"Die seriösen Marktteilnehmer honorieren das"
Herr Boll, was bedeuten die neuen Geldwäschevorgaben für Ihre Branche?Wenn man über die Kunstindustrie im Allgemeinen spricht, ist es ein großer Einschnitt für mittlere und kleine Unternehmen, für die großen eher weniger und für die globalen wahrscheinlich am wenigsten von allen. Wie gehen Sie bei Christie’s damit um?Wenn sich in einem Land, in dem wir tätig sind, die Vorschriften ändern, zum Beispiel, indem bei der Sorgfaltspflicht die Schwelle angehoben wird, dann übernehmen wir das in unsere globale Best Practice. Das bedeutet, dass wir 99 % der neuen Vorgaben aus einer ganzen Bandbreite von Gründen ohnehin schon vorgenommen hatten. Was sind das für Gründe?Dabei handelt es sich entweder um juristische Vorschriften in einzelnen Ländern, vor allem ist hier an die USA zu denken, oder um Vorschriften, die es uns erleichtern, unsere Tätigkeiten zu versichern. Denn auch dafür spielen die Sorgfaltspflicht und der Nachweis des Sichkümmerns eine große Rolle. Drittens haben wir uns in den Ländern, in denen wir unterwegs sind, mit sogenannten Selbstregulierungseinrichtungen zusammengetan. Was sind das für Einrichtungen?Das sind der Rechtsform nach meist Vereine, die die Mitglieder zertifizieren und kontrollieren. Dabei wird verlangt, dass in jeder Niederlassung jemand für zuständig erklärt wird, die Einhaltung der Vorgaben zu überwachen. Diese Überwachung muss dokumentiert werden. Was bedeutet das in der Praxis?Wer Prokura hat, etwa Leiter von Tochtergesellschaften, muss fortgebildet werden, damit er versteht, wie Geldwäsche funktioniert, wie man unwissentlich und willentlich dazu beitragen kann und was man dagegen tun kann. Das ist etwas, was ich schon seit mehr als 15 Jahren selber machen muss. Für Unternehmen und Mitarbeiter ist das sehr aufwendig. Aber wir glauben, dass das ein sehr engmaschiges Netz schafft, um bei allen an der Schnittstelle zwischen Finanzen und Handelsgut das nötige Bewusstsein zu schaffen. Weil wir nachbessern, wenn sich irgendwo etwas ändert, ist das alles in Bewegung. Das ist aber nur in einem großen Unternehmen möglich. Und die kleinen?Die Dokumentationspflichten und auch die Frage der wirtschaftlichen Berechtigung eines Geschäftes werden vor allem für kleine Unternehmen zum Problem, wo die Personaldecke nicht so groß ist. Wenn dort jemand für die Einhaltung der Regeln zuständig ist und dafür ein Fünftel seiner Arbeitszeit aufwenden muss, ist das schon kompliziert. Was halten die Kunden davon?Gerade in den westlichen Industrienationen schätzt es die Kundschaft, wenn man mit den Regeln respektvoll, geradlinig und vorschriftsgemäß umgeht. Die seriösen Marktteilnehmer honorieren das, auch wenn einmal ein Geschäft deswegen nicht zustande kommt. Wie könnte die weitere Entwicklung verlaufen?Wenn man einmal die Provenienzforschung zum Vergleich heranzieht, haben Großunternehmen eigene Abteilungen, mit denen sie die Kompetenz im Haus haben und das Wissen, das durch die Arbeit generiert wird, im Haus halten können. Mittelgroße Unternehmen haben einen Beauftragten dafür, der detailliertere Arbeiten extern durch eines der vielen unabhängigen Serviceunternehmen, die es dafür gibt, erledigen lässt. Kleine Unternehmen sind dagegen voll und ganz auf externe Hilfe angewiesen, was aber auch eine ganz neue Landschaft von Anbietern geschaffen hat, die auch seriös handeln und arbeiten. Doch das Wissen, das durch die Arbeit entsteht, bleibt in der Serviceindustrie und nicht beim Unternehmen, das am Ende die Rechnung bezahlt. Und so könnte man sich vorstellen, dass in Zukunft ihr Steuerberater oder ihre Anwaltskanzlei die Maßnahmen zur Geldwäschebekämpfung übernimmt. Wie läuft das bei Christie’s?Unser Geschäft bei Christie’s ist in einem Maße komplexer geworden, dass die Rechtsabteilung zu den Bereichen gehört, in denen die Mitarbeiterzahl in den vergangenen 20 Jahren am stärksten gewachsen ist. Da sieht man einen ganz klaren Trend. Unser Geschäft ist stärker reguliert worden, und wir müssen damit umgehen. Das kann man nur mit Expertise. Unterabteilungen der Rechtsabteilung kümmern sich um Dinge wie Provenienzforschung und KYC. Werden Ihnen öfter zweifelhafte Geschäfte angetragen?Die Gefahr, dass solche Sachen zu uns kommen, ist ein bisschen kleiner, weil wir aufgrund unserer Marktposition in hohem Maße der öffentlichen Beobachtung unterliegen. Die Menschen, die nach Wegen suchen, um im Graubereich zu operieren, wissen das und kommen deshalb eher nicht zu uns. Wer als Käufer oder Verkäufer zu uns kommt, wird mit einer Liste der Vorgaben konfrontiert, die man erfüllen muss. Was sind das für Voraussetzungen?Das sind oft ganz banale Dinge, die man heutzutage schon benötigt, um eine Kreditkarte zu beantragen. Wenn über ein Unternehmen gekauft wird, müssen wir wissen, wer die wirtschaftlich Berechtigten sind, wer die Direktoren sind. Da braucht man Passkopien et cetera. Manchmal liegen diese Voraussetzungen nicht vor und werden auch bei mehrmaligem Nachfragen nicht erfüllt. Entweder versickert das Geschäft dann im Sande, oder wir müssen dem Kunden sagen: Tut uns leid, entweder bringen Sie uns die Passkopie, oder wir können dieses Geschäft nicht durchführen. Wie oft passiert das?Das kommt regelmäßig vor. Wir haben ganz klare Vorgaben von unserer Rechtsabteilung. Da gibt es keinen Ermessensspielraum für Mitarbeiter. Unser Computersystem hat eine Funktionalität, dass diese Schritte eingegeben werden müssen. Ansonsten kann man zum Beispiel keine Verträge drucken. Wenn man es trotzdem versucht, meldet der Computer das automatisch der Rechtsabteilung. Es kommt deshalb zwar nicht häufig, aber regelmäßig vor, dass Geschäfte nicht zustande kommen. Wie ist das mit Zahlungen von oder an Dritte?Zu Anti-Geldwäsche-Maßnahmen gehört auch, dass wir keine Zahlungen von Dritten annehmen oder ausführen. Früher war das durchaus üblich, etwa in der Form, dass jemand etwas ersteigert hat und der Rechnungsbetrag dann von einem anderen Konto beglichen wurde. Seit vielen Jahren wird das nicht mehr akzeptiert. Das Geld muss von unserem Vertragspartner kommen beziehungsweise an ihn gehen. Das bedeutet aber auch, dass wir es den wirtschaftlich Berechtigten geltend machen, wenn wir eine Vermittlungsprovision zahlen. Da gibt es immer wieder Fälle, dass Berater oder Vermittler gerne eine Provision hätten, sie den wirtschaftlich Berechtigten aber nicht offenlegen wollen. Das müssen wir auch ablehnen. Kann man noch bar bezahlen?Sie können pro Jahr 10 000 Dollar/Euro in bar bei uns ausgeben. Das kommt so gut wie gar nicht mehr vor. Früher hatten wir in unseren Büros tatsächlich eine Bargeldkasse, weil immer mal Menschen kamen, die gedruckte Kataloge angeschaut und erworben haben. Das ist vorbei. Zum einen gibt es nur noch sehr wenig gedruckte Kataloge. Zum anderen werden sie behandelt wie Marketinginstrumente. Es gibt tatsächlich überhaupt kein Bargeld mehr bei uns, weil es den Bedarf nicht mehr gibt. Das Interview führte Andreas Hippin.