IM INTERVIEW: RAINER RIESS UND STEFAN HOOPS

"Die Regulierung enthält einige Schlupflöcher"

Der Generaldirektor des Börsenverbands Fese und der Kapitalmarktchef der Deutschen Bank debattieren über Mifid II, den Brexit und das Euro-Clearing

"Die Regulierung enthält einige Schlupflöcher"

– Herr Hoops, Herr Riess, die reformierte Finanzmarktrichtlinie Mifid II wollte die Fragmentierung der europäischen Märkte zurückdrehen, jetzt kommt der Brexit – und vergrößert sie wieder.Riess: Es ist unheimlich schwer, darüber zu spekulieren, wie der Ausgang des Brexit sein könnte. Je weiter die Verhandlungen voranschreiten, desto mehr werden die Marktteilnehmer ihre Entscheidungen treffen. Das wird die europäische Marktinfrastruktur sicher verändern. Wie, ist aber sehr schwer zu sagen. Im Moment kann man sich nur auf das Cliff Edge vorbereiten und versuchen, die Auswirkungen für die Kunden zu minimieren.Hoops: Unsere Annahme ist, dass Großbritannien Mifid II erst einmal umsetzen wird. Es wäre nicht angebracht zu spekulieren, dass nach dem Brexit in Großbritannien gleich dereguliert wird.- Fällt London als EU-Handelsplatz weg, könnte das dazu führen, dass gewisse Schwellenwerte für die Abwicklung von Aktientransaktionen über Dark Pools in der Umsetzung von Mifid II nicht mehr angemessen sind und bisher nicht bekannte Probleme verursachen.Riess: Das liegt alles im Bereich der Spekulation und ist abhängig von den Entscheidungen der Politik und der Marktteilnehmer. Es kann sein, dass britische Handelsplattformen ihr Geschäft in die EU-27-Staaten verlegen, dann gäbe es keine Änderung. Es kann aber auch sein, dass die Kalibrierung nicht mehr passt.- Warum sollten britische Plattformen ihr Geschäft in die EU-27 verlagern, wenn sie vielleicht auf der Insel weniger regulatorischen Beschränkungen unterliegen?Riess: Weil sie dann womöglich keinen Zugang mehr zu europäischen Kunden haben könnten. Je nachdem, wie der Brexit ausgestaltet ist, hängt es davon ab, welche Zugänge weiterhin erlaubt sind.- Haben Sie, Herr Hoops, Angst, dass die Deutsche Bank infolge des Brexit den Anschluss verliert? Es gibt ja Leute in der Bank, die sagen, der Brexit sei super, da die Deutsche Bank ihre Zentrale bereits dort habe, wohin andere Häuser Aktivitäten nun erst noch verlagern müssten. Andere Leute im Handel, der über London läuft, sind weniger begeistert.Hoops: Die Briten waren nicht gerade die, welche auf eine härtere Regulierung gedrängt haben. Man kann also davon ausgehen, dass man in einer Diskussion unter den EU-27-Staaten künftig eher mehr regulieren möchte. Wir müssen von einem harten Brexit ausgehen, also ohne Übergangsperioden. Kunden aus EU-27-Staaten müssen also im EU-Binnenmarkt betreut werden. Mir ist aber nicht bekannt, dass es Vorgaben geben soll, die vorschreiben, welche Börsen und Handelsplattformen unsere Kunden nutzen können.Riess: Unter Mifid II besteht eine sogenannte Trading Obligation, die vorschreibt, dass eine Transaktion im EU-Binnenmarkt ausgeführt werden muss. Plattformen wie beispielsweise Bats Chi-X hätten einen guten Grund zu überlegen, ihren Standort zu verlegen, um den Zugang zum europäischen Markt zu behalten. Dann würde sich nicht viel ändern.- Bei einer Verlagerung des Clearing von Euro-Zinsderivaten weg von London wäre das ein Problem: Ein Diversifikations-Pool ginge verloren.Hoops: Bevor man die Marktteilnehmer dazu zwingt, das Euro-Clearing innerhalb der EU-27 abzuwickeln, sollte zunächst einmal geklärt werden, wen man dazu eigentlich verpflichten kann. Die Deutsche Bank als ein kontinentaleuropäisches Institut kann man wohl dazu verpflichten. US-Institute wird man wahrscheinlich nicht so leicht zwingen können. Was mit Transaktionen geschehen könnte, die zwischen Citigroup und J.P. Morgan in New York stattfinden, darüber lässt sich philosophieren.