Die Digitalisierung revolutioniert den Einzelhandel

Rolle der innerstädtischen Einzelhandelsimmobilie und der sie beherbergenden Quartiere muss neu gedacht werden

Die Digitalisierung revolutioniert den Einzelhandel

Digitalisierung und E-Commerce werden das Konsumverhalten und den Handel tiefgreifend verändern. Bereits jetzt führt beides zu einem rasanten Anwachsen des innerstädtischen Waren- und Lieferverkehrs. In der City-Logistik von morgen wird es daher darum gehen müssen, die Flut an Paketen stärker in Läden, Geschäftshäuser und Warenhäuser zu lenken. Die Rolle der innerstädti-schen Einzelhandelsimmobilie muss als City-Hub neu definiert werden. Assetmanager und Investmentmanager stehen vor der neuen Herausforderung, diesen Trend zu erkennen sowie die Objekte frühzeitig anzupassen und gegebenenfalls zu repositionieren.”Choice, availability, speed of delivery” sind zu neuen Grundpfeilern im endkundenorientierten Warenhandel geworden, online wie offline. Kunden akzeptieren weder lange Lie-ferzeiten noch eine eingeschränkte Auswahl oder Verfügbarkeit des Angebots; gleichzeitig wünschen sie sich eine authentische, individuelle Ansprache. Der Kunde von heute will jederzeit und überall im Netz einkaufen können. Der daraus resultierende Boom des Onlinehandels hat einen tiefgreifenden Wandel des Einzelhandels in Gang gesetzt und zu einem rasanten Anwachsen des innerstädtischen Waren- und Lieferverkehrs geführt. Die oben genannten Grundsätze können nur dann funktionieren, wenn Logistiker und Kurier-, Express- und Paketdienste (KEP-Dienstleister) räumlich nahe beim Endkunden sind. Unübersehbare FolgenDie Folgen in den wachsenden Ballungsräumen sind unübersehbar: verstopfte Straßen, frustrierte Verkehrsteilnehmer und wachsende Interessenskonflikte zwischen Händlern, Logistikern, Kunden und Anwohnern. Lieferten Paketzusteller 2017 noch rund 3,35 Milliarden Pakete aus, soll das jährliche Sendungsvolumen bis zum Jahr 2023 deutlich auf insgesamt 4,43 Milliarden Pakete wachsen. Nicht zuletzt bedeutet der zunehmende Liefer-verkehr eine enorme Emissionsbelastung für die Innenstädte. Gleichzeitig befeuert diese Entwicklung die Nachfrage nach innerstädtischen Lager- und Verteilzentren. Das aber kolli-diert mit der anhaltenden Urbanisierungswelle und dem Mangel an Wohnraum.Angesichts der hitzigen Diskussionen um Dieselgate, Klimawandel und mangelnden Wohnraum stellt sich die Frage nach einer nachhaltigen Gestaltung des innerstädtischen Warenverkehrs und einer effizienten Flächennutzung daher umso drängender. Ein Konzept für eine nachhaltige und intelligente Urbanisierung muss die zukünftigen Mobilitätssysteme der Großstädte sowie Lösungen für eine effiziente City-Logistik mitdenken. Der Immobilienwirtschaft als Halter, Bewirtschafter und Entwickler von Einzelhandelsimmobilien kommt dabei eine wichtige Rolle zu.Neue technologische Lösungen wie autonom fahrende Elektro-Transporter, Big-Data-Analysen oder smarte Supply-Chains können die Flut nur lindern, nicht aber lösen. Der Lieferverkehr lässt sich nur dann eindämmen, wenn die Zahl der Individualzustellungen deutlich gesenkt wird. Wenig überraschend steht daher die kostenlose Lieferung bis vor die Haustür zur Diskussion. Sie dürfte in Zukunft ein Premiumservice werden, für den Kunden zusätzlich zahlen müssen. In der City-Logistik von morgen wird es daher darum gehen müssen, die Paketflut gebündelt in Läden, Geschäftshäuser und Warenhäuser zu lenken.Folglich muss die Rolle der Einzelhandelsimmobilie als City-Hub neu gedacht werden. In diesem ergänzen künftig intelligente, automatisierte Logistikflächen die