Die Wertpapierkultur - des Deutschen unliebstes Kind

Förderung des Aktienbesitzes passt zu den Sparkassen und ihren Verbundpartnern wie zu keiner anderen Institutsgruppe

Die Wertpapierkultur - des Deutschen unliebstes Kind

Die Schuhe von Adidas, der Dienstwagen von Audi, BMW oder Daimler und der Staubsauger von Siemens: Auf seine Unternehmen lässt der Deutsche nichts kommen. Vom weltberühmten deutschen Mittelstand ganz zu schweigen. Wenn es ums Geldausgeben geht, vertrauen wir “Made in Germany”. Ganz anders, wenn es ums Sparen geht. Die Aktienkultur des Deutschen gleicht Schusters Sohlen. Langfristige Beteiligung an den deutschen Unternehmen in Form von Aktien? Fehlanzeige.Der Dax verzeichnet seit Monaten einen Rekordstand nach dem anderen und scheint auch seine Jahresanfangsschwäche überwunden zu haben. Bei näherem Hinsehen stellt man jedoch fest: Die Mehrheit der Anteilseigner der Dax-Unternehmen sind institutionelle Großinvestoren aus dem Ausland. Der Aktienbesitz der Bundesbürger hingegen ist tendenziell rückläufig. Die Bundesbank weist in ihrem Februar-Bericht einen Rückgang der Anlage in Aktien und Fonds aus. Einem Vermögen von rund 2 052 Mrd. Euro in Bargeld und Sichteinlagen stehen demnach nur noch 280 Mrd. Euro in Aktien und rund 440 Mrd. Euro in Fonds gegenüber. Vermeintliche SicherheitDie deutschen Unternehmen spielen in der Champions League, und die Deutschen stehen am Rand und sehen zu. Ganze Weltkriege haben viele deutsche Großunternehmen überstanden. Doch die Berg-und-Tal-Fahrt der täglichen Kursschwankungen in der “Börse im Ersten” schreckt die Privatanleger immer noch ab. Offensichtlich wiegt das Gefühl der vermeintlichen Sicherheit vielfach schwerer als die Angst vor einem langfristigen Wertverlust infolge negativer Realzinsen.Dabei ist die deutsche Wirtschaft in einer glänzenden Verfassung. Vieles spricht derzeit dafür, dass sich der Wachstumstrend der letzten Jahre fortsetzen wird. Neben der traditionell wichtigen Säule des Exports ruht der wirtschaftliche Aufschwung mittlerweile auch auf einer robusten Binnennachfrage. Davon profitieren unsere Unternehmen. Sie sind krisenfest aufgestellt und können aufgrund der guten Qualität ihrer Produkte international hohe Preise durchsetzen. Mit diesen Voraussetzungen, so könnte man meinen, sind deutsche Unternehmen auch für Anleger attraktiv.Die rückläufige Sparquote zeigt, dass die deutschen Anleger die falschen Konsequenzen ziehen. Vor dem Hintergrund einer tiefgreifenden demografischