Die Tiefen des Cum-ex-Netzwerks
Es ist bald Halbzeit im ersten Cum-ex-Strafprozess vor einem deutschen Gericht. Die Aussagen des angeklagten Ex-Händlers Martin S. und des Anwalts S. als Kronzeuge haben das Netzwerk im Detail seziert. Der Kenntnisstand war bei den Akteuren hoch, Dutzende Finanzinstitute machten mit.Von Antje Kullrich, BonnBis auf ganz wenige Ausnahmen wussten alle genau Bescheid. In diesem Punkt sind sich der Angeklagte Martin S., ein früherer Aktienhändler und Organisator vieler Cum-ex-Transaktionen, sowie der Kronzeuge, ein tief in die Geschäfte verstrickter Anwalt, einig. Den Cum-ex-Akteuren war das Konzept der Geschäfte bekannt und voll bewusst: die Tatsache, dass die zweistelligen Renditen in nur wenigen Monaten allein aus der doppelten Erstattung nur einmal gezahlter Kapitalertragsteuer kamen. In ihren jeweils mehrtägigen Ausführungen haben die beiden Männer, die sich anders als die meisten ihrer ehemaligen Geschäftspartner vor drei Jahren entschlossen haben, auszupacken und mit den Ermittlern zu kooperieren, viele Details zu Wissen und Kenntnisstand sowie Namen von Beteiligten genannt. Hier ein Überblick, der die Inhalte der Aussagen wiedergibt:Die Käufer im Cum-ex-Netzwerk: Ursprünglich waren vor allem deutsche Banken auf der Käufer- bzw. Investorenseite aktiv. Martin S. nannte im Prozess explizit die Namen Warburg, HSH Nordbank, Sal. Oppenheim, Landesbank Baden-Württemberg, Helaba und WestLB, betonte aber, die Liste ließe sich fortsetzen. Später stiegen Privatinvestoren in das Geschäft ein, die in Fonds investierten, die ausschließlich für Cum-ex-Geschäfte gegründet wurden und nur für wenige Monate existierten. Einer der ersten war der inzwischen verstorbene Immobilienunternehmer Rafael Roth. Ein anderer, der Geschäftsführer des KarstadtQuelle-Betriebsrenten-Trusts, Ulrich Mix, investierte nicht nur privates Geld, sondern auch Mittel des Trusts. Mix war außerdem Geschäftsführer der Malta Invest, eines zwischengeschalteten Vehikels, das M.M. Warburg zum Einsammeln von Investorengeldern für ihren Cum-ex-Fonds BC German Equity nutzte. Vor allem die, die viel investierten wie der CTS-Eventim-Gründer Klaus-Peter Schulenberg, hätten genau Bescheid gewusst über das Wesen der Cum-ex-Geschäfte, erläuterte der Kronzeuge. Allerdings habe es auch unwissende Investoren gegeben, die in eine Black Box investierten, zum Beispiel über die Bank Sarasin. “Wenn die heute sagen, sie hätten nichts gewusst, dann ist das richtig.” Im Cum-ex-Prozess in Bonn geht es um Fonds, die Warburg, Warburg Invest, Hansainvest, eine Tochter von BNY Mellon und Société Générale aufgelegt haben.Die Investoren gaben Eigenkapital in die Fonds, die im Cum-ex-Zyklus als Käufer auftraten. In der Regel waren es 50 bis 100 Mill. Euro, die dann mit Krediten von bis zu 1 Mrd. Euro gehebelt wurden. Denn je mehr Aktien gekauft werden konnten, desto höher waren am Ende die Profite. Das Limit war die Meldeschwelle von 3 %. Die Akteure wollten keine Transparenz und Nachfragen vermeiden, warum so hohe Posten rund um die Hauptversammlung erst gekauft und dann schnell wieder verkauft wurden.Die Kreditgeber waren im Fall von Rafael Roth die HypoVereinsbank, bei den späteren im Prozess verhandelten Fonds die Deutsche Bank und Merrill Lynch. “Die Aktientransaktionen fanden nicht im Verborgenen statt”, sagte der Kronzeuge. Kredite in diesem Umfang seien sehr genau analysiert und im Detail hinterfragt worden. Der Genehmigungsprozess habe bis in die Bankspitze gereicht. Ein Kreditdokument über ein Darlehen von 500 Mill. Euro trägt die Unterschrift des damaligen HVB-Vorstands und heutigen Chief Lending Officer von Unicredit, Andrea Umberto Varese. Die Cum-ex-Zyklen rund um den Dividendenstichtag hätten nicht funktioniert ohne die Depotbanken. Sie waren laut den Aussagen aktiv