SERIE: FINANZPLÄTZE UND IHRE ZUKUNFT (15)

Die Einsamkeit der schwarzen Banker

Seit Jahren kommt die Wall Street in Sachen kulturelle Vielfalt kaum voran - Jetzt bringt die Black-Lives-Matter-Bewegung neuen Schwung in die Personalpolitik

Die Einsamkeit der schwarzen Banker

Vielfalt in der Belegschaft ist an der Wall Street seit den Protesten gegen Polizeigewalt und Rassismus ein dringliches Thema geworden. Banken taten sich in der Vergangenheit schwer damit. Aber junge Mitarbeiter dringen auf Wandel.Von Norbert Kuls, New YorkFotos mit der Eröffnungsglocke der New Yorker Börse haben Symbolcharakter. Die Börse ist das Herz der Wall Street, und Firmen präsentieren ihre Führungskräfte gerne auf der Empore über dem traditionsreichen Parkett. Auch die Deutsche Bank nutzte die Eröffnungszeremonie schon mehrfach, um ihre Präsenz an der Wall Street zu unterstreichen. Bei ihrem New Yorker Börsengang nur gut drei Wochen nach den Terroranschlägen vom 11. September stand der damalige Vorstandssprecher Rolf-Ernst Breuer mit ernster Miene neben dem New Yorker Bürgermeister Rudy Giuliani.Das Bild der Eröffnungszeremonie vom 19. Februar dieses Jahres war auffallend anders. Nicht nur stand mit der seit einem Jahr amtierenden Amerika-Chefin Christiana Riley eine Frau im Zentrum der Deutschbanker. Sie war auch umringt von zehn afroamerikanischen Mitarbeitern, Männern und Frauen, die an diesem Morgen auf der Empore eine Zwei-Drittel-Mehrheit stellten. Ein ungewöhnliches Bild, denn Afroamerikaner sind an der Wall Street klar in der Minderheit – trotz jahrzehntelanger Beteuerungen von Banken und Wertpapierhäusern, für mehr Vielfalt zu sorgen.Ganz besonders gilt das für die Vorstandsetagen. Afroamerikaner und Latinos stellten 2018 bei US-Banken weniger als 4 % der Manager auf den obersten Führungsebenen, heißt es in einem Bericht des Finanzdienstleisterausschusses im Repräsentantenhaus. Einer der prominentesten schwarzen Spitzenmanager, der langjährige American-Express-Vorstandschef Ken Chenault, war just 2018 zurückgetreten. Während einer Anhörung desselben Ausschusses merkte der afroamerikanische Abgeordnete Al Green im vergangenen Jahr denn auch süffisant an, dass es sich bei den angetretenen Chefs der sieben größten US-Banken ausnahmslos um weiße Männer handelte. Es war nicht zu übersehen.Die schwarzen Angestellten der Deutschen Bank waren im Februar nicht zufällig an der Börse. Es waren Mitglieder des Mitarbeiternetzwerks “Black Leadership Forum”. Anlässlich der Zeremonie versprach die Bank “einen Neuanfang” auf dem Weg zu einer besseren Unternehmenskultur. Der Februar ist in Amerika der “Black History Month”, ein Monat, in dem afroamerikanische Themen generell auf der Agenda stehen – danach aber auch schnell wieder in Vergessenheit geraten. Minneapolis als ZäsurIn diesem Jahr sollte es anders kommen. Nachdem Ende Mai in Minneapolis der Afroamerikaner George Floyd von einem weißen Polizisten vor laufender Handykamera getötet wurde, ging ein Mitschnitt der brutalen Tat um die Welt. Das Video war eine Zäsur und löste wochenlange Proteste gegen Polizeibrutalität und Rassismus aus. Auch an den amerikanischen Unternehmen und Banken gingen die Unruhen und die erstarkte Black-Lives-Matter-Bewegung nicht spurlos vorbei. Mark Mason, Finanzchef der Großbank Citigroup und einer der wenigen afroamerikanischen Spitzenmanager an der Wall Street, wies in einem vielbeachteten Blogeintrag auf die täglichen Gefahren für Menschen wie ihn hin – auf das reale Risiko, nicht lebend vom Joggen zurückzukommen.Alle führenden Banken gaben Statements ab, in denen sie Rassismus verurteilten, neue Initiativen für die afroamerikanische Gemeinschaft ankündigten und mehr Vielfalt versprachen. In diesem Zusammenhang erfolgte auch die Berufung des Aktienanalysten Paul Trussell als erstem Afroamerikaner ins bislang ausschließlich weiß besetzte amerikanische Führungsgremium der Deutschen Bank (vgl. BZ vom 26. August).Erfahrene Investmentbanker meinen in der Reaktion der Banken eine neue Qualität zu erkennen. “Es ist anders als früher und ein besonderer Moment”, sagt Patricia Miller Zollar, eine Afroamerikanerin, die seit mehr als drei Jahrzehnten an der Wall Street arbeitet, für Goldman Sachs und Lehman Brothers tätig war und jetzt für den Vermögensverwalter Neuberger Berman Private-Equity-Anlagen verantwortet. “Die Statements der Banken haben eine andere Qualität, weil die Vorhaben genau beziffert werden und es konkrete Pläne gibt, etwa bei der Zusammenarbeit mit traditionell schwarzen Universitäten”, sagt sie. Unternehmen, die das Thema nicht ernst nähmen, riskierten einen Strafabschlag über alle geschäftlichen Bereiche hinweg.”Firmen haben das Thema bislang ignoriert und nicht als echtes Risiko wahrgenommen”, sagt auch Dane Holmes, Vorstandschef des kalifornischen Start-ups Eskalera, das mit Hilfe künstlicher Intelligenz messbare Lösungen zum Thema Vielfalt und Inklusion entwickelt. “Jetzt versuchen Unternehmen schnell aufzuholen, weil sie nicht ausreichend informiert sind.” Banken stünden dabei besonders im Fokus, weil sie eine wichtige wirtschaftliche Rolle spielten und keine Tradition der Vielfalt hätten. Besonders die sogenannten Millennials nähmen diese Rückständigkeit nicht mehr länger hin, weder als Kunden noch als potenzielle Mitarbeiter.Es ist ein schwieriges Thema auch für globale Firmen wie die Deutsche Bank, die stolz auf die 140 Nationalitäten unter ihrem Dach hinweist. In einem internen Podcast forderte Renée Cummins, die gemeinsam mit Trussell das schwarze Mitarbeiternetzwerk leitet, dass endlich das “unbequeme” Gespräch über Rassismus geführt werden müsse. Nur so sei die Systematik zu verstehen, die zu Vorurteilen führe. In eigener Sache berichtete Cummins in dem im Juni veröffentlichten Podcast von einem Mitarbeitergespräch, in dem ihr einst eröffnet worden sei, dass ihre in natürlichem Stil getragenen Haare sich negativ auf ihre Beförderung ausgewirkt hätten.Im Gegensatz zur Rassismusdebatte ist die Diskussion um die Förderung von Frauen an der Wall Street vergleichsweise weit vorangeschritten. Eskalera-Chef Holmes erklärt das mit Nähe. “Jeder kennt eine Frau, die Mutter oder die Schwester.” Enge Kontakte zwischen Weißen und Angehörigen kultureller Minderheiten seien dagegen seltener.Holmes, Sohn eines schwarzen Vaters und einer weißen Mutter, war lange Investmentbanker und bis zum vergangenen Jahr Personalvorstand bei Goldman Sachs. “Über weite Strecken meiner Karriere war ich der einzige Schwarze im Raum, ob mit Klienten oder Kollegen”, sagt er. “Mir sind alle möglichen Sachen passiert. Natürlich hat man mich an der Wall Street als N . . . bezeichnet. Aber darum geht es nicht wirklich. Es geht eher darum, dass Du immer das Gefühl hast, allein zu kämpfen, oder anders zu sein – und offen gesagt, Du bist auch anders.”Holmes ist ein kräftig gebauter Zwei-Meter-Mann, der an der Columbia University Basketball gespielt hat. Das spielt in tiefsitzende rassistische Vorurteile hinein, die schwarze Männer als aggressiv und gefährlich karikieren. “Wenn Du ein großer Typ bist wie ich, muss Du wegen der Reaktion anderer Leute deine Emotionen bewusst im Griff haben.”Holmes ist ein sympathischer Mensch, der fließend auf Deutsch von seinen “afrobayrischen” Kindern erzählen kann. Dass Afroamerikaner als gesellig gelten, ist auch ein potenziell karrierehemmender Mythos. “Wenn Du in Deinem Leben um eine Menge Dinge navigieren musst, kannst Du am Ende gut mit Menschen umgehen”, erläutert er. Es könne jedoch Karrierechancen begrenzen, wenn Afroamerikaner deswegen nur für bestimmte Rollen wie Vertrieb in Erwägung gezogen werden: “Sie werden dann vielleicht nicht Wirtschaftsprüfer oder Finanzchef.”Tatsächlich waren Afroamerikaner in der Vergangenheit innerhalb der Finanzbranche häufig auf bestimmte Geschäfte festgelegt. Etwa die kommunale Finanzierung, da bei diesen Kunden, den städtischen Behörden, ebenfalls viele