Digitalisierung

Die digitale Transformation ist kein Selbstzweck

Betriebswirtschaftliche Mechaniken funktionieren auch bei der digitalen Transformation. Vorhaben erhalten so neue Schubkraft und bilden nachhaltige Basis für beschleunigten Prozess, schreibt Gastautor Rainer Zierhofer von Horváth.

Die digitale Transformation ist kein Selbstzweck

Im Rahmen der von Horváth durchgeführten CxO-Studie 2021 wurden 250 Top-Entscheider zu ihren strategischen Prioritäten befragt. Dabei stellt die digitale Transformation − sowohl im Banking als auch in den meisten anderen Branchen − die Top-Priorität dar. Bei genauer Analyse der Ergebnisse der Studie wird transparent, dass die aktuelle Priorität in der Digitalisierung der Wertschöpfungskette mit Fokus auf Kosteneffizienz und Produktivität liegt. Umsatzwachstum durch digitale Geschäftsmodelle und Services findet noch keine ausreichende Berücksichtigung.

Zusätzlich wird die Digitalisierung noch immer als technokratische Übung verstanden. Es sind kaum Investitionen in Mindset und Kompetenzen vorzufinden, um die Digitalisierung nachhaltig zum Erfolg zu bringen. Jedoch konnte im Rahmen der Studie eine deutliche Stärkung der Betrachtung von Organisations- und Zusammenarbeitsmodellen sowie des Prozessmanagements festgestellt werden. Dies könnte als erstes Anzeichen dafür gewertet werden, dass die Amortisation von getätigten Investitionen durch systematische Schaffung entsprechender struktureller und methodischer Voraussetzungen adressiert wird.

In vielen Branchen hat das Homeoffice erzwungenermaßen den Praxistest längst bestanden. Die neuen Arbeitsformen, die anfangs in vielen Fällen mit großen Herausforderungen verbunden waren, sollten jetzt chancenorientiert genutzt werden, um ein neues Verständnis von „Arbeit“ zu entwickeln. Der Wunsch nach „New Work“ wird vielerorts lauter, doch viele Ansätze springen zu kurz, denn es geht im Homeoffice um deutlich mehr als einen Kickertisch und bunte Sessel. Das Thema „New Work“ stellt vor allem das psychologische Empowerment der Mitarbeiter in den Mittelpunkt.

Das Erleben von Bedeutsamkeit, Selbstbestimmung, Einfluss und Kompetenz wirkt sich nicht nur vorteilhaft auf die Mitarbeiterzufriedenheit, sondern auch auf den Unternehmenserfolg aus. Die CxO-Studie verdeutlicht, dass das Thema Führung, Mitarbeiterengagement und Kompetenzentwicklung eine der Top 3-Prioritäten auf der Agenda der Top-Manager einnimmt. Das Büro von morgen muss zu einem „Allrounder“ umgestaltet, Kollaboration sollte als neue Supermacht etabliert und den Mitarbeitenden ein „Purpose“ für ihre Arbeit gegeben werden.

Ganzheitliche Transformation

Die Zeit für gezieltere Investi­ti­onen und striktere Steuerung der digitalen Unternehmenstransfor­mation ist gekommen. Es ist jedoch zu beobachten, dass trotz Budget­­erhöhungen im Bereich Informationstechnologie nur ein Drittel der beteiligten Unternehmen unserer Studie eine ganzheitliche Digitalisierungsstrategie verfolgt und sich der digitale Reifegrad stark zwischen den Unternehmen unterscheidet. Während einige noch dabei sind, ihre Basisprozesse im Kredit- und Anlagegeschäft zu digitalisieren, sind an­dere bereits heute Vorreiter und versuchen, datengestützte Ge­schäftsmodelle zu monetarisieren.

Eine ganzheitliche Transformation der Ge­schäftsmodelle wird unter anderem durch die veränderten Er­wartungen der Kunden ausgelöst. Kanäle werden dabei vor allem von den Banken diskutiert – der Kunde jedoch erwartet einfach eine über alle Interaktionspunkte durchgängige Beratungs- und Servicequalität und denkt nicht in „Kanälen“. Es reicht schlichtweg nicht aus, Filialen zu schließen, die bis­herigen Services und Produkte in virtuellen Beratungscentern zu bündeln und Prozesse und Systeme wie eine „Telefonieanlage“ zu betreiben. Vielmehr ist es nun für Banken erfolgsentscheidend, in einen Omnikanalansatz entlang der gesamten Wertschöpfungskette zu investieren und somit einerseits das Kundenerlebnis zu verbessern, gleichzeitig aber auch durch digitale (Self-)Services, intelligentes Routing von Arbeitsaufträgen und optimale Steuerung des Mitarbeitereinsatzes auch die Effizienz zu erhöhen. Der Aufbau und die Aufrechterhaltung digitaler Kundenbeziehungen können langfristig ein erfolgreicher Hebel für eine höhere Kundenzufriedenheit, eine gesteigerte Loyalität und eine verbesserte Profitabilität durch neue Ertragsquellen sein und die Bank von anderen Mitspielern im Markt differenzieren.

