Die digitale Transformation in der Fondswelt
Sie können mich jederzeit per E-Mail erreichen. E-Mail? Haben Sie denn keinen Avatar? Ist das Zukunftsmusik und alles Science-Fiction? Weit gefehlt. Unsere Arbeitsweise ändert sich stetig, und sie wird nicht zuletzt aufgrund der Covid-19-Pandemie digitaler. Die neue Generation Z, die heute in virtuellen Hörsälen ihr Studium absolviert, wird morgen auf den Arbeitsmarkt strömen und unsere bisherige Arbeitsweise in Frage stellen. Ihre Bedürfnisse nach mehr Flexibilität, mehr virtueller Teamarbeit, neuen agilen Softwarelösungen und einem schnelleren Austausch mit anderen Fachabteilungen werden nachhaltig unsere Zusammenarbeit verändern.Die Fondsbranche, die heute schon von der digitalen Transformation geprägt ist, – digitale Lösungen wie zum Beispiel Robo-Advisor sind heute bereits im Einsatz – kann hier eine Vorreiterrolle einnehmen. Insbesondere große Fondshäuser, die unter stetig steigendem Wettbewerbsdruck stehen, werden nach entsprechenden Antworten suchen und ihre Arbeitsabläufe an die neuen Bedürfnisse ihrer zukünftigen Mitarbeiter und Kunden anpassen. Prozesse müssen zunehmend automatisiert, standardisiert aber auch neu durchdacht und in Frage gestellt werden. Mitarbeiter müssen geschult und auf das digitale Zeitalter vorbereitet werden. Zentral hierbei erscheint die Reduktion repetitiver Arbeitsabläufe durch das Einsetzen innovativer Lösungen, insbesondere bei der Verarbeitung der stetig steigenden Datenmengen, die bislang bei einer Vielzahl an Akteuren angefragt und aufgrund des unterschiedlichen Datenformats teils sehr aufwendig verarbeitet und ausgewertet werden müssen. Beispiel SteuerreportingAgile Softwarelösungen, die sich flexibel an diese unterschiedlichen Anforderungen der Fondsprodukte anpassen und zugleich große Datenmengen formatunabhängig verarbeiten können, haben das Potenzial, die Fondsverwaltung hier zu revolutionieren. Am Beispiel des Steuerreporting für Investoren von alternativen Investmentfonds (AIF) zeigt sich, zu was diese agilen Softwarelösungen in der Lage sind. Hier benötigen Investoren aus den unterschiedlichsten Ländern meist ad hoc ein Steuerreporting von ihren Fonds, welches nach landesspezifischen Steuervorgaben zu erstellen ist, zum Beispiel K1-Reporting in den USA oder die einheitliche und gesonderte Gewinnfeststellung in Deutschland.Eine Fondsverwaltungsgesellschaft, die sich in der Regel dazu verpflichtet hat, dieses Steuerreporting zu liefern, kann heute diese Verpflichtung nicht ohne externe Hilfe erfüllen. Zu groß ist das Risiko, ein Steuergesetz falsch auszulegen, zu zeitaufwendig und kostenintensiv ist die Aufbereitung und Zusammenstellung der benötigten Daten. Agile Softwarelösungen zeigen hier ihren Mehrwert insbesondere dadurch, die gesamte Tax Compliance der alternativen Fondsprodukte länderübergreifend voll automatisiert abwickeln zu können und gleichzeitig den Investoren als virtuelle Kommunikationsplattform zu dienen.Die agile Softwareentwicklung funktioniert dabei ohne ein detailliertes “Lastenheft”, welches normalerweise zu Beginn einer neuen Softwareentwicklung erstellt wird. Detaillierte Anforderungen ergeben sich meist erst während des Entwicklungsprozesses. Diese Vorgehensweise spart Zeit und liefert schnelle Zwischenlösungen. Ein neues Softwareprojekt startet daher sofort mit der Konzeption und geht nahtlos in die Entwicklung der wichtigsten Funktionen über. Die Product Owner bestimmen jederzeit, was als Nächstes geschehen soll, und konzipieren Anforderungen in Form von User Stories (Erfahrungswerten) für die zweite Stufe, während die erste Stufe bereits umgesetzt wird. Teams arbeiten fachübergreifend zusammen und fügen nach und nach vorhandene Bausteine der Software komponentenbasiert zusammen. Stärken ausspielenAm Beispiel des Steuerreporting für Fonds kann die agile Softwareentwicklung bereits heute ihre Stärken ausspielen. So wird zum Beispiel in einer ersten Stufe die Datenerfassung und Datenzuordnung priorisiert werden, da dies in den Fondshäusern eine zeitaufwendige und repetitive Arbeit bedeutet. Die Prämisse, die hier an die Softwareentwickler gerichtet wird, lautet: Überführe sämtliche Daten in ein einheitliches und standardisiertes Datenformat. Basierend auf diesem Datenformat sollen dann in einer zweiten Stufe der Entwicklung Steuerreports für unterschiedliche Länder erstellt und gleichzeitig den Steuerbehörden übermittelt und zugänglich gemacht werden. Am Ende der Entwicklung soll über eine Chatbot-Lösung eine Interaktion zwischen der Fondsgesellschaft und einem multinationalen Team von Steuerexperten ermöglicht werden. Mit einer solchen End-to-End-Lösung lassen sich die Prozesse der Datenverarbeitung und des Steuerreporting vereinheitlichen. Folglich können die verschiedenen länderübergreifenden Anforderungen an ein Produkt auf einen Serviceanbieter zentralisiert werden.Die Anforderungen, denen das Tool gerecht werden muss, ergeben sich dabei aus den Steuergesetzen und den Bedürfnissen der Investoren. Entsprechend ist das Tool in der Lage, investorenspezifische Steuerreports zu erstellen. An der Entwicklung der Softwarelösung sind daher Experten unterschiedlicher Fachrichtungen beteiligt. Insbesondere hoch qualifizierte Steuerfachkräfte stellen die Tax Compliance sicher. Die IT-Experten verantworten die technische Umsetzung und stehen im ständigen Austausch mit den Steuerexperten. Zusätzlich fungieren sogenannte Business-Analysten als Vermittler zwischen IT-Experten und Steuerexperten und übersetzen das steuerliche “Fachchinesisch” in eine für IT-Experten verständliche Sprache.Eine zentrale Rolle spielt zudem der ständige Austausch mit der Fondsgesellschaft. Diese nimmt von Beginn an teil an der Entwicklung einer individuellen Lösung. Der regelmäßige und unkomplizierte Austausch hat eine zentrale Bedeutung in der Zusammenarbeit. Die Zufriedenstellung der Fondsgesellschaft durch frühe und kontinuierliche Auslieferung und das Testen der Software sind weitere Komponenten im Entwicklungsprozess. Dies ermöglicht ein frühzeitiges Einschreiten und schnelle Richtungswechsel. Nicht das Endprodukt steht im Fokus, sondern schnelle Entwicklungserfolge kleinerer Komponenten, die frühzeitig angepasst und verbessert werden können. Einfachheit und technische Exzellenz stehen dabei vor Design.Im Bereich der AIF-Fonds, insbesondere bei Private-Equity-(PE)- und Real-Estate-Fonds (RE-Fonds), sind die Zielvorgaben durch die stetig wachsenden Compliance-Anforderungen, die unterschiedlichen Datenformate und die erschwerte Datenbeschaffung quasi vorgegeben. Ein PE-Fonds, der zum Beispiel als Personengesellschaft aufgesetzt ist und über Holding-Gesellschaften in unterschiedliche Portfoliounternehmen investiert und an verschiedenste Investoren ein Steuerreporting liefern muss, wird hauptsächlich damit beschäftigt sein, alle Datenquellen zu kontaktieren, Datenlieferungen zu koordinieren und unterschiedliche Datenformate zu konsolidieren. In der PE-Welt wird diese Datenbeschaffung heute vorwiegend manuell von Mitarbeitern im Unternehmen bewältigt. Dabei handelt es sich um einen klassisch repetitiven Arbeitsablauf, den man durch agile Softwarelösungen standardisieren und automatisieren kann.Bei uneinheitlichen Datenformaten (pdf, Excel, Word-Formate) muss ein Steuerreporting in einem sehr aufwendigen Verfahren (meist manuell) erstellt werden. Eingabefehler sind wahrscheinlich, Manipulationen des Zahlenwerks nicht kontrollierbar und fehlerhafte Steuerreports die Folge. Auch hier sucht die Branche verzweifelt nach adäquaten Lösungen, die es bisher nicht gab beziehungsweise die nur oberflächlich zu funktionieren scheinen. In Kombination mit einem RPA-Datensammlungsroboter (RPA steht für Robotic Process Automation) bietet nun die zuvor genannte agile Softwarelösung eine neue Möglichkeit zur Automatisierung von Steuerreports für Investoren. Covid-Krise und ihre FolgenDie digitale Transformation ist längst in der Fondswelt angekommen. Die Covid-19-Krise wird die Arbeitsmethoden heutiger und zukünftiger Mitarbeiter entscheidend prägen. Nun geht es darum, diese unterschiedlichen Bedürfnisse zu erkennen und bestehende Prozesse daraufhin abzustimmen. Die fachübergreifende Zusammenarbeit der Mitarbeiter, eine neue Form der Kommunikation und die Berücksichtigung kundenspezifischer Bedürfnisse sind bereits heute durch agile Softwareentwicklungslösungen möglich.Gleichzeitig wird die längst überfällige Automatisierung und Standardisierung von repetitiven Aufgaben voranschreiten. Dabei muss sichergestellt werden, dass weiterhin ausreichend qualifiziertes Personal bereitgestellt wird, welches die Compliance sicherstellt und Kontrollaufgaben übernehmen kann. Agile Softwarelösungen bieten auch hierbei eine Kombination aus technischem Nutzen und fachlichem Expertenwissen. Insbesondere bieten sie innovative Möglichkeiten, die zunehmende Flut von Datenmengen zu kontrollieren, Datenverarbeitung zu vereinheitlichen und daraus konsistente Investorenreports effizient zu generieren. Christian Bednarczyk, Partner Cross-Border Tax bei Deloitte Luxemburg und Jonathan Streicher, Director Cross-Border Tax bei Deloitte Luxemburg