Die Anlageberatung wird "grün"

Wie sich die Finanzvertriebe auf die EU-Vorgaben zur nachhaltigen Finanzberatung vorbereiten

Die Anlageberatung wird "grün"

Von Christiane Lang, FrankfurtDie Europäische Union (EU) verpflichtet Finanzberater von 2021 an, Privatkunden zu ihren Nachhaltigkeitspräferenzen zu befragen. Emittenten müssen somit künftig Informationen zur Nachhaltigkeit ihrer Produkte bereitstellen, und Vertriebe müssen ihre Beratungs- wie auch die Produktauswahlprozesse anpassen.Bislang spielen nachhaltige Anlagen bei Retailkunden nur eine sehr kleine Rolle. Laut dem Forum Nachhaltige Geldanlage (FNG) halten Privatkunden bloß 7 % der Finanzprodukte, die sich an Umwelt-, Sozial- oder Governance-Kriterien (Environmental, Social, Governance – ESG) ausrichten oder dem sogenannten Impact Investing zuzuordnen sind, weil sie darauf angelegt sind, aktiv einen positiven Effekt auf Umwelt oder Gesellschaft auszuüben. Ein Grund dafür sei, dass die Finanzbranche das Thema bisher nicht systematisch adressiert habe, sagt Chris-Oliver Schickentanz, Chefanlagestratege im Assetmanagement der Commerzbank. “Natürlich sprechen wir mit den meisten Privatkunden schon heute zum Thema Nachhaltigkeit, aber nicht in dieser systematischen Form, die die Regulatorik künftig vorgeben wird.” Nicht bloß WindkraftZudem gebe es viele Missverständnisse, die ein Engagement verhindern würden. Privatanleger neigten dazu, nachhaltige Anlagen mit Investitionen in Windkraftanlagen oder Solarstrom gleichzusetzen. Deshalb fahre die Commerzbank zurzeit eine Aufklärungskampagne, um den Kunden zu vermitteln, dass nachhaltige Geldanlage ein sehr breit gefächertes Produktangebot umfasse.Obwohl die Umsetzung erst für 2021 erwartet wird, hat nicht nur die Commerzbank entsprechende Projekte aufgesetzt, sondern auch viele andere Vertriebe wie die der Volks- und Genossenschaftsbanken sowie der Oberurseler Maklerpool BCA haben dies getan. Die BCA plant sogar, die Nachhaltigkeit schon Ende dieses Jahres in die Anlageberatung systematisch einzubeziehen. “Dafür haben wir auch unsere Mannschaft um zwei Nachhaltigkeitsexperten aufgestockt”, sagt BCA-Vorstandsmitglied Frank Ulbricht.”Bei der Umsetzung der neuen Regelungen geht es vor allem um drei Punkte”, erläutert Schickentanz von der Commerzbank. “Erstens, wie werden die zusätzlichen Fragen zu den Nachhaltigkeitspräferenzen der Kunden in die IT-Systeme integriert, zweitens, wie werden die Kundengespräche geführt, und drittens, wie werden die vom Kunden geäußerten Präferenzen in der Anlageberatung berücksichtigt. Das ist der komplexeste Teil, hier braucht man intelligente Algorithmen.” Es gelte sicherzustellen, dass der Anlagemix für den Kunden unter Risikoaspekten ausgewogen sei, seinen Zielen entspreche und zugleich seine Nachhaltigkeitswünsche berücksichtigt würden.Da es noch nicht sehr viele dezidiert nach ESG-Kriterien aufgelegte Strategien gibt, die Nachfrage durch die neuen Beratungsprozesse jedoch steigen wird, nimmt die Gefahr des Greenwashing zu. Zumal die von der EU geplante Taxonomie, die als Leitplanke für die Klassifizierung nachhaltiger Wirtschaftstätigkeiten dienen soll, noch nicht final verabschiedet ist und für die meisten Assetklassen noch keine allgemeinen nachhaltigen Kriterien verfügbar sind. Fokus auf Aktien”Keine Probleme sehen wir momentan auf der Aktienseite, hier gibt es bereits eine große Zahl an nachhaltig ausgerichteten Produkten”, so der Commerzbank-Manager. Problematisch sei es derzeit jedoch bei anderen Assetklassen wie Anleihen und Immobilien: “Hier gibt es noch keinen finalen ESG-Kriterienkatalog, an dem sich die Assetmanager orientieren können.” Deshalb seien weniger nachhaltige Anlagekonzepte verfügbar, und die vorhandenen operierten mit sehr unterschiedlichen Maßstäben, was die Vergleichbarkeit enorm erschwere. “Ein evolutionärer Prozess”Schickentanz zufolge wird sich das auch durch die Taxonomie, die sich zunächst vorwiegend auf die Aktienanlage konzentriere, nicht so schnell ändern. “Das Ganze ist aber ein evolutionärer Prozess”, betont er. Unter diesem Blickwinkel sei auch das Konzept des deutschen Fondsverbandes BVI, der Deutschen Kreditwirtschaft (DK) und des Deutschen Derivateverbandes (DDV) zu sehen. Ziel des Konzepts ist es, branchenübergreifend zu regeln, welche Daten die Produkthersteller in welcher Form an die Vertriebsstellen übermitteln und welche Daten die Berater von ihren Kunden bezüglich ihrer Nachhaltigkeitspräferenzen erheben sollen. Die Ausgestaltung des eigentlichen Beratungsprozesses soll dagegen den Vertrieben vorbehalten bleiben. Niedrigschwelliges AngebotDas derzeit mit der Aufsichtsbehörde BaFin diskutierte Konzept sieht für Retailkunden neben den dezidiert nachhaltigen Fonds, deren Zahl noch begrenzt ist, eine niedrigschwelligere Produktkategorie vor. In diese sollen Investmentfonds fallen, die zwar mehr Nachhaltigkeit bieten als klassische Fonds, die jedoch die Schwelle der definierten ESG- und Impact-Investing-Produkte nicht erreichen. “Ziel sollte es sein, für jede Risikobereitschaftsklasse Produkte mit nachhaltigem Bezug und mit entsprechender Liquidität anzubieten”, betont Thomas Nicht, Referent beim Bundesverband der Deutschen Volksbanken und Raiffeisenbanken (BVR). “Den Kern bildet dabei ohne Frage die Bereitstellung dezidierter ESG-Produkte im Markt.” Die differenzierende Abbildung verschiedener Formen des nachhaltigen Investierens ermögliche aber einen weichen Start und vermeide die Blasenbildung in der grünen Nische. “Wichtig ist, dass den Kunden der hinter dem jeweiligen Produkt stehende Investmentansatz vollkommen transparent gemacht wird”, betont Nicht. Vorrangig sei es das Ziel, immer mehr Anlageprodukte nach expliziten ESG-Standards und vor allem auch wirkungsorientierte Investments anbieten zu können.Auch für Commerzbank-Manager Schickentanz ist die geplante Produktkategorie unterhalb der ESG-Normen eine Übergangslösung: “Diese ist pragmatisch und sinnvoll, denn der Kunde möchte nachhaltig anlegen und schon heute aus einer breiten Palette auswählen.” Er rechnet jedoch fest damit, dass immer mehr Assetmanager die strikten Kriterien erfüllen werden, sobald die finale Taxonomie vorliegt.Auch aus Sicht von BCA-Vorstand Ulbricht krankt der Markt der grünen Produkte aktuell noch am mangelnden Angebot: “Das ist ein langfristiger Prozess.” Nicht alle Unternehmen, in die Assetmanager investieren, könnten sofort vollständig nachhaltig wirtschaften. “Das wird auch nicht verlangt. Immerhin ist das Klimaneutralitätsziel der EU auf das Jahr 2050 ausgerichtet”, so der Manager.Neben den notwendigen Vorbereitungen in der IT, die für die Integration der Nachhaltigkeitspräferenzen in die Anlageberatung notwendig sind, haben die Vertriebe parallel begonnen, ihre Berater zu schulen. So werden etwa bei der Commerzbank seit vergangenem Herbst Webinare, Online-Module und Lehrvideos angeboten. “Damit wollen wir im Vertrieb ein breites Nachhaltigkeitswissen vermitteln und zugleich Berührungsängste nehmen”, erläutert Schickentanz. Klassische Fonds bleibenGrundsätzlich beurteilten die Berater das Thema sehr positiv und sähen die Chancen, betont er. “Aber der ein oder andere hat auch Sorge, denn beim Thema Nachhaltigkeit, bei dem es letztlich um Werte geht, kann das Beratungsgespräch schnell auf die persönliche Ebene kommen”, so der Commerzbank-Manager. Nicht jedem Berater sei es recht, nach seiner persönlichen Meinung gefragt zu werden. Wichtig sei es, dass die Commerzbank auch in Zukunft neben nachhaltigen Produkten das klassische Anlageangebot beibehalte, solange noch Nachfrage besteht.Auch im genossenschaftlichen Sektor ist die Schulung der Berater bereits angelaufen. Thomas Nicht zufolge wird der BVR die Schulungen, die über die Akademie Deutscher Genossenschaften (ADG) und die Akademien der Regionalverbände erfolgen, unterstützen und unter anderem Leitfäden erarbeiten. Daneben informiere Union Investment bereits die Ortsbanken. “Das Thema Nachhaltigkeit wird im Vertrieb sehr gut aufgenommen. Wir sehen es im aktuellen Nullzinsumfeld als große Chance”, sagte er.Die BCA setzt die bereits gestartete Workshop-Reihe für die Berater im laufenden Jahr fort. Das Interesse am Thema Nachhaltigkeit ist Ulbricht zufolge groß, auch wenn die neuen Anforderungen zum Teil als zusätzliche Belastung empfunden würden. Wenn das von der Bundesregierung eingesetzte Nachhaltigkeits-Expertengremium, der Sustainable-Finance-Beirat, mit seinen Empfehlungen Gehör findet, müssen die Vertriebe ihre Schulungen möglicherweise noch einmal neu aufsetzen. In einem der Börsen-Zeitung vorliegenden Entwurf des Zwischenberichts empfiehlt das Gremium, die Aufsichtsbehörde BaFin solle der Branche einen Schulungsumfang für Führungskräfte und Finanzberater vorgeben.