Regulierung

Die Paleo-Broker schlagen zurück

Wer die viel zu geringe Retail-Quote wirklich erhöhen will, darf dem Retail den Weg nicht verstellen, den dieser gehen will: Smartphone-Trading.

Die Paleo-Broker schlagen zurück

Der Retail-Anleger ist unmündig und schutzbedürftig. Er braucht einen paternalistischen Regulierer, der ihn vor sich selbst schützt. Und den Markt vor ihm, wenn er sich im Internet zusammenrottet und den Institutionellen die Wetten verdirbt. Wenn nicht die Neobroker mit ihrem Zero-Commission-Trading wären, wäre alles wieder gut. Das sollte dem Privatanleger doch 10 bis 15 Euro pro Trade wert sein! Ernsthaft?

Deutschland nicht die USA

Richtig ist, dass es in den USA zuletzt Missstände gab, die es ohne Social Media und ohne günstiges Smartphone-Trading nicht gegeben hätte: Meme Stocks wie Gamestop, die bei Reddit und Twitter gehypt wurden und durch massenhaftes Retail-Parallelverhalten in kurzer Zeit rein spekulative Kursbewegungen erfuhren. Oder spielerische Anreize, die aus dem Video-Gaming in Trading-Apps übersetzt werden, um Handelsfrequenz und -volumen der Nutzer zu steigern. Oder ungedeckte Wertpapierkredite für an sich nicht differenzgeschäftsfähige junge Erwachsene. Vielleicht stimmen auch manche Vorwürfe, die der amerikanischen Praxis des Payment for Orderflow (PFOF), der Handelsgebühren von null bis drei Euro erst ermöglicht, gemacht werden.

Ebenso richtig ist aber, dass in Deutschland und im überwiegende Teil Europas solche oder andere Auswüchse wie Zinsarbitrage, Datenhandel, Trading auf Information (Lesen des Order- oder Limitbuches), bestechungsgleiche Vorteilsgewährungen oder klassisches Rasieren des Retails über schlechte Spreads oder parteiische Ausführung von Trades nicht festzustellen sind, mit oder ohne Zuwendungen für die Zuleitung von Orders.

Trotzdem muss ein verantwortlicher Regulierer genauer hinsehen, wenn etwas Neues hier starken Auftrieb erfährt, nachdem es andernorts bereits Probleme machte. Genau das tut die EU-Kommission. In Vorbereitung der europäischen Retail-Investor-Strategie für 2022 hält die Fisma eine öffentliche Konsultation ab, wie die Privatanlegerquote erhöht und der Privatanleger dabei geschützt werden kann. Beinahe als Fußnote wird auch ein besseres Verständnis des Zero Commission-Tradings und darin des PFOF gesucht. Hier geht es dann darum, wie sich PFOF zu Mifid II und dem Umgang mit Zuwendungen und den Anforderungen an Best Execution verhält. Gefragt wird nach etwaigen Durchsetzungs- oder Regelungsdefiziten und denkbare Regelungsmöglichkeiten, es gibt umfangreich Platz für Freitext. Sprengkraft steckt nicht in PFOF als Form der Zuwendung im Neo-Broking, sondern der Zuwendungspraxis im Bank- und Versicherungsvertrieb. Wer PFOF verbietet, muss eine jahrzehntelange Praxis der Banken und Versicherungen ebenfalls verbieten, das wäre eine gewisse Zurückhaltung wert.

Die Konsultation ist vorbildlich ergebnisoffen. Einem Antwortschreiben der Kommissarin Mairead McGuinness vom 10. Mai 2021 war jedoch bereits zu entnehmen, worauf es nach Mifid II ankomme – Transparenz, Qualität, nur erlaubte Zuwendungen – und dass weder die Fisma noch die ESMA noch die nationalen Aufsichtsbehörden bei PFOF Handlungsbedarf sähen. Vielleicht – so klang an – etwas mehr Guidance für den einen oder anderen nationalen Regulierer bei Durchsetzungsdefiziten.

Das konnte nicht jedem gefallen. Wenn PFOF-Praxis und -Regulierung nicht das eigentliche Problem sind, was dann? Free Brokerage berührt die Interessen der Bestandswahrer, die zusehen, wie ihnen der Retail abhandenkommt. Aus der Präsentation „Compass 2023: Growth in uncertain times“ der Deutschen Börse AG vom 18. Dezember 2020 ergibt sich ein mittelfristiges Xetra-Gebührenwachstumsziel von 0%. Negativwachstum wäre ohne Zero Commission-Trading gewiss leichter zu vermeiden.

ESMA-These trifft nicht zu

Noch innerhalb der Konsultationsfrist hat nun die ESMA ein Positionspapier veröffentlicht. Es stellt sich laut warnend gegen den Popanz PFOF, ohne jedoch inhaltlich Neues oder Erhellendes zu bieten. Die These, ebenso falsch wie begründungslos: Es gebe wahrscheinlich kein nach Mifid II zulässiges PFOF-Modell. Ob sich die ESMA hier vor den Karren der Paleo-Broker spannen lässt oder schon eine verdeckte Kapitulationserklärung abgab? Ähnlich koinzident, wenngleich deutlich zurückhaltender, warnt die BaFin im aktuellen Juni-Journal Verbraucher vor den Gefahren des PFOF. War denn nicht bekannt, dass Stiftung Warentest sich des Themas längst gewidmet hatte und den Verbraucher nicht bloß außer Gefahr, sondern sogar bevorteilt sah?

Im Kern ist es doch so: Die Regionalbörsen braucht niemand und der Retail braucht die Deutsche Börse nicht. Der Retail wird allmählich an die Neobroker gehen. Die Institutionellen bleiben unter sich, der Retail orientiert sich via Xetra an ihnen und handelt börslich oder außerbörslich wann, wo, wie und was er will. Fragt man einen jungen Menschen, wozu es eigentlich Banken bedürfte, blickt der auf sein Smartphone und sagt, das wisse er auch nicht. Wer also die viel zu geringe Retail-Quote wirklich erhöhen will, darf dem Retail den Weg nicht verstellen, den dieser gehen will: Smartphone-Trading. Die Anbieterseite wächst, womöglich über das Nachfragepotenzial hinaus. Und PFOF?

PFOF ist per se weder gut noch schlecht und hierzulande nicht zu beanstanden: Der Anleger bekommt Transparenz, regelhaft beste Ausführung, von Interessenkonflikten unbelastet, schnell, sicher, mit hoher Ausführungswahrscheinlichkeit und insgesamt zum besten Preis. Wenn es irgendwo Regulierung bedürfte, könnte die deutsche PFOF-Praxis unter Mifid II als Vorbild dienen zur Schaffung eines internationalen Level Playing Fields.