Handelsimmobilien. So können sie moderne Logistikdienstleistungen für die Warenverteilung an den Endkunden bieten und die Grundsätze von “choice, availability, speed of delivery” erfüllen. Das eröffnet dem Einzelhandel neue Chancen.Eine Voraussetzung hierfür ist, dass die Händler einen Omnichannel-Ansatz verfolgen. Zusätzlich zum stationären Laden müssen sie ihr Warenangebot über eine digitale Plattform erweitern. Mittels “Click & Collect” oder “Click & Reserve” können Kunden dann über dieses virtuelle Schaufenster ihre Waren in die stationären Läden direkt bestellen und bereits am nächsten Tag in Augenschein nehmen. Für die Verteilung der Waren steuern Logistiker und KEP-Dienstleister dann nur die entsprechenden Handelsimmobilien an, in die Kunden die Waren geordert haben. Stichwort ErlebnisraumDas bedingt nicht nur eine digitale Infrastruktur. Händler müssen ihre Kunden über die Gestaltung und Emotionalisierung des Verkaufsraums – Stichwort Erlebnisraum – stärker als zuvor ansprechen, beispielsweise mit neuen Instore-Technologien wie “Magic Mirrors”. In Kombination mit den genannten Logistikdienstleistungen erhöht das die Kundenbindung sowie Kundenfrequenz. Diese Verzahnung von Online und Offline spielt auch dem Trend der “Experience Economy” in die Karten. Statt “one-stop-shop” – stationär oder online – suchen die Menschen Erlebnisse und besondere Shoppingerfahrungen. Davon profitieren künftig besonders Einzelhandelslagen mit einer vielfältigen, dichten Mischung verschiedener Nut-zungsformen, die die gewünschte Urbanität erzeugen. So kann Gastronomie ein weiteres, ergänzendes Element im City-Hub sein.Gleichzeitig müssen die Logistikflächen im Einzelhandelsobjekt für diese Anforderungen angepasst und aufgerüstet werden. Das umfasst die Installation und Einrichtung intelligenter und automatisierter Systeme, die den Warenumschlag möglichst schnell und geräuschlos gestalten. Schließlich sollen die Pakete nicht im Verkaufsraum gestapelt werden. Zudem eignet sich nicht jede Handelsimmobilie oder jeder Standort als City-Hub. Die Objekte müssen beispielsweise jederzeit von Transportern ansteuerbar sein und Anliefermöglichkeiten auf den Objektrückseiten vorweisen. Neben Investitionen in den Umbau beziehungsweise der Repositionierung der Flächen erfordert das von Asset- und Investmentmanagern verstärktes Branchen-Know-how. Sie müssen in der Lage sein, aktuelle Trends in Logistik, Einzelhandel und Digitalisierung zu antizipieren.So werden stationäre Läden zum Verteilerhub und einem der wichtigsten Bausteine der innerstädtischen Warenlogistik im 21. Jahrhundert. Sie bieten künftig Dienstleistungen wie Same-Hour- oder Same-Day-Delivery kosteneffizient an und erschließen damit neue Einnahmequellen. Zalando beispielsweise arbeitet diesbezüglich an ersten Lösungen, mit erfolgreichen Feldversuchen in Berlin und Hamburg. Hier bietet sich auch die Chance für den Einzelhandel, bislang brachliegende B- oder C-Standorte über die Einrichtung von Einzelhandelshubs wiederzubeleben.Die Hubnutzung kann so dem stationären Handel durch die Verzahnung von Online und Offline zusätzlichen Schub geben. Sie ermöglicht es Assetmanagern und Investoren, den Miet-Cash-flow nachhaltig zu stabilisieren und die Handelsimmobilien für den kommenden Umbruch im Einzelhandel fit zu machen. Letztlich rückt die Wiedervermietbarkeit der Immobilien immer stärker in den Vordergrund. Die Rolle der innerstädtischen Einzelhandelsimmobilie und der sie beherbergenden Quartiere muss also neu gedacht werden. Iris Schöberl, Managing Director und Head of Institutional Clients bei BMO Real Estate Partners Deutschland