- Das heißt?Hoops: Lasst uns keine Vorschriften einführen, die uns Kontinentaleuropäer bestrafen, aber sonst eigentlich nicht viel bringen. Wir brauchen gleiche und faire Wettbewerbsbedingungen für alle Banken. Es gibt die Intention, das Euro-Clearing innerhalb der EU-27 abzuwickeln, aber wie dies genau bewerkstelligt werden soll, das ist zum jetzigen Zeitpunkt unklar. Das Euro-Clearing in die Eurozone zu verlagern, das Clearing in US-Dollar und Sterling zugleich aber in London zu belassen, hätte auch den Nachteil, dass entgegengesetzte Risiken bei einem Cross-Margining nicht mehr so leicht miteinander verrechnet werden können.Riess: Wenn wir uns in Europa mit Regulierung beschäftigen, versuchen wir sehr oft die europäischen Probleme zwischen den Nationalstaaten zu regeln, indem wir eine europäische Regulierung schaffen. Das ist sicher sehr wichtig. Aber: Wir dürfen nicht außer Acht lassen, was das für unsere internationale Wettbewerbsfähigkeit bedeutet. Wir behandeln innerhalb der EU ja nicht nur das Thema Location Policy, sondern sind parallel dabei, die Sanierungs- und Abwicklungsregelwerke für zentrale Kontrahenten festzulegen. Internationale Standards sind wichtig, um einen fairen Wettbewerb sicherzustellen – aber auch, um die Integrität und Stabilität des Finanzsystems zu gewährleisten und ein gefährliches “race to the bottom” zu verhindern.- Wie sieht der Börsenverband Fese die Debatte um das Euro-Clearing? Soll es in die Eurozone umziehen oder in London bleiben?Riess: Wir haben als Verband keine Position, was die konkrete Ausgestaltung angeht, denn wir haben unterschiedliche Mitglieder mit divergenten Interessen. Wichtig ist, dass die Stabilität und Integrität des Finanzsystems gewährleistet sind.- Die Fese repräsentiert die Interessen europäischer Börsen. Es sind auch Stimmen zu hören, die nun eine Chance für außereuropäische Spieler sehen, jetzt in diesen Markt hineinzugehen.Riess: Als Chef des europäischen Börsenverbands kann ich mich zu Übernahmen unter Mitgliedern des Verbands nicht äußern.Hoops: Grundsätzlich muss der Kapitalmarkt die Realwirtschaft unterstützen. Zugriffsrechte für die EU-27 auf Börsen außerhalb der Region wären vernünftig, wenn diese auch durchsetzbar wären. Eine andere Frage ist, ob es sinnvoll ist, den Handel in einem Produkt vollständig über eine einzelne Börse laufen zu lassen.- Handelt es sich bei dem Versuch, das Euro-Clearing in die Eurozone zu holen, um einen Nachholeffekt, der etwas zu imitieren versucht, was der US-Regulator schon lange kann?Hoops: Der Begriff Nachholeffekt impliziert, dass in der Vergangenheit etwas versäumt worden ist. Das Londoner Clearinghaus LCH lag zwar außerhalb des EU-Währungskreises, aber in der EU. Dass man aber Regelungen überdenkt, wenn sich ein Zustand ändert, ist völlig selbstverständlich.Riess: Hinzu kommt das Thema der systemischen Stabilität. Dass man sich darüber Gedanken macht, ist verständlich. Wie man es am Ende löst, bleibt wie bereits angeführt abzuwarten- Wäre nicht der Wunsch nach systemischer Stabilität aus Sicht des Börsenverbandes ein Grund, alles in London zu belassen?Riess: Bei der Debatte um Clearing ist es wichtig zu verstehen, dass wir uns zunehmend in eine Richtung der “jurisdiktionsbezogenen” Ansätze bewegen. Japan und China betreiben Clearing ausschließlich innerhalb der eigenen Jurisdiktion, auch in den USA ist dies der Fall – mit der Ausnahme von Swaps. Das heißt nicht, dass Europa hier notgezwungen folgen muss, um einen international konsistenten Ansatz zu haben – jedoch liegt es in der Pflicht der zuständigen Aufsichtsbehörden sicherzustellen, dass angesichts der Brexit-Entscheidung notwendige Maßnahmen getroffen werden, um das respektive Mandat erfüllen zu können.Hoops: Wenn ich alles an einem Platz konzentriere, habe ich dort die höchste Liquidität, aber nicht unbedingt die höchste Stabilität. Denn ich bin darauf angewiesen, dass dieser eine Platz funktioniert. Je breiter ich streue, umso weniger Liquidität habe ich, dafür mehr Stabilität, weil ich das Risiko diversifiziert habe. Definiere ich Systemstabilität im Rahmen der EU-27, die ihre Realwirtschaft finanzieren muss, dann ist es sinnvoll, Transaktionen entweder in die EU-27 zu holen oder zumindest belastbare Zugriffsrechte einzufordern.- Die Finanzkrise zeigte, dass es nicht gut ist, wenn Risiken aus außerbörslich gehandelten Derivaten in den Bilanzen schlummern. Die G 20 hatten gelobt, OTC-Derivate zumindest über zentrale Kontrahenten abwickeln zu lassen.Riess: Die G 20 wollten als Antwort auf die Finanzkrise zwei Dinge erreichen: mehr Handel über transparente Börsen und Abwicklung über zentrale Kontrahenten, wo dies möglich ist. Börsen haben eine Referenzmarkt- und Bewertungsfunktion und können für die Marktteilnehmer eine Risikomanagementfunktion zur Verfügung stellen, in standardisierten und liquideren Produkten. Nicht alle Produkte eignen sich für den Börsenhandel. Exotische Produkte, die maßgeschneidert sind für einen Kunden, wird es immer geben, auch illiquide Bonds, die sich für den börslichen Handel wenig eignen. Mifid II und die Derivateverordnung Emir haben das Ziel, das, was standardisierbar ist, auch handelbar zu machen und Transparenz über alle Derivatepositionen zu schaffen. Hier ist Europa später als andere, aber die Regeln folgen internationalen Standards.- Werden Börsen weiter Referenzpreise stellen, oder wird sich das Geschäft verlagern, so dass diese Funktion verloren geht?Riess: Wir hoffen sehr, dass das Ziel von Mifid II auch erreicht wird und Börsen noch effizientere Referenzpreise stellen werden. Es gibt aber Schlupflöcher wie den systematischen Internalisierer, die geschlossen werden müssen. Da wird der Regulator nachbessern müssen.- Der Verdacht steht im Raum, dass eine gewisse Sicherheit vorgegaukelt wird. Die Politik hatte sich Ziele gesetzt und sagt nun, diese seien erfüllt. Im Grunde genommen aber ist dies nicht der Fall.Hoops: Eine Börsennotierung alleine ist kein Gütesiegel für die Qualität eines Wertpapiers, ich erinnere nur an die Mittelstandsanleihen und an den Neuen Markt. Clearing ist wieder eine andere Frage. Da geht es darum, wie man eine systemische Stabilität herstellen kann.- In der EU wird wegen des Brexit überlegt, wie mit Drittstaaten umgegangen wird. Befürchten Sie, dass daraus regulatorische Konflikte mit anderen größeren Drittländern entstehen? Es gab ein etwas ominöses Statement des Geschäftsführers der US-Terminbörsenaufsicht, demzufolge eine Standortvorgabe – Location Policy – der EU gravierende Konsequenzen haben könnte.Riess: Da bewegen wir uns noch in der Welt der Spekulation, aber die Finanzkrise hat gezeigt, dass alle ein Interesse an internationalen Standards haben, die Transparenz und Stabilität erhöhen.Hoops: Möglicherweise, aber es wäre falsch, diese Frage nicht zu stellen. Ich hoffe, der Brexit wird nicht dazu führen, dass in einem Bereich der Welt dereguliert wird, nur um die heimische Wirtschaft oder den heimischen Kapitalmarkt kurzfristig zu stärken. Gäbe es eine solche Tendenz, könnte dies tatsächlich gefährlich werden, denn dann hätte man einen potenziellen Regulierungswettlauf nach unten – und das will niemand in Europa.- Die EU hat bisher gesagt, sie wolle da nicht mitmachen.Hoops: Die EU macht das so sauber wie möglich. Selbst im Falle der Location Policy formuliert sie nur gewisse Konditionen. Das ist vernünftig. Nun gab es schon Stimmen, die London als eine Art nächstes Singapur sehen – und das ist auf keinen Fall sinnvoll.- Wo steht die europäische Marktinfrastruktur heute im globalen Vergleich?Riess: In den neunziger Jahren war Europa durch die Elektronisierung marktführend. Da sind wir in den letzten Jahren etwas zurückgefallen. Als Europäer müssen wir uns Gedanken machen, wie wettbewerbsfähig unsere Kapitalmarktinfrastruktur ist. Wir haben eine extrem hohe Komplexität, Fragmentierung und Intransparenz. Nirgendwo anders wird ein größerer Anteil auf “dunklen” Plattformen gehandelt, es sind heute rund 50 %. In den USA werden noch 70 % transparent gehandelt, in Ostasien rund 88 %. Wir haben als Region die niedrigste Rate an Eigenkapitalfinanzierung mit rund 24 % – viel weniger als in den USA und Asien. All dies bedeutet potenziell höhere Finanzierungskosten für die Unternehmen, als es bei liquideren und transparenteren Märkten möglich wäre. Wenn wir auf den Primärmarkt schauen, ist die Anzahl der Börsengänge in den letzten Jahren sehr stark gefallen, was in den USA ähnlich war. Anders in Asien, hier kamen von 2013 bis 2016 rund 7 000 Unternehmen neu an die Börse. Durch die Regulierung – das gilt sowohl für die USA wie für Europa – ist es deutlich weniger attraktiv geworden, an den Kapitalmarkt zu gehen. Das kontrastiert mit dem Projekt der Kapitalmarktunion, und hier will die EU Abhilfe schaffen.Hoops: Dem ist nichts hinzuzufügen. Die Summe der Bilanzen aller Banken, Versicherer und Assetmanager, bezogen auf das Bruttoinlandsprodukt, ist in Europa genauso groß wie in den USA. Nur werden in den USA die Finanzierungen ganz selten auf Bankbilanzen belassen, sondern handelbar gemacht und dann von Pensionsfonds oder Vermögensverwaltern gekauft. In Europa bleibt das auf den Bilanzen der Banken. Wenn aufgrund höherer Eigenkapitalanforderungen an Banken mehr handelbar gemacht werden muss, sollte auch mehr Handel stattfinden als derzeit.- Wie wird sich die Intransparenz im Bereich des Aktienhandels durch Mifid II weiterentwickeln?Riess: Es kommt sehr darauf an, wie Mifid II umgesetzt wird. Der Verlust an Transparenz seit Mifid I insbesondere bei Mid Caps und Small Caps ist groß, diese Märkte sind daher heute viel illiquider als vor zehn Jahren, hier wird viel over the Counter gehandelt. Für den Investor ist die Transparenz geringer, was höhere Finanzierungskosten für Unternehmen nach sich zieht.- Eine deutliche Zunahme der systematischen Internalisierer wird im Markt teilweise erwartet. Teilen Sie diese Einschätzung?Riess: Das Ziel von Mifid II ist ein anderes, aber am Ende kommt es sehr auf die Implementierung von Mifid II an. Es gibt drei Schlupflöcher, die sich bei den systematischen Internalisierern aufgetan haben. In London haben einige Player versucht, ihre Internalisierer miteinander zu verbinden. Die EU hat daraufhin solche Verbindungen verboten. Das zweite ist das Tick-Size-Regime, also die Höhe minimalster Preisveränderungen, zu denen ein Kurs gestellt werden kann. An das müssen sich alle Börsen und multilateralen Handelsplattformen halten, aber systematische Internalisierer nicht. Das ist unfairer Wettbewerb zum Nachteil des Investors. Es gibt einige Anbieter, die bereits jetzt damit werben, die Tick Size zu unterlaufen, wenn die Order über sie ausgeführt wird. Drittens ist nicht klar, ob dieselbe Transparenz herrschen wird. Die Wertpapieraufsicht ESMA bemüht sich, diese Schlupflöcher zu schließen, aber hier ist auch der Gesetzgeber gefragt, die Schlupflöcher rechtsverbindlich zu schließen.Hoops: Mifid II entflechtet das Research, das bedeutet für unser Geschäftsmodell die größte Veränderung. In anderen Bereichen kann man eigentlich