GASTBEITRAG

Die Rettung liegt in Edge Analytics

Börsen-Zeitung, 5.11.2020 "Der CO2-Ausstoß wird durch eine CO2-Abgabe belastet, wobei gesetzlich vorgeschrieben wird, das Aufkommen für Maßnahmen des Umweltschutzes, insbesondere des Klimaschutzes zu verwenden." Das Zitat kommt Ihnen bekannt vor?...

Die Rettung liegt in Edge Analytics

“Der CO2-Ausstoß wird durch eine CO2-Abgabe belastet, wobei gesetzlich vorgeschrieben wird, das Aufkommen für Maßnahmen des Umweltschutzes, insbesondere des Klimaschutzes zu verwenden.” Das Zitat kommt Ihnen bekannt vor? Mit gutem Recht. Es stammt aber nicht, wie man annehmen könnte, aus dem Klimapaket der heutigen großen Koalition. Vielmehr ist es als Teil des Koalitionsvertrags der vierten Bundesregierung unter Helmut Kohl (1990 – 1994) gut 30 Jahre alt.Es steht sinnbildlich für eine Klimapolitik, die in den letzten Jahrzehnten mehr aus vollmundigen Zielformulierungen als aus konkreten Handlungen bestand. Kein Wunder also, dass der Finanzmarkt das Ziel der Europäischen Union, bis 2050 Klimaneutralität zu erreichen, als nette Absichtserklärung ohne Relevanz für das tägliche Business zu empfinden scheint.Das wäre allerdings eine folgenreiche Fehleinschätzung. Dies beweist der European Green Deal, den die EU-Kommission im Dezember 2019 vorgestellt hat. Er wird häufig auf den Investitionsplan reduziert, mit dem bis 2030 öffentliche und private Investitionen in Höhe von mindestens 1 Bill. Euro mobilisiert werden sollen.Doch hinter dem European Green Deal steckt mehr, vor allem die Taxonomie-Verordnung, die ab 2022 neue Nachhaltigkeitsregeln vorgibt. Ziel ist es, die globalen Kapitalströme in die politisch gewünschte Richtung zu leiten: in Richtung ökologische Nachhaltigkeit, wobei eine Erweiterung um soziale Aspekte nicht ausgeschlossen ist.Die Taxonomie definiert nachhaltiges Wirtschaften anhand von sechs Kriterien: Klimaschutz, Anpassung an den Klimawandel, Erhalt der Biodiversität, Wasser- und Gewässerschutz, Verringerung der Umweltverschmutzung sowie Kreislaufwirtschaft. In Zukunft werden nur noch die wirtschaftlichen Aktivitäten als nachhaltig bezeichnet werden dürfen, für die nachweisbar ist, dass sie einen substanziellen Beitrag zu einem der sechs Kriterien erbringen, ohne auf ein anderes negativ zu wirken. Dreifache BedeutungFür die Finanzwirtschaft hat die Taxonomie eine dreifache Bedeutung: Erstens werden öffentliche Investitionen zu einem Großteil so ausgerichtet werden, dass sie die Nachhaltigkeitssiegel erfüllen. Die Europäische Investitionsbank und die KfW wenden die Taxonomie bereits an. Bis weitere öffentliche Kreditgeber diesen Vorbildern folgen, ist eine Frage der Zeit. Wer also in Zukunft für die (Co-)Finanzierung seiner Projekte öffentliche Gelder in Anspruch nehmen will, wird für seine Projekte eine positive Bewertung gemäß der Taxonomie vorzulegen haben.Zum Zweiten müssen alle Finanzprodukte, die als “nachhaltig” bezeichnet werden sollen, eine entsprechende positive Taxonomie-Prüfung vorlegen. Die Taxonomie gilt außerdem für die Regelungen der EU-Verordnung über nachhaltigkeitsbezogene Offenlegungspflichten im Finanzdienstleistungssektor.Hierbei geht es vor allem um Informationen über die Berücksichtigung von Nachhaltigkeitsrisiken bei Investitionsentscheidungen sowie bei der Anlage- und Versicherungsberatung. Ab 2022 sind außerdem die wichtigsten nachteiligen Auswirkungen auf Nachhaltigkeitsfaktoren offenzulegen.Drittens plant die EU-Kommission, Nachhaltigkeitskriterien auch bei der Bankenaufsicht zu verankern und einen Green Supporting Factor einzuführen. Dieser Faktor soll dazu führen, dass für Investitionen in nachhaltige Projekte geringere Eigenkapitalanforderungen gelten. Auch hierbei wird wahrscheinlich gelten: Was nachhaltig ist, bestimmt die Taxonomie.Darüber hinaus gilt die Taxonomie auch für Unternehmen außerhalb der Finanzwirtschaft: Alle Unternehmen, die zu einer nichtfinanziellen Berichtslegung verpflichtet sind – das sind Unternehmen mit mehr als 500 Mitarbeitern -, müssen ihre Nachhaltigkeitsinformationen entlang der Bedingungen der Taxonomie erstellen. Eine Frage des UmgangsVor diesem Hintergrund stellt sich für Banken die Frage nach dem richtigen Umgang mit der Taxonomie. Diese gründet im Kern auf dem Gedanken einer Metrik. Nachhaltigkeit muss gemessen werden, und dafür braucht es Daten. Ist das effizient umsetzbar? Kritiker befürchten mit einem gewissen Recht einen bürokratischen Aufwand gigantischen Ausmaßes.Die Rettung liegt in der Digitalisierung – genauer gesagt im Cloud Computing und in Edge Analytics, also der Analyse von Daten dort, wo sie entstehen. Die Bank stellt ihren Kunden eine Datenanalyse-Cloud zur Verfügung, in der vorgefertigte Analysetools hinterlegt sind. Das bedeutet, der Kunde braucht, um die regulatorischen Auflagen zu erfüllen, keine eigenen Ressourcen für die Anschaffung softwarebasierter Analysetools aufzuwenden. Der Kunde muss “nur” seine Enterprise-Resource-Planning- und Business-Intelligence-Systeme mit der Cloud for Customer (C4C) verknüpfen und kann dann Edge Analytics umsetzen.Die Banken benötigen C4C als Corporate-Edge-Banking-Ansatz ohnehin für die Modernisierung des herkömmlichen Kreditmanagements. C4C erlaubt es zum Beispiel, die Kreditbedienung automatisch zu verfolgen, anfallende Reports zu automatisieren und somit das Management des Kreditrisikos effizienter zu gestalten.Indem C4C auch die nachhaltigkeitsbezogenen Daten aufnimmt und sie analysiert, erfüllt sie eine zweite Funktion, die über das gewöhnliche Bankgeschäft hinausgeht. So wird es möglich, Reportingpflichten, die aus der Taxonomie erwachsen, automatisch zu erfüllen. Gleichzeitig kann der aktuelle Fortschritt bei Nachhaltigkeitszielen anhand von klaren Indikatoren auf einen Blick abgelesen werden.Von C4C profitieren beide Parteien: Denn wie oben dargestellt, ist die Taxonomie-Verordnung sowohl für Banken als auch für deren Kunden unmittelbar relevant. Das Charmante an C4C ist: Die Datensouveränität verbleibt beim Kunden. Die Analyse erfolgt dezentral ohne Notwendigkeit eines ausufernden Datentransfers und kann sowohl auf das jeweilige Investitionsobjekt bezogen als auch aggregiert auf der Ebene des Gesamtunternehmens dargestellt werden.Corporate Edge Banking kann Banken eine ganz neue Zukunft eröffnen. Das gilt insbesondere dann, wenn der Ansatz nicht auf das herkömmliche Kreditgeschäft reduziert wird, sondern als Ansatz für ein umfassendes Nachhaltigkeitsmanagement verstanden wird. Stehen für sie Effizienzgewinne durch Automatisierung, geringe Risiken durch Kreditausfälle, innovative Geschäftsfelder wie Data Trading sowie ganz neue Services als Vorteile im Vordergrund, profitieren ihre Kunden von der auf Datenanalyse basierenden Expertise und Beratung der Banken im Dschungel der nachhaltigkeitsbezogenen Anforderungen und Ansprüche. Historisches MomentumKurzum: Durch den European Green Deal und die Taxonomie-Regulierung entsteht für Banken ein historisches Momentum. Sie haben es in der Hand, endlich die Digitalisierung zu nutzen, um ihre eigene Rolle neu zu definieren – um ihre eigene Zukunftsfähigkeit zu unterstreichen, zum Wohle ihrer Kunden und, so pathetisch es klingen mag, zur Rettung unseres Planeten. Hanno Schoklitsch, CEO Kaiserwetter Energy Asset Management GmbH