involviert, es gab Rahmenvereinbarungen zwischen den Investoren, der Fonds auflegenden Kapitalanlagegesellschaft und der Depotbank. Als Sicherheit für die kreditgebenden Banken schrieb die Depotbank die Kapitalertragsteuer den Fonds bereits am Tag des Settlements gut und gewährte damit einen Kredit bis zur nächsten Monatsabrechnung. Die Depotbanken erhielten laut Kronzeuge bei Cum-ex-Geschäften höhere Gebühren als bei Standarddienstleistungen. Es sei auch vorgekommen, dass Depotbanken sogenannte Dividendenpunkte, also einen Anteil an dem Cum-ex-Profitkuchen, haben wollten. Als Depotbanken haben im Prozess bisher BNP Paribas, BHF-Bank, Caceis und die Apo-Bank eine Rolle gespielt. Clearstream als Wertpapierverwahrer und -abwickler spielte eine zentrale Rolle für das Cum-ex-Netzwerk. Sämtliche Transaktionen liefen über die Tochter der Deutschen Börse. Als sich mit dem Jahressteuergesetz 2007 die Rahmenbedingungen änderten und Cum-ex in der bisherigen Form nicht weitergehen konnte, soll Clearstream selbst mit Vorschlägen an die Marktteilnehmer herangetreten sein, wie Cum-ex in Zukunft weiter möglich sein könnte. Der Kronzeuge erinnerte sich an eine entsprechende Powerpoint-Präsentation. Auch Martin S. sprach Clearstream und ihrer Luxemburg-Tochter eine aktive Rolle im Cum-ex-Geschehen zu.Als Leerverkäufer agierten nach 2007, als der Gesetzgeber erstmals versuchte, Cum-ex einzudämmen, ausländische Kreditinstitute mit ausländischen Depotbanken. Martin S. nannte als Beteiligte Scotia Bank, Merrill Lynch, Fortis, Maple, Lehman Brothers, Banco Santander, Bank D’Orsay, Macquarie Bank, Barclays und MF Global. Ohne sie waren Cum-ex-Geschäfte nicht möglich. Um direkte – gesetzlich untersagte – Absprachen mit den Aktienkäufern/Investoren zu verhindern, setzten beide Parteien Broker dazwischen. Details zu den Leerverkäufern sind im Prozess bisher wenig zur Sprache gekommen, da der Kronzeuge ausschließlich für die Käuferseite tätig war. Als häufig involvierte Broker nannte Martin S. Icap, Equinet, Tullet Prebon, Novus und Link.Die großen Mengen an Aktien, die rund um den Hauptversammlungstag verschoben wurden, mussten irgendwo herkommen. Als Aktienleihgeber stellten sich einerseits große Kapitalsammelstellen wie State Street oder Northern Trust zur Verfügung, andererseits große Banken, die eigene Bestände hatten. Martin S. nannte Deutsche Bank, Commerzbank und SEB mit Namen.Berater waren im Cum-ex-Markt gleich mehrfach gefragt. Sie schrieben Steuergutachten auf Basis von zurechtgelegten Sachverhalten – “Feigenblätter”, wie es der Kronzeuge bezeichnete. Freshfields, Dewey & LeBoeuf, Norton Rose und der frühere Dewey-Partner Hanno Berger, der sich später mit einer eigenen Kanzlei selbständig machte, waren groß im Geschäft. Sie versuchten mit allen Mitteln, Einfluss auf Behörden und Bundesfinanzministerium zu nehmen, als der Spielraum für die Cum-ex-Branche enger zu werden drohte. Hanno Berger soll Fachaufsätze von an Universitäten arbeitenden Jura-Professoren gekauft haben. Berger vermittelte darüber hinaus für seine vermögenden Unternehmer-Mandanten Cum-ex-Geschäfte und wurde zusammen mit seinem Partner, dem Kronzeugen S. , an den Gewinnen der Transaktionen beteiligt. Je 50 Mill. Euro sollen beide verdient haben. Um das Geld einzustreichen, gründeten sie eigens eine Gesellschaft namens Oak, die vor ihrem Umzug nach Luxemburg zunächst eine Offshore-Gesellschaft. war. Der Kronzeuge schilderte, wie die Bank Sarasin Scheinrechnungen an Warburg, die nicht an eine Offshore-Unternehmung überweisen wollte, ausstellte und die Gelder dann gegen eine Gebühr an Oak weiterleitete.Skrupel waren Berger völlig fremd. Der Kronzeuge zitierte ihn aus einem Meeting: “Wenn jemand ein Problem damit hat, dass wegen unserer Arbeit weniger Kindergärten gebaut werden – da ist die Tür.”