LESERBRIEF

"Die EZB hat aus Anacredit nichts gelernt"

Kreditgenossen kritisieren Projekt zum Meldewesen

"Die EZB hat aus Anacredit nichts gelernt"

Kleinere und mittelgroße Banken sind mit dem Meldeprojekt ERF überfordert, moniert der Baden-Württembergische Genossenschaftsverband (BWGV).Irgendwann läuft jedes Fass über: Das EZB-Projekt European Reporting Framework (ERF) ist aus Sicht kleiner und mittlerer Banken mit einem regionalen nachhaltigen Geschäftsmodell der Tropfen zu viel, der das regulatorische Fass überlaufen lässt. Auch wenn zurzeit nur Umrisse von ERF erkennbar sind, hat die EZB aus dem öffentlichen Diskurs über Anacredit offenbar nichts gelernt. Dabei war der Aufschrei lokaler und regionaler Banken, die ohnehin in Folge der Finanzmarktkrise massiv überreguliert wurden und werden, so laut und unüberhörbar, dass am Ende die EZB einlenken musste. Nun sind es “nur” 89 Datenfelder. Der Plan, Non-Performing Loans (NPL) ab 100 Euro zu erfassen, wurde aufgegeben.Mit dem ERF will die EZB weit über Anacredit hinausgehen und folgt blind dem (Irr-)Glauben, maximale Granularität und Big Data seien ein Garant für wirksame Geldpolitik. Was dabei offenkundig keine Rolle spielt, sind Aufwendungen direkter und indirekter Art, die Meldeanforderungen haben, ganz zu schweigen von der überproportional großen Wirkung auf kleine Institute. Die kleinen und mittleren Banken, gerade in Deutschland, haben, drastisch formuliert, “die Schnauze voll”. Seit Jahren wird ihnen Proportionalität hoch und heilig versprochen, stattdessen werden ständig neue Meldeformate, Governance- und Offenlegungsvorschriften über sie ausgekippt. Viele kleine Institute sind massiv überfordert, diesen Regulierungs-Tsunami mit ihrem eigentlichen Auftrag in Einklang zu bringen.Dabei ist es ein Treppenwitz, wenn ERF auch damit begründet wird, dass die aggressive Geldpolitik der letzten Jahre nicht die gewünschten volkswirtschaftlichen Folgen hatte, insbesondere in Südeuropa. Daraus abzuleiten, die EZB brauche granulare Daten, ist absolut nicht nachvollziehbar. Anzuraten wären Anleihen beim gesunden Menschenverstand und in Grundwerken der Mikro- und Makroökonomie. Im Übrigen lässt diese groteske Begründung für ERF die schlimmsten Befürchtungen zu: Bislang war bei Granularität und Datenaggregation immer nur die Aktivseite der Bankbilanz von der EZB adressiert worden. Wann kommen die Kundeneinlagen und Einlagen der Unternehmen ins Visier? Wenn man schon dem Irrglauben an Big Data unterliegt, dann müsste man die Einlagen der Menschen in der Eurozone kennen und deren Zusammenhänge mit Investitionen. Datenschutz ade – gläserner EZB-Untertan herzlich willkommen!Das Maß ist voll: Die Geldpolitik der EZB gefährdet zunehmend den Vermögensaufbau der Menschen in der Eurozone und das Geschäftsmodell solider regionaler Banken. Gleichzeitig verliebt sich der Bereich Statistik in immer neue Datenräume. Apropos Statistik: Dieser Bereich der EZB glaubt wohl, völlig sakrosankt zu sein. Neue Vorhaben einer Konsultation unterziehen? Warum denn, war doch noch nie nötig.Noch schlimmer: Hier rächt sich die “Governance” der EZB, die als Notenbank unabhängig sein soll und damit keinerlei politischer Kontrolle unterliegt. Dies erstreckt sich dann auch auf die “heilige Kuh” Statistik. Dies ist aber unhaltbar, denn ein Bereich, der erheblichen Bürokratieaufwand bei den Instituten hervorruft, muss sich einer politischen Legitimation stellen. Dies gilt natürlich genauso für die Bankenaufsicht der EZB im Rahmen des Single Supervisory Mechanism (SSM) – aber das ist eine eigene Geschichte.Das Vorhaben ERF muss Anlass sein, dass sich EU-Parlament und EU-Rat, zumindest die Staaten der Eurozone, mit der Governance der EZB auseinandersetzen – und zwar grundlegend und ohne Tabus.—-Gerhard Schorr, Verbandsdirektor des Baden-Württembergischen Genossenschaftsverbands (BWGV), Stuttgart