ein ähnliches Geschäftsmodell betreiben, einfach mit mehr Transparenz. Ab Anfang 2018 werden wir systematischer Internalisierer bei Anleihen und Währungen, die meisten unserer Wettbewerber allerdings erst ab Herbst 2018. Das Problem für viele unserer Kunden ist: Die Nachhandels-Transparenzvorschrift gilt schon ab Januar. Es geht also um rund acht Monate, in denen unklar ist, wer bei einer Transaktion die Berichte abliefern muss – der Verkäufer eines Wertpapiers oder die Bank. Wir wollen unseren Kunden die Meldepflicht abnehmen und Sicherheit schaffen und machen das schon ab Januar.Riess: Ich glaube, bezüglich systematischer Internalisierer und der Ausführung von Großorders haben wir keine unterschiedliche Auffassung. Das Problem fängt an, wenn sehr viel kleinteiliger Orderflow “abgefischt” wird. Diese Praxis kommt aus dem angelsächsischen Ausland, hat aber in Deutschland und in anderen Märkten mit Mifid auch Einzug gehalten. Das beurteilen wir sehr kritisch.- Ist es richtig, systematische Internalisierer als Konkurrenz zu Börsen zu verstehen? Auch weil das damit verbundene Nachhandelsgeschäft wegfällt und Abwicklern wie Clearstream entgeht?Riess: Konkurrenz belebt das Geschäft, aber Intransparenz zerstört die effiziente Preisbildung zum Nachteil von allen. Am Ende wird die große Frage über den Erfolg oder Misserfolg von Mifid II sein: Wird die Transparenz erhöht? Mit Mifid I hat das nicht richtig geklappt. Im Gegenteil. Daher muss mit Mifid II die Transparenz entscheidend verbessert werden. Die Regulierung enthält einige Schlupflöcher, und wir fordern eine gesetzliche Regelung.- Welche denn konkret?Riess: Bei den systematischen Internalisierern sind es gleiche Wettbewerbsbedingungen, insbesondere dass die Tick-Size-Regel gilt und dass die Transparenz auch gesetzlich geregelt ist.- Welche Rolle spielt das Projekt der Kapitalmarktunion? Das Beispiel der europäischen Abwicklungsplattform T2S, die von Zentralbanken betrieben wird, aber darunter leidet, dass in einigen Ländern Restriktionen für den Kauf neuer Staatsanleihen gelten, zeigt, wie widersprüchlich die Situation ist.Riess: Europa hat sehr viel erreicht. Wir haben ein europäisches Marktmodell geschaffen, es gibt eine europäische Standardisierung in vielen Bereichen. Mit T2S haben wir eine gemeinsame Abwicklungsplattform. Sicher, es gibt noch Rigiditäten und Anlaufprobleme und das eine oder andere Hemmnis, aber es gibt eine große Harmonisierung über ganz Europa, die unsere Märkte wettbewerbsfähiger macht. Es gibt jedoch noch viel zu tun, hier setzt die Kapitalmarktunion an, die mit Brexit noch ambitionierter werden muss.- Weshalb?Riess: Den großen Durchbruch würde beispielsweise ein einheitliches Insolvenzrecht, die Harmonisierung von Buchführung und Steuerbemessungsgrundlagen bringen. Das sind die ganz schwierigen Aufgaben, die aber nicht unbedingt im Feld der EU-Kommission liegen, sondern teilweise bei den Einzelstaaten. Für das einzelne Unternehmen, aber auch für Banken liegt hier noch ein sehr großes zu erschließendes Potenzial für mehr Effizienz, das Europa bietet. Die Kapitalmarktunion strebt eine effizientere Finanzierung der Realwirtschaft an, hier liegt noch eine weite Wegstrecke vor uns.Hoops: Das sehe ich genauso. Ich halte die Ziele der Kapitalmarktunion für sehr ambitioniert. Sie sind richtig und wichtig. Das Problem aber ist: ihre Priorisierung. Während bisher einzelne Spezialbereiche im Rahmen der Kapitalmarktunion harmonisiert werden sollen, ist es zentral, dass die großen, die Wirtschaft bestimmenden Regelbereiche endlich angegangen werden. Neben Rechnungslegung, Steuern und Insolvenzrecht zählen dazu auch Listing-Standards.—-Das Interview führten Dietegen Müller und Bernd Neubacher.