Die Welt wird nicht überall reicher
dz Zürich
Die unmittelbare Zukunft sieht wenig verheißungsvoll aus. Die aktuellen Konjunkturperspektiven und die negative Entwicklung der Finanzmärkte veranlassen derzeit viele Haushalte, ihre Budgetpläne zu revidieren. Dementsprechend gehen die Autoren des Credit-Suisse-Vermögensreports bis Ende 2023 auch von einem Szenario aus, in dem die im vergangenen Jahr erzielten Vermögenszuwächse teilweise wieder verloren gehen könnten.
Diese Zuwächse beim Vermögen erreichten zuletzt allerdings ein Ausmaß, wie es in den vergangenen 20 Jahren noch nie zu beobachten war. Das Vermögen einer erwachsenen Person erhöhte sich 2021 im weltweiten Durchschnitt um 8,4% beziehungsweise in lokalen Währungen berechnet sogar um 12,7% auf 87489 Dollar. Erfreulicherweise profitierten davon auch viele Durchschnittshaushalte, sagte der britische Wirtschaftsprofessor und Studienautor Anthony Shorrocks am Dienstag anlässlich einer Präsentation in Zürich.
Für den seit vielen Jahren mit ökonomischen Verteilungsfragen beschäftigten Forscher ist das kein überraschendes Phänomen. „Eine Analyse des Median-Vermögens innerhalb einzelner Länder und auf weltweiter Ebene zeigt, dass die globale Vermögensungleichheit in diesem Jahrhundert aufgrund des Wachstumstempos in den Schwellenländern zurückgegangen ist.“
In der Tat zeigt der Studie, wie sich in den vergangenen zwei Dekaden insbesondere in China eine vermögende Mittelschicht herausgebildet hat. Das Land, das vor zwanzig Jahren in der Rangliste der reichsten Länder dieser Welt noch auf den hinteren Rängen anzutreffen war, steht in puncto Durchschnittsvermögen schon bald auf der gleichen Stufe wie der europäische Durchschnitt.
Während in China sehr viele Menschen den Weg aus der Armut gefunden haben, ist die Ungleichheit der Reichtumsverteilung stark gewachsen und daran hat sich auch 2021 nichts geändert. Von den weltweit mehr als 35000 Menschen, die neu in die Kaste der Ultrareichen aufrücken konnten stammt jeder siebte aus China.
Damit belegen die Chinesen aber nur den zweiten Platz hinter den USA, wo 2021 mehr als 80% aller neuen Superreichen ihren Wohnsitz haben. Die USA sind denn auch das einzige alte Industrieland, in dem es nicht zu einer ausgeglicheneren Verteilung der Vermögen, sondern zu einer Konzentration bei den Reichsten kommt. Das reichste eine Prozent der Bevölkerung besitzt in den USA 35% des gesamten Vermögens und somit mehr als der ganze Mittelstand zusammen. Nachdenklich stimmen sollte diese Entwicklung die US-Politik vor allem deshalb, weil es sich um einen langjährigen Trend handelt, an dem weder demokratische noch republikanische Regierungen etwas zu ändern vermögen. Bedenklich ist dies auch, weil sich eine gute Vermögensverteilung auch als volkswirtschaftlicher Puffer gegen ökonomische Schocks erwiesen hat, wie die Autoren der Studie feststellen. Die gute Nachricht ist, dass ein Ausgleich in der Vermögensverteilung in fast allen Ländern im zentralen Europa seit längerem stattzufinden scheint. Allerdings deuten die Verteilungsindikatoren auch auf dem Alten Kontinent bisweilen noch sehr starke Konzentrationen an, wie sich dies ausgerechnet in Schweden oder Norwegen zeigt, wo die soziale Umverteilung eine große Tradition auf der politischen Agenda hat.
Wertberichtigt Seite 2