Die Kluft zwischen EZB und Sparern
Von Isabel Gomez, StuttgartWenn Sparkassen und Volksbanken gemeinsame Sache machen, hat das Seltenheitswert. Dass der Baden-Württembergische Genossenschaftsverband (BWGV) und der Sparkassenverband Baden-Württemberg (SVBW) ein Symposium zum Thema Sparen in Niedrigzinszeiten veranstalten, lässt erahnen, wie sehr beide Gruppen (und ihre Kunden) unter dem Zinsumfeld leiden. Schließlich vereinen sie im Südwesten 80 % des Marktes auf sich und sind operativ größte Konkurrenten.Wie beeinflussen Null- und Niedrigzinsen die Sparkultur – und damit das einlagenfinanzierte Geschäftsmodell der Sparkassen und Banken? Eine Antwort darauf wurde gesucht.Ulrich Bindseil, Generaldirektor Finanzmarktoperationen der EZB, zufolge sind die Auswirkungen auf das Sparverhalten gering. Der Sparhorizont liege bei etwa 30 Jahren, so Bindseil. “Und in diesem Zeitraum ist der Realzins entscheidend, nicht der Nominalzins”, lautet seine These. Den Realzins beeinflusse die EZB jedoch nur über ein oder zwei Jahre. Vielmehr müsse es ein “politisches Ziel” sein, den Realzins über Wachstum durch Bildung oder Innovation zu steigern. Die EZB gewährleiste durch ihre Zinspolitik Geldwertstabilität. Inflation oder Deflation würde die Lage der Sparer – und Banken – nur verschlechtern.Der von Bindseil genannte Horizont von 30 Jahren sei in Japan schon fast erreicht, seit dort Nullzinsen eingeführt wurden, hielt Gunther Schnabl, Direktor des Instituts für Wirtschaftspolitik an der Uni Leipzig, dagegen. Geldmarkt- und Zentralbankzinsen seien seit den achtziger Jahren im Sinkflug – ohne dass die japanische Bevölkerung oder die Unternehmen davon profitierten. Für ihn stehe im Gegensatz zu Bindseil fest, dass die Niedrigzinsphase nicht kurzfristig sei. “Viele Phänomene, die in Japan schon lange zu beobachten sind, bauen sich auch bei uns auf”, so Schnabl.Auch Peter Simon, stellvertretender Vorsitzender des Wirtschafts- und Währungsausschusses des Europäischen Parlaments, glaubt, dass die Zinsen lange niedrig bleiben. Auf diese neue Wirklichkeit müssten sich auch die Sparkassen und Volksbanken angesichts erodierender Erträge einstellen – nur zu jammern helfe nicht. “Es ist auch ihre Verantwortung zu prüfen, ob Dinge möglich sind, die sie bisher ausgeschlossen haben”, so Simon. Konsolidierung und Stellenabbau seien nicht der einzige Weg, auch wenn der Ausweg mit Risiken behaftet sein könnte.Wie sich die Sparkultur perspektivisch ändert, auf diese Frage wurde keine Antwort gefunden. Aber es wurde deutlich, wie sehr Theorien und Modelle oft von der Wirklichkeit der Menschen abweichen. Statistiken sind nicht wegzudiskutieren. Etwa dass negative Realzinsen in den vergangenen Jahrzehnten eher die Regel als die Ausnahme waren. Oder dass die Zinspolitik in den USA – anders als in Japan – zur Belebung des Arbeitsmarktes geführt hat. Oder dass Spekulationsblasen auch bei positiven Zinsen entstehen können. Aber genauso wenig ist zu bestreiten, dass der gemeine Sparer sehr wohl merkt, dass am Ende des Jahres weniger Geld auf der hohen Kante liegt als noch vor wenigen Jahren eingeplant.Am Zinsumfeld wird sich in absehbarer Zeit wohl nichts ändern. Sowohl Sparern als auch Banken wird nichts anderes übrig bleiben, als über neue Wege nachzudenken.