Dritter Angeklagter sagt aus

Die Wende im Wirecard-Prozess bleibt aus

Die Erwartung war groß, dass der mitangeklagte Stephan von Erffa mit seinen Aussagen eine Wende im Wirecard-Prozess einleiten könnte. Doch der Ex-Konzernchefbuchhalter wies überwiegend eine Schuld von sich und machte stattdessen andere für die Taten verantwortlich. Vor allem den Kronzeugen griff er an.

Die Wende im Wirecard-Prozess bleibt aus

Wende im Wirecard-Betrugsprozess bleibt aus

Vor Gericht spricht Ex-Konzernchefbuchhalter von Erffa zwar von Fehlern, ein Geständnis kommt von ihm aber nicht

sck München

Der 17. Juli 2024 sollte als Tag der großen Wende im Wirecard-Betrugsprozess eingehen. So jedenfalls erwarteten das viele Prozessbeobachter mit Blick auf die Aussagen des mitangeklagten Stephan von Erffa, der sich zu den kriminellen Machenschaften beim 2020 pleitegegangen Zahlungsabwickler erstmals vor der 4. Strafkammer des Landgerichts München geäußert hat. Doch ein Einschnitt, der die seit 18 Monaten andauernde Gerichtsverhandlung entscheidend beeinflussen würde, blieb aus.

In seiner 200-seitigen Einlassung sprach der frühere Konzernchefbuchhalter zwar von eigenen Fehlern, doch von einem Schuldeingeständnis sah er ab. Erffa, der bislang in dem Prozess geschwiegen hatte, widersprach in seinen Ausführungen im Kern dem Vorwurf der Staatsanwaltsschaft, er sei Teil einer kriminellen Bande rund um den ehemaligen Wirecard-Vorstandschef Markus Braun gewesen.

Erffa stellte sich als Manager dar, der von den Machenschaften nichts gewusst haben will und nicht dem engeren Zirkel um den Ex-CEO angehört habe. Stattdessen verwies er auf andere, die aus seiner Sicht für die Taten verantwortlich sind. Insbesondere den Kronzeugen der Strafermittler, den Ex-Konzernstatthalter in Dubai, Oliver Bellenhaus, griff er verbal an und bezichtigte diesen eines Racheakts.

Rückschlag fürs Gericht

Damit schwenkt Erffa auf die Strategie von Braun ein, der sich zuvor in seiner Einlassung ebenfalls als nicht schuldig dargestellt hatte.

Für das Gericht dürfte Erffas Verteidigungstaktik eine Enttäuschung sein. Vier Monate zuvor setzte der Vorsitzende Richter Markus Födisch den dritten Angeklagten und dessen Anwälte unter Druck, mit dem Ziel, in dem Mammutverfahren einzulenken. Er stellte Erffa eine Freiheitsstrafe von sechs bis acht Jahren in Aussicht, sollte dieser alsbald ein vollumfängliches Geständnis abgeben.

Ein Gericht gibt eine rechtliche Indikation in einem komplexen Strafverfahren erst nach einer gewissen Zeit nur dann ab, wenn die Beweislage gegen Angeklagte erdrückend ist. Experten bezeichnen so etwas salopp als „Deal“ der Justiz mit dem Ziel, ein langwieriges Verfahren zu verkürzen und ein Urteil zu fällen. Ein Geständnis von Erffa hätte insofern Gewicht, da dieser in der Wirecard-Konzernzentrale recht nah am Geschehen war. Bellenhaus hingegen wirkte vielmehr von außen. Der Kronzeuge beschuldigte Erffa zu Beginn des Prozesses der Mittäterschaft. Von Bellenhaus gefälschte Belege habe dieser verbucht. Erffa bestreitet dies.

Anklage gegen Ley im Prüfstand

Die Staatsanwaltschaft wirft dem Trio schweren gewerbsmäßigen Bandenbetrug in Tateinheit mit Untreue, Bilanzfälschung und Marktmanipulation vor. Der Prozess begann im Dezember 2022. Die Strafermittler klagten ein Jahr darauf auch den Ex-Finanzvorstand Burkhard Ley an. Das Gericht prüft diese Anklage immer noch. Der flüchtige Ex-Vertriebsvorstand Jan Marsalek soll sich in Russland versteckt halten. Damit entzieht er sich den Strafverfolgungsbehörden.

Wirecard brach im Juni 2020 zusammen, als sich nach einer Sonderprüfung von KPMG das Drittpartnergeschäft in Asien (TPA) als Fälschung herausstellte und Treuhandkonten von 1,9 Mrd. Euro als Luftbuchung. Der langjährige Abschlussprüfer EY verweigerte kurz zuvor das Testat für 2019. Die Strafermittler beziffern den Schaden für Wirecard-Gläubiger auf 3,2 Mrd. Euro. Braun behauptet immer noch, dass es dieses TPA-Geschäft gegeben habe.

TPA-Geschäft war „authentisch“

Erffa stellte die Geschehnisse so dar, als sei er selbst getäuscht worden. Inhaltlich habe er nach eigener Aussage kaum etwas mit TPA zu tun gehabt. Das TPA-Geschäft sei ihm damals „authentisch“ erschienen, führte er vor Gericht aus. In Mails habe ihm Bellenhaus oft von Vertragsverhandlungen mit Drittpartnern berichtet. Dies sei keine „Alibi-Kommunikation“ gewesen. Es habe sich um Mails „mit vielen Details“ gehandelt. Die Angaben über TPA-Kunden in Asien seien „lebendig“ gewesen. Als Argument führte Erffa an, dass EY die TPA-Aktivitäten gesondert geprüft habe. Er, Erffa, habe sich auf die Angaben von Bellenhaus und von Marsalek „verlassen“. Marsalek sei damals für TPA Ansprechpartner gewesen.

TPA habe wie andere Geschäftsbereiche „gewirkt“. „Es war weder aalglatt noch war es unplausibel und chaotisch“, so Erffa. Dies habe sich im Nachhinein als „Fehleinschätzung“ erwiesen. Er, Erffa, sei damit aber nicht „allein“ gewesen. „In sämtlichen Jahren gab es für mich keinen Grund, an der Existenz des TPA-Geschäfts zu zweifeln.“

Zugleich schilderte er aber, dass Bellenhaus und Marsalek TPA-Belege stets verspätet eingereicht hätten.

„Gut in Lügen und Verdrehen“

„Er ist gut in Lügen und Verdrehen“, sagte Erffa über Bellenhaus. Letzterer habe ihn, Erffa, wegen seiner damaligen Position als Deputy-CFO „beneidet". Erffa zufolge hat Bellenhaus dessen wiederholte Anmahnungen wegen fehlender Belege als „Kränkung empfunden". Er fühle sich durch Bellenhaus lächerlich gemacht und bedroht, so Erffa. „Der Hass, den Bellenhaus im Prozess gegen mich an den Tag legt, ist für mich spürbar.“ Dieser Hass sei „persönlich begründet“.

Die Erwartung war groß, dass der mitangeklagte Stephan von Erffa mit seinen Aussagen eine Wende im Wirecard-Prozess einleiten könnte. Doch der Ex-Konzernchefbuchhalter wies eine Schuld von sich und machte stattdessen andere für die Taten verantwortlich. Vor allem den Kronzeugen griff er an.

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