Angehörige von Minderheiten arbeiteten. Das bedeutet zugleich, dass afroamerikanischen Bankern oft nicht zugetraut wurde, zum – weißen – Vorstandschef eines Fortune-500-Unternehmens eine Beziehung aufzubauen und große Aufträge zu gewinnen. Zudem ist die Kommunalfinanzierung weder so glamourös noch so lukrativ wie etwa das Geschäft mit Fusionen und Übernahmen.Patricia Zollar hat sich auch über weite Strecken allein durchgekämpft. Als sie Anfang der 1990er Jahre mit einem MBA-Abschluss von Harvard in der Tasche an der Wall Street anfing, empfand sie sich als “Fremdkörper”. Die Wall Street war ein Old-Boys-Club mit einer exzessiven Kultur. “Grauenhaft”, sagt sie. Zollar biss sich durch, auch ohne große Unterstützung von Mentoren. “Ich wusste, dass mich bestimmte Kreise nicht akzeptieren würden. Ich habe ein starkes Selbstbewusstsein.”Investmentbanken wie Goldman Sachs versuchen mittlerweile, vielfältigeren Nachwuchs zu rekrutieren, weil divers besetzte Teams erwiesenermaßen bessere Ergebnisse erwirtschaften. Die Schwierigkeit besteht darin, diese Talente zu halten und zu integrieren. “Die Banken bringen schon eine Menge diverser Leute an Bord”, sagt Jillian Williams, eine Afroamerikanerin, die für die kleine New Yorker Risikokapitalgesellschaft Anthemis arbeitet und vor ein paar Jahren als Yale-Studentin das begehrte Goldman-Sommerpraktikum absolvierte, bevor sie nach ihrem Abschluss ein Traineeprogramm bei Barclays in New York absolvierte. “Wenn man zwei oder drei Karrierestufen nach oben schaute, gab es dort aber niemanden mehr, der so aussah wie Du”, sagt sie.Die mangelnde Präsenz von Minderheiten in Führungsebenen macht es für afroamerikanische Nachwuchsbanker auch schwieriger, einen Mentor zu finden. Förderung läuft oft über persönlich gewachsene Beziehungen. Holmes vergleicht es mit einer Lehre. Im Wertpapierhandel, der notorisch weiß und männlich dominiert ist, wird der Nachwuchs von erfahrenen Händlern ausgebildet.Da sind persönliche Anknüpfungspunkte hilfreich, was in den Top-Banken oft gemeinsame Erfahrungen auf Eliteunis sind. “Es gab eine Menge Leute, die in der gleichen Gegend aufgewachsen sind oder auf den gleichen Schulen waren. Das kann für Außenstehende definitiv eine Barriere sein”, sagt Williams über ihre Zeit als Trainee. Sie konnte sich zumindest auf ihren akademischen Hintergrund stützen: “Auf dem Stockwerk, auf dem ich gearbeitet hatte, waren eine Menge Yale-Absolventen. Ich hatte schon das Gefühl, dass die auf mich aufgepasst haben.” Dennoch: “Ich war die einzige Frau in meiner Gruppe und auch die einzige nichtweiße Person.” Es kam vor, dass sie für eine Sekretärin gehalten wurde. “Das sind kleine Beispiele, aber wenn das ständig passiert, ist das Ausdruck einer Unternehmenskultur.”Williams stellt in Frage, ob die alteingesessenen Banken ihre Kultur wirklich radikal ändern wollen oder können. Sie fragt bei jungen Firmen, in die Anthemis investieren will, deswegen schon früh nach Vielfalt, um die Firmenkultur gleich am Anfang zu prägen. “Wenn das Unternehmen erst einmal 50 Mitarbeiter hat und erst dann die erste Frau oder die erste nichtweiße Person einstellt, ist es schon zu spät.” Nebenbei arbeitet sie daran, die Zahl schwarzer Partner in der ebenfalls notorisch weißen Risikokapitalbranche zu vergrößern. Auch Private-Equity-Fachfrau Zollar achtet bei Investitionen auf messbare Kennziffern in Sachen Diversity. Inklusion messbar machenEx-Personalchef Holmes setzt ebenfalls auf Daten. Seine Firma Eskalera hat einen Index entwickelt, mit dem Unternehmen die Inklusion von Mitarbeitern messen können, etwa das Vertrauen in Kollegen. Die Nachfrage ist hoch. Eskalera hat schon einen großen Kunden aus der Finanzbranche. Das Thema beschäftige die Wall Street weiter. Deswegen kann sich Holmes auch gut vorstellen, dass in fünf Jahren eine Afroamerikanerin an der Spitze einer großen US-Bank steht. Das wäre dann wirklich ein Grund, die Glocke an der New Yorker Börse zu läuten.