Hierzu ist allerdings die Alltagsrelevanz des Bankings deutlich zu erhöhen. Durch die Etablierung eines digitalen Plattformgeschäftes basierend auf einem integrierten Ökosystemansatz können Bankprodukte und Finanzdienstleistungen auch von Nichtfinanzunternehmen angeboten werden und somit die Bedürfnisse des Kunden an jedem Ort zu jeder Zeit erfüllen. Ob Banken eine solche Plattform selbst aufbauen, Partnerschaften eingehen oder im Sinne von „embedded finance“ im E-Commerce mitspielen und sich in andere Wertschöpfungsketten, wie zum Beispiel Dienstleistungen im Kontext Gesundheit, Mobilität oder erneuerbare Energien, integrieren sollen, hängt von der individuellen strategischen Ausgangslage und Ambition ab. Dem Thema „Plattformgeschäft“ an sich kann sich aber heute keine Bank mehr entziehen. Es ist keine Frage des „Ob“, sondern des „Wie“.

An neue Realitäten anpassen

Alle Player in der Bankenlandschaft sind nach wie vor damit beschäftigt, das gesamte Betriebsmodell an die neuen Realitäten im Sinne eines Ziel-Betriebsmodells anzupassen. Eine große Herausforderung stellen nach wie vor personal(kosten)intensive Bereiche wie Vertrieb, Operations oder allgemeine Verwaltungsfunktionen dar. Oftmals ist ein gewisses Maß an Unordnung und Zersplitterung von Einzelinitiativen sowie eine fehlende dynamische Steuerung der Vorhaben im Einzelnen oder im Verbund festzustellen.

Zudem besteht das Risiko, dass Digitalisierungsinitiativen nicht den erhofften Nutzen stiften oder nach einer gewissen Zeit versanden. Finanzdienstleister der Zukunft werden nur jene sein, die Synergiepotenziale über alle Unternehmensebenen hinweg systematisch weiterentwickeln und das Tabudenken auch unternehmens- beziehungsweise säulenübergreifender Kooperationslösungen aus dem Weg räumen. Potenziale klassischer Konzepte von Shared-Services-Ansätzen oder Outsourcing müssen mit Möglichkeiten intelligenter Prozessautomation und algorithmenbasierter Entscheidungsunterstützung kombiniert werden, um in einer disruptiven und sich ständig verändernden Post-Pandemie-Landschaft dauerhaft überlebensfähig zu sein.

Digitalisierungsinitiativen in Unternehmen sind interdisziplinär, facettenreich und spiegeln nicht nur die Komplexität der gesamten Prozesse vom Kunden zum Kunden im Unternehmen wider, sondern bieten auch eine ganze Palette an Lösungsmöglichkeiten, welche jedoch auf den ersten Blick sehr umfassend und vielschichtig erscheinen können. Um mögliche Wirkungszusammenhänge dieser Initiativen transparent und steuerbar zu machen, ist es essenziell, nicht einfach auf technische Wundermittel zu setzen, sondern ein zweckorientiertes und einfaches Digitalisierungsframework für die Gestaltung, Ausführung und Steuerung dieser Aktivitäten zu entwerfen und dieses übergreifend zu verankern.

Aus der Unternehmens- und Beratungspraxis einer Vielzahl von Digitalisierungsprojekten lässt sich ein solcher Strukturierungsrahmen für eine erfolgreiche ganzheitliche Transformationsreise ableiten. Grundsätzlich braucht es dafür nur zwei Perspektiven – eine werthebelorientierte Sicht, vom Geschäftsmodell, von Produkten und Services, der Gestaltung der Kundenschnittstelle bis in die Wertschöpfung, andererseits eine Sicht auf Befähiger, wie Technologien, Daten, Algorithmen, aber auch Human- und Organisationskapital und ein tragfähiges externes Partnerkonzept. Dieser Denkrahmen bildet eine Basis für die Ordnung von Digitalisierungsinitiativen und ermöglicht durch die Bereitstellung eines entsprechenden Werkzeugkastens den Ausgangspunkt für eine dynamische Port­foliobetrachtung und eine weiterführende betriebswirtschaftliche Le­benszyklusanalyse zur Ableitung optimierender Maßnahmen.

Erfolgsfaktoren im Rahmen dieser ganzheitlichen Herangehensweise sind eine gleichzeitig strate­gische wie auch pragmatische Herangehensweise, eine stringente Umsetzung der priorisierten Initiativen und ein entsprechendes Nutzeninkasso. Die digitale Transformation ist kein Selbstzweck! Grundlegende betriebswirtschaftliche Mechaniken funktionieren auch hier. So erhal­ten Digitalisierungsvorhaben neue Schubkraft und bilden ein nachhaltiges Fundament für einen beschleunigten Transformationsprozess.

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