Mini-Banken

Die Bank bleibt im Dorf

Allen Fusionen zum Trotz stemmt sich im Ländle eine Reihe von landwirtschaftlich geprägten Minibanken gegen den Trend zu größeren Einheiten. Dabei kommt ihnen bei der Risikoeinschätzung ihr ausgeprägtes persönliches Wissen über die Verhältnisse vor Ort zugute.

Die Bank bleibt im Dorf

Von Thomas Spengler, Stuttgart

Wenn sich die Straße nördlich von Göppingen verengt, taucht hinter den Bergen Hohenstaufen und Rechberg der Flecken Maitis mit 710 Einwohnern auf, die das Gros der 675 Mitglieder des örtlichen Bänkles stellen. Mit einer Bilanzsumme von 32,0 Mill. Euro behauptet sich die dortige, 1924 gegründete Raiffeisenbank ge­gen den Zeitgeist, der nach Sy­ner­gien, Skaleneffekten und Digitalisierung ruft. Schließlich gibt es im Dorf nicht einmal einen Geldautomaten. „Zu teuer“, winkt Vorstand Harald Reuter ab. Dafür hat die Bank an sechs Wochentagen geöffnet, montags und donnerstags sogar bis 19:30 Uhr. Und das mit fünf Beschäftigten, wovon nur die beiden Vorstände in Vollzeit arbeiten. Meistens kennen sie die Kontonummern der Kundschaft auswendig – kein Wunder, wird doch noch von Hand verbucht, über das System der DZ Bank. Dabei steht Maitis mit einer Bilanzsumme in dieser Größenordnung gar nicht so allein da, wie es zunächst scheinen mag. Allein in Baden-Württemberg liegen immerhin elf der 144 Volks- und Raiffeisenbanken per Ende 2021 bei einem Geschäftsvolumen von unter 100 Mill. Euro – allesamt ländlich geprägte Raiffeisenkassen wie etwa die Institute in Gammesfeld, Tüngental oder eben Maitis, die sich in der Gegend zwischen Hohenlohe und Ostalb befinden. Nur die Raiffeisenbank eG Struvenhütten nördlich von Hamburg ist mit einer Bilanzsumme von 20,6 Mill. Euro bundesweit noch kleiner als Maitis.

Man kennt sich

Wie aber funktioniert das Überleben der Institute in der Provinz? „Was uns auszeichnet, ist die tiefe Verwurzelung vor Ort“, erklärt Reuter, der zusammen mit Willy Strohmaier die Raiffeisenbank in Maitis führt. Oder anders ausgedrückt: „Die absolute Nähe zu den Kunden ist unser Standortvorteil“, wie es Andreas Stein ausdrückt, Vorstand der Raiffeisenbank Tüngental, die bei 1049 Mitgliedern eine Bilanzsumme von 59,9 Mill. Euro auf die Waage bringt. Man kennt sich eben im Dorf, oft schon seit Generationen. Dabei ist den Überzeugungstätern in Sachen Ge­nossenschaftswesen durchaus eine kritische Distanz zu den größeren Instituten gemein. „Große Einheiten arbeiten zu industriell, unpersönlich und oft nur mit Computerwissen“, sagt Bankbetriebswirt Reuter, der vor zehn Jahren die Raiffeisenbank Maitis einer Karriere bei einem großen Institut vorgezogen hat. Da bleibe bei einer standardmäßigen Beratung von 90 Minuten für eine Baufinanzierung viel zu viel an Informationen auf der Strecke.

Ohnehin stellt die Baufinanzierung das Kerngeschäft der Minibanken dar, womit sie ihren größten Trumpf ausspielen können: die hohe Marktkenntnis, die sie möglichst vor Kreditausfällen schützt. „Risiken einzuschätzen ist eine unserer Stärken“, erklärt dazu Peter Breiter von der Raiffeisenbank Gammesfeld. Zum weiteren Credo der Minibanken gehört es, keine Verkaufsziele anzupeilen, sondern die Menschen vor Ort bedarfsgerecht zu beraten, wie Reuter sagt. Daher rate man nach guter, alter Kaufmannssitte den Kunden auch schon mal davon ab, auf ein Geschäft einzugehen. „Unsere Kunden dürfen erwarten, dass wir ihnen nichts aufschwätzen wollen“, versichert er und verweist auf das Motto eines der Begründer der genossenschaftlichen Bewegung, Friedrich Wilhelm Raiffeisen, „Einer für alle, alle für einen“, das am Wirtschaftsgebäude der Bank prangt.

Kein Geldautomat

Die kundennahe Geschäftsauffassung der Institute scheint sich auch bei jungen Leuten herumgesprochen haben, die bei den Minibanken in der Regel für Nachwuchs unter Mitgliedern und Kunden sorgen. Da schreckt auch das Fehlen eines Geldautomaten nicht ab, Onlinebanking ist ja dennoch möglich. Ohnehin ist den Beteiligten klar, dass die Kunden auch andere Bankverbindungen pflegen. „Wenn es aber um schnelle Entscheidungen und den persönlichen Kontakt geht, haben wir die Nase vorn“, macht Stein deutlich. Daneben halten die Minibanken ihre Kosten in Grenzen, insbesondere durch den Verzicht auf Zweigstellen. Für Tüngental erachtet Stein eine Kernkapitalquote von 16,7% als Basis für weiteres Wachstum. Maitis bringt es hier sogar auf 25%, weil in der Vergangenheit regelmäßig die Rücklagen gestärkt wurden. Nach vorläufigen Zahlen hat die Bank 2021 ihren Jahresüberschuss um gut ein Drittel auf 40200 Euro gesteigert. Tüngental liegt hier bei 139400 Euro, ein Plus von 18%.

Etwas anders als Maitis und Tüngental tickt die Raiffeisenbank Gammesfeld im Landkreis Schwäbisch Hall, die mit einem Raum von acht mal drei Metern zumindest in dieser Kategorie die wohl kleinste Bank der Republik, wenn nicht gar der Welt, darstellt. Seit Anfang 2008 betreibt dort Peter Breiter (50) in einer Art One-Man-Show als geschäftsführender Vorstand „Bankgeschäfte wie vor 100 Jahren“ und nennt es doch „den besten Job der Welt“. Das verdankt der gebürtige Gammesfelder seinem in Genossenschaftskreisen legendären Vorgänger, dem bibelfesten Bankrebellen Fritz Vogt, der nach langem Kampf 1990 vor dem Bundesverwaltungsgericht Berlin durchgesetzt hatte, dass der Betrieb einer Bank auch ohne die üblichen zwei hauptamtlichen Mitarbeiter rechtens sei. Stattdessen gibt es in Gammesfeld neben dem geschäftsführenden Vorstand einen nebenberuflichen und einen ehrenamtlichen. Sollte Breiter mal arbeitsunfähig werden, würde eine Nachbarbank eine Vertretung stellen. Dies war freilich noch nie der Fall, schließlich hat Breiter bisher nie häufiger als zwei Tage am Stück gefehlt.

331 Mitglieder, die alle aus dem Ort kommen müssen und pro Familie jeweils einen Genossenschaftsanteil von 300 Euro halten, stützen die Bank, deren Kundenzahl bei rund 1000 liegt. Nachdem die 1890 gegründete Kasse lange Jahre hohe Dividenden ausgeschüttet hat, weist das Institut ein unterdurchschnittliches Eigenkapital von 2,1 Mill. Euro aus. „Würden wir es wie in den letzten Jahren nicht regelmäßig aufstocken, wäre es schnell vorbei mit der Eigenständigkeit“, macht Breiter klar. Gespart wird auch an der Einrichtung, die immer noch original aus den 1960er-Jahren stammt, weshalb manche auch vom „Museumsbänkle“ schwätzen. Man sei eben sehr altertümlich, alles Neue koste Geld, sagt Breiter.

Die Rechenmaschine rattert

Und so tippt er weiter Überweisungen mit seiner mechanischen Schreibmaschine ein, lässt die ratternde Rechenmaschine Belege addieren und tätigt im Rekordtempo jede Buchung selbst, ist das Institut doch bis heute an kein Rechenzentrum angeschlossen. Die Kontonummern kennt er ohnehin auswendig. „Alles ist extrem entschleunigt“, sagt Breiter über seinen Traumjob. Dazu gehört es auch, dass er hin und wieder als Kummerkasten für die Sorgen aus dem Dorf herhalten muss – und bleibt dabei so diskret wie als Banker.  Händisch verbucht, bringt es Breiter auf eine Bilanzsumme von 36,2 Mill. Euro (2021), wovon 35 Mill. Euro an Einlagen 12 Mill. Euro an Krediten gegenüberstehen. Die Differenz liegt weitgehend als Festgeld bei der DZ Bank – „ganz langweilig“, wie er sagt.

Für alle gleich

An Produkten gibt es Giro- und Sparkonten sowie Darlehen. Für Letzteres setzt die Bank aktuell einen Zins von 1,50% an – egal, ob damit ein Auto oder eine Immobilie finanziert werden soll. „Die Absicherung über eine Hypothek ist doch immer die Gleiche“, sagt Breiter. Die Kreditwürdigkeit sei schließlich entscheidend, nicht die Verwendung. Jeder Kreditnehmer bekommt die gleichen Konditionen, die etwas schlechter als bei benachbarten Banken sind – da macht Breiter kein Hehl daraus. Jedoch ist die Bank durch die Niedrigzinsphase unter Druck geraten, der Jahresüberschuss zuletzt von 30000 auf 14000 Euro weiter geschrumpft. Den allmählich einsetzenden Zinsanstieg nennt Breiter daher lebensnotwendig für die Bank.

Ohnehin nagt an dem speziellen Geschäftsmodell von Gammesfeld der Zahn der Zeit. Nachdem der damalige IT-Dienstleister 2014 den Stecker für die preisgünstige Versorgung mit Geldkarten gezogen hatte, wären jährlich 50000 Euro angefallen, was die Bank nicht zu leisten vermochte. Also wurde die Ausgabe von Geldkarten eingestellt – mit der Folge, dass sich das Bänkle seither schwertut, neue, junge Kunden hinzuzugewinnen. „Zehn Jahre hält das Modell bestimmt noch“, schätzt Breiter. Dann aber könnte in einer der kleinsten Banken Deutschlands tatsächlich irgendwann einmal das Neonlicht ausgehen. Bleibt unterm Strich die Erkenntnis, dass eine erfolgreiche Minibank nicht nur einen zu ihr passenden, eher ländlichen Markt benötigt. Vielmehr müssen auch die dort tätigen Banker jede Menge Herzblut für ihr Marktgebiet und die Nähe zu den Leuten vor Ort mitbringen.

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