweise des Produkts und Kosten geredet werden, bevor die Chancen eines Engagements am Kapitalmarkt zur Sprache kommen dürfen. Die Dokumentation der Beratung ist langwierig und bisweilen einschüchternd, am Telefon ist sie de facto nicht zu leisten und – vor allem – vom Kunden kaum zu verarbeiten. Welcher Kapitalmarkt-Interessent hat schon Lust, sein sauer erarbeitetes Geld in Fonds etwa mit deutschen Aktien anzulegen, wenn er zuvor eine geschlagene Stunde lang über seine Finanzen und Kapitalmarkterfahrungen berichten musste und mit Schreckensszenarien wie dem Totalverlust seines Geldes traktiert wurde? Wer hat am Ende wirklich einen praktischen Nutzen von Produktunterlagen und Dokumentationen, die leicht mehr als 100 Seiten umfassen? Und wer glaubt, dass die Anleger diese Dokumentationen intensiv lesen und vollständig erfassen können?Ich kann nicht erkennen, wie dies die Aktienkultur und das Interesse an den Chancen des Kapitalmarkts in Deutschland fördern soll. Genau das brauchen wir jedoch: Laut dem Deutschen Aktieninstitut besitzt nicht einmal jeder zehnte Deutsche Aktien (2017: 7,7 %). Zählt man die Anleger in Aktien- und Rentenfonds hinzu, kommt man auf knapp 16 % der Bundesbürger, die in irgendeiner Form am Kapitalmarkt investiert sind. Das ist zwar mehr als im Jahr davor, aber immer noch wenig im Vergleich mit anderen Ländern, in denen schon die Zahl der reinen Aktienbesitzer deutlich höher liegt (Niederlande 30 %, Schweiz 20,4 %, Großbritannien 23 %, USA 56 %).In Zeiten von Nullzinsen wird die Abstinenz der Deutschen am Kapitalmarkt zu einer wirklichen Gefahr für den Vermögensaufbau und die private Altersvorsorge der Menschen. Mit den Billionen Euro, die die Deutschen in Sichteinlagen und Festzinsprodukten horten, wird heute nach Inflation und Steuern kein risikoloser Zins mehr erzielt, sondern nur zinsloses Risiko. Der demografische Faktor und das künftig wohl sinkende staatliche Rentenniveau könnten ohne einen Ausgleich durch Erträge aus Kapitalmarktprodukten gerade für Jüngere eine beträchtliche Lücke in der privaten Altersvorsorge reißen.Das ohnehin schon recht zarte Pflänzchen Aktienkultur droht mit der Regulierung nun weiter zu verdorren. Es kann aber nicht in unserem Sinne sein, dass die Menschen um eine finanzielle Beteiligung an Deutschlands Unternehmen einen Riesenbogen machen. Unternehmen, die mit ihren Produkten rund um den Globus ausgesprochen erfolgreich sind und bei denen die gleichen Menschen gerne arbeiten, weil sie gute Arbeitgeber sind.All die deutschen Unternehmen mit den klangvollen Namen und den weltweit beliebten Produkten gehören heute überwiegend internationalen Investoren. Diese lieben die Stärke dieser Unternehmen, sie schätzen Deutschlands solide Infrastruktur und die Stabilität der politischen wie der sozialen Verhältnisse. Dementsprechend investieren internationale Anleger gerne in deutsche Unternehmen und haben damit in den vergangenen Jahren sehr attraktive Renditen erzielt. Nicht nur Zuschauer seinUm Missverständnisse auszuschließen: Ich begrüße es, wenn der Aktienbesitz international gestreut ist, und in der vernetzten Welt der Kapitalströme ist es auch selbstverständlich. Aber es muss uns herausfordern, dass die Menschen in Deutschland den Boom an den Kapitalmärkten oft nur als Zuschauer verfolgen und in der Breite nicht davon profitieren.Wir Banken sind jetzt in der Verantwortung, die Sparer in Deutschland unter den Bedingungen einer verschärften Regulierung behutsam und mit guter Beratung an die Kapitalmärkte zu führen und die, die schon aktiv sind, dort zu halten. In der Regulierung steckt ja auch eine Chance: Sie fördert das Grundvertrauen der Verbraucher, die sich nun besser vor Fehlberatung – die es ja gab – geschützt fühlen. Und die Finanzindustrie sollte auch aus wohlverstandenem Eigeninteresse weiter intensiv daran arbeiten, verlorenen Boden wieder gutzumachen.In der Beratung in den Filialen, aber auch am Telefon müssen wir trotz Mifid II die Prozesse für den Kunden so einfach, transparent, übersichtlich und effizient wie möglich machen. Die Deutsche Bank hat dafür seit drei Jahren viel Geld in den “Anlagekompass” gesteckt, eine digitale Anwendung, die den Berater und seinen Kunden strukturiert und störungsfrei durch die Beratung führen kann.Mifid II wird gleichzeitig den Trend verstärken, dass mehr Kunden die Kapitalmarktanlage komplett an die Bank delegieren werden. Das liegt auch an der wieder zunehmenden Volatilität der Märkte – gerade für 2018 erwarten wir, dass die Ausschläge an den Börsen heftiger werden. Bereits die Februar-Turbulenzen haben gezeigt, wie schnell Nachrichten auf die Börsenbarometer wirken. In Bezug gesetzt zu dem sehr hohen Aufwand bei Dokumentation und der eigentlichen Beratung für jedes dem Kunden empfohlene Wertpapier ist es für den Privatanleger sehr schwierig, wenn nicht gar unmöglich, rechtzeitig und angemessen auf solche Marktausschläge zu reagieren.Darum werden Mandate zur Vermögensbetreuung interessant, bei denen es zwei deutliche Trends gibt: Einerseits das wachsende Angebot digitaler Vermögensverwaltungen, die gerade für kleinere Vermögen und kleinere Sparpläne eine professionelle Anlage ermöglichen. Nach plausiblen Prognosen von Unternehmensberatungen soll der Markt für solche “Anlageroboter” in diesem Jahr auf rund 5 Mrd. Euro wachsen.Andererseits sehen wir den Wunsch vieler Kunden, Vermögensbetreuungsprodukte mit sehr enger persönlicher Beratung zu erwerben. Bei der Deutschen Bank bekommt der Kunde für größere und komplexere Portfolien zusätzlich zu seinem Private-Banking-Berater noch einen persönlichen Portfolioberater an die Seite gestellt, der für den Kunden die Kapitalanlage im Rahmen des Mandats steuert. Hier brummt die Nachfrage: Mit nur einem Vermögensberatungsprodukt konnten wir im vergangenen Jahr mehr als 1 Mrd. Euro neu einsammeln – Tendenz weiter steigend.Seit zum Jahreswechsel die Regeln von Mifid II in Kraft sind, fragen die Anleger besonders voll delegierte Vermögensbetreuungsmandate nach, bei denen die Anleger nicht vor jeder Umschichtung oder Neuanlage gefragt und beraten werden müssen. In zahlreichen Gesprächen gerade mit Anlegern, die schon über langjährige Erfahrungen an den Kapitalmärkten verfügen, hören wir außerdem, dass sich diese durch die neuen Regeln teilweise entmündigt fühlen.Halten wir fest: Der Schutz von Privatanlegern ist ein hohes Gut, das wir wahren müssen. Mit der Regulierung gibt es nun mehr Beratungssicherheit, hohe Preistransparenz und einen gut verständlichen Nachweis, was die einzelnen Produkte dem Kunden unter dem Strich bringen. Wichtig ist, dass weitere Regulierungen den Bogen nicht überspannen. Alle Vorschriften sollten dem wohlverstandenen Kundeninteresse dienen. Dafür ist es notwendig, nicht alles über einen Kamm zu scheren, sondern zu berücksichtigen, dass das Wissen der Kunden über die Kapitalmärkte und ihre Erfahrungen mit Investmentprodukten höchst unterschiedlich sind. Genügend gute ProdukteSchließlich kann es nicht das Ziel sein, die Deutschen vom vernünftigen Investieren abzuschrecken. Denn es gibt genügend Ideen und gute Produkte, die den Kunden den Weg auf die Kapitalmärkte ebnen. Lassen Sie uns also alle Kräfte bündeln und endlich eine Aktienkultur auf den Weg bringen, die diesem Land und seinen Bürgern angemessen und nützlich ist. Die Chancen dafür sind besser denn je.—-Asoka Wöhrmann, Leiter Privatkunden Deutschland bei der Deutschen Bank AG