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Die Risikovorsorge bereitet der Bankenaufsicht Kopfweh

Von Bernd Neubacher, Frankfurt Börsen-Zeitung, 4.2.2016 Nach monatelanger Hängepartie ging es in der vergangenen Woche plötzlich doch recht schnell mit einer Einigung zwischen Italiens Finanzminister Pier Carlo Padoan und EU-Wettbewerbskommissarin...

Die Risikovorsorge bereitet der Bankenaufsicht Kopfweh

Von Bernd Neubacher, FrankfurtNach monatelanger Hängepartie ging es in der vergangenen Woche plötzlich doch recht schnell mit einer Einigung zwischen Italiens Finanzminister Pier Carlo Padoan und EU-Wettbewerbskommissarin Margrethe Vestager auf den Aufbau einer Bad Bank für faule Kredite des italienischen Bankensektors. Nachgeholfen hatten nicht nur Aktionäre, die ihre Anteile auf den Markt warfen, und Einleger, die Depositen abzogen, sondern auch die Aufseher der Europäischen Zentralbank (EZB), die der 2014 durch den Bilanztest gefallenen Banca Carige sowie Banca Popolare dell’Emilia Romagna, Banco Popolare, Popolare Milano sowie Unicredit Fragebögen zu deren Bestand an notleidenden Forderungen geschickt hatten.Schon seit längerem beschäftigt sich bei der Notenbank eine eigene Task Force mit dem Problem der faulen Kredite. Dieses ist keineswegs auf Italien begrenzt, wo der Umfang der faulen Forderungen Mitte 2014 rund 105 % des materiellen Eigenkapitals zuzüglich Risikovorsorge der Banken ausmachte. Bei Zyperns größten Banken sind die Aufseher im Zuge von Vor-Ort-Prüfungen laut Marktkreisen auf Bestände an faulen Krediten gestoßen, die zumindest in einem Fall 60 % des Gesamtkreditbestandes ausmachten. Mancherorts ist gar von 69 % die Rede – dies sei weltweit spitze, höhere Werte seien selbst in Argentinien zu dessen schlimmsten Zeiten nicht gemessen worden, heißt es. Welche Quoten sich letztlich exakt ergeben, hängt dabei von Definitionsfragen und unter anderem davon ab, welche Liquidationsperiode unterstellt wird, also der Zeitraum, in welchem eine Bank Sicherheiten flüssig machen kann – je länger diese Frist, umso geringer der Barwert einer Sicherheit. Angesichts solcher Dimensionen ist nachvollziehbar, warum sich die deutsche Kreditwirtschaft derart vehement gegen eine Vergemeinschaftung der Einlagensicherung sträubt. EZB setzt Abschläge durchDem Vernehmen nach sollen die Banken Zyperns nun durch Thesaurierung bis zu 2 Mrd. Euro Eigenkapital bilden, wobei 400 Mill. bis 500 Mill. Euro auf die Bank of Cyprus, als deren Chairman Ex-Deutsche-Bank-Chef Josef Ackermann fungiert, entfallen. Dies wird dem Institut dabei eher zugetraut als etwa der Co-operative Central Bank oder der Hellenic Bank, die geringere Beträge zu schultern haben. Erst am Dienstag teilte Bank of Cyprus mit, auf Basis von Gesprächen mit der EZB habe sie ihre Methodik in der Risikovorsorge geändert und neben anderem im Falle bestimmter Problemportfolien zusätzliche Liquidationsabschläge angewendet. Konsequenz ist ein Jahresverlust von 400 Mill. Euro.Die Aufsicht hat gute Gründe, die Kreditbestände der Banken Eurolands gründlich zu durchleuchten. Denn die Einführung des Bilanzstandards IFRS 9 dürfte die Risikovorsorge der Institute im übernächsten Jahr nochmals in andere Dimensionen katapultieren.IFRS 9 reformiert die Risikovorsorge. Mussten Banken bisher im Prinzip erst Risikovorsorge bilden, wenn absehbar wurde, dass eine Forderung notleidend wird, so sollen sie künftig schon bei Ausreichung den erwarteten Verlust auf Zwölfmonatssicht schätzen und verbuchen. Verschlechtert sich die Bonität des Schuldners signifikant, ist der erwartete Verlust vorzeitig über die gesamte Laufzeit anzusetzen. Damit reagiert der Bilanzrat IASB auf Kritik, der zufolge Banken nach der bisherigen Regelung tendenziell zu wenig Risikovorsorge bilden, und dies zu spät. Vergütungsberater jubeln schon: Endlich trage die Bilanzierung dem Gedanken der Risikoadjustierung Rechnung und buche die Risikokosten zeitgleich zu den Erträgen. Dies aber hat Folgen: Szenarioberechnungen des IASB haben gezeigt, dass IFRS 9 die Risikovorsorge etwa bei Immobilienkrediten um 30 bis 250 % und bei allen anderen Krediten um 25 bis 60 % anschwellen lassen wird.Deshalb bereitet IFRS 9 der Bankenaufsicht Kopfweh. Es geht die Angst um, die Einführung des IFRS 9 könne einzelne Banken hinsichtlich ihrer Kapitaldecke, aber auch operativ überfordern. Manch eine Bank soll sich noch gar nicht konkret mit der Umsetzung der Bilanznorm befasst haben. Für die Modellierung des Kreditrisikos aber benötigen die Institute Experten, die sie vielfach gar nicht haben, wie es im Markt heißt. “Die Regulatoren erhöhen den Druck auf Banken, damit diese sich im laufenden Jahr und im kommenden Jahr eingehend mit dem Thema IFRS 9 beschäftigen”, sagt Gerd Straub, Partner Advisory Financial Services bei KPMG. Keiner der beiden Seiten wäre damit gedient, “wenn sich wenige Monate vor der Erstanwendung unvermutete Kapitallücken auftun sollten”. Die EZB hat schon zu Jahresbeginn eine “thematische Überprüfung” zu den potenziellen Auswirkungen von IFRS 9 auf die Risikovorsorge der Banken angekündigt. Sie erstreckt sich auf alle rund 130 Institute unter ihrer direkten Aufsicht, wie zu hören ist.Mitte vergangener Woche hat nun auch die European Banking Authority (EBA) eine Auswirkungsstudie am Beispiel von rund 50 Instituten in der EU angekündigt. Nach Angaben aus dem Markt hatte die Behörde Banken zunächst konkrete Ergebniseffekte ermitteln lassen wollen. Dem widersetzten sich die Institute indes erfolgreich. Ihr Argument: Im Zuge von Szenario-Berechnungen könnten Banken unter Kapitalmindestgrenzen rutschen, worüber sie womöglich ad hoc informieren müssten.