Die Blockchain-Technologie kann Brücken schlagen
Dr. Timo BernauRechtsanwalt und Partner bei der Wirtschaftskanzlei GSK StockmannEine Vielzahl der heutzutage ausgegebenen Finanzierungsinstrumente ist immer noch vergleichsweise komplex und teuer. Bei großvolumigen Wertpapieremissionen wird auf die individuellen Spezifika des jeweiligen Emittenten Rücksicht genommen und ein genau passendes Konstrukt aufgesetzt. Man könnte sagen, die aktuellen Begebungen im Kapitalmarkt sind sehr aufwendig, aber wohlkonstruierte Maßanzüge. Das Problem ist, die Produkte haben zwar eine hervorragende Qualität, aber decken nicht den kompletten Markt ab. Viele Mittelständler hätten Interesse, sich Geld über Schuldtitel am Kapitalmarkt zu besorgen, aber sie möchten oder können dabei vielleicht nicht das Geld für einen Maßanzug ausgeben, sondern wären mit einem Produkt von der Stange vollkommen zufrieden. Dann bleibt oftmals nur der Kreditmarkt: Hier versuchen Unternehmen ähnlich strukturierte Produkte zu nutzen, die aber andere Risikostrukturen besitzen als Kapitalmarktprodukte. Die Blockchain-Technologie kann hier eine Brücke schlagen, um standardisierte Kapitalmarktprodukte automatisiert zu begeben, zu handeln und fällig zu stellen – und somit den Prozess sowohl mit geringeren Kosten als auch weniger Ressourcen abzuwickeln. Bereits seit geraumer Zeit engagieren sich insbesondere große Finanzinstitute, Depotbanken und andere Finanzintermediäre wie zum Beispiel einige Börsen in verschiedenen Anwendungen von Blockchain bzw. Distributed Ledger Technology (DLT). Oft werden zusammen mit ausgewählten Kunden unterschiedlichste Finanzierungen – zum Beispiel Geldmarktpapiere oder Schuldscheindarlehen – mittels verteilter Register (Distributed Ledger) ausschließlich elektronisch, d.h. ohne das Ausstellen einer papierhaften Urkunde, begeben und vollständig über die DLT abgewickelt. Um auch die Geldseite, also die Zahlung des Ausgabepreises und der Verzinsung sowie die Rückzahlung des Nominals direkt über die DLT außerhalb eines Bankensystems abbilden und die Transaktion im Zug-um-Zug-Verfahren durchführen zu können, bedarf es wiederum des Einsatzes elektronischer DLT-basierter Geldwerteinheiten (sogenannte Currency Token) oder jedenfalls einer technischen Schnittstelle zum klassischen Kernbankensystem. Durch die Dezentralität der verteilten Register erhalten die Parteien unmittelbaren Zugriff auf sämtliche Transaktionsdaten und durch den Einsatz von vorprogrammierten Algorithmen im vertraglichen Bedingungswerk (auch Smart Contracts) erfolgt die Abwicklung der Transaktion nahezu selbsttätig. Hierdurch werden weitere Intermediäre wie auch das eigene Vertragsverwaltungssystem nahezu entbehrlich. Angesichts eines solch hohen Automatisierungsgrades, der Zeit- und Kostenersparnis scheint das Potenzial für die Treasury-Abteilungen der Großkonzerne enorm. Zur selben Zeit sind es aber gerade junge Technologieunternehmen, die über die Ausgabe von dematerialisierten Vermögensanlagen alternative Wege der Finanzierung gefunden und hierfür einen eigenen Markt geschaffen haben, der sich bis dato aber vornehmlich an private Investoren wendet. Dabei könnten dematerialisierte Vermögenswerte insbesondere für eine in diesem Umfeld kaum beachtete Gruppe interessant sein: den Mittelstand. Sicherlich kann die DLT Effizienzen in der Abwicklung von Wertpapieren ermöglichen und dahinterliegende Prozesse zum Beispiel in der Form von Zins- oder Dividendenzahlungen automatisieren. Darüber hinaus haben digitale Vermögenswerte aber noch viel weitergehende Möglichkeiten zur Disruption. Um beim Bild des Anzugs zu bleiben: Auch beim Modell von der Stange bleibt die Auswahl des Schnitts, der Farbe und der Größe, selbst wenn man nicht in den Genuss eines exakt zugeschnittenen Produktes gelangt. Digitale Assets bieten hier trotz ihrer hohen Standardisierung ausreichend Flexibilität und eine Skalierbarkeit der Kosten, um verschiedene vordefinierte Parameter in der Ausgestaltung des Finanzinstruments erschwinglich zu machen. Neben den zunächst auf der Hand liegenden Effizienzgewinnen durch Zeit- und Kostenersparnis bietet die DLT-Technologie über die Ausgestaltung der digitalen Vertragswerke noch weitere Vorteile. Bei einer automatisierten Begebung ist es nicht mehr notwendig, über die Menge zu skalieren, um die Grenzkosten zu senken, sondern es kann beliebig technisch skaliert werden. Leicht vergisst man, dass die Finanzierung immer einem wirtschaftlichen Zweck dient, dem eigentlichen Grundgeschäft. Lassen sich Grundgeschäft(e) und Finanzierung(en) aber technisch miteinander verbinden und aufeinander abstimmen (z.B. über ERP-Systeme), ist eine erheblich präzisere Finanzsteuerung möglich. Ein weiterer interessanter Anwendungsfall der DLT ist die Ausgestaltung von Maschinen oder Anwendungen zu eigenen Profit-Centern mittels Anbindung zu anderen Geräten. Die ersten Anwendungsfälle von solchen Machine-to-Machine-Transaktionen, also von über die Blockchain miteinander vernetzten Maschinen – zum Beispiel eine Ladesäule und ein Fahrzeug, die bestimmte Leistungen und die dazugehörigen Zahlungen selbsttätig ohne menschliches Zutun auslösen, haben ihren Praxistest bereits erfolgreich bestanden. Werden die dahinterstehenden Beteiligten auch im Treasury über die DLT miteinander verbunden, ließe sich zudem insgesamt deren Liquiditätsmanagement aufeinander abstimmen und optimieren. Natürlich sind solche Anwendungsfälle noch Zukunftsmusik, aber sie sind juristisch, technisch und aus Finanzsicht heute bereits durchführbar. Für solche und ähnliche Anwendungsfälle benötigt es allerdings eine neutrale und zugleich von den Marktteilnehmern anerkannte Infrastruktur und Standardisierung für digitale Vermögenswerte. Eine höhere Akzeptanz von der Marktseite erfordert aber wiederum einen verlässlichen Rechtsrahmen. Das hat auch die Politik in Deutschland inzwischen erkannt und im August den bereits für 2019 angekündigten Referentenentwurf eines Gesetzes zur Einführung elektronischer Wertpapiere in Form von Schuldverschreibungen vorgestellt. Gemäß dem Entwurf wird die Begebung von rein elektronischen Wertpapieren und von in einem dezentralen Register geführten sogenannte Kryptowertpapieren sowie deren Verwahrung und Handelbarkeit möglich sein. Zusätzlichen Auftrieb erfährt die Entwicklung der DLT-Technologie im Finanzsektor durch eine aktuelle Initiative der Europäischen Kommission. Das Ende September ausgerufene Digital Finance Package der Kommission beinhaltet unter anderem den Vorschlag für ein eigenständiges aufsichtsrechtliches Regime für die Emission und den Handel verschiedener Kryptowerte (sogenannte Regulation on Markets in Crypto-Assets, MiCA) sowie einen Verordnungsentwurf für ein Pilotregime für bestimmte Marktinfrastrukturen mit DLT-Technologie. Es ist unverkennbar, dass ein harmonisierter Rechtsrahmen im EU-Binnenmarkt die aktuellen Entwicklungen hinsichtlich der fortschreitenden Digitalisierung von Vermögenswerten erheblich beschleunigen wird. Im Ansatz ist bereits jetzt zu beobachten, dass trotz aller Hürden der Markt langsam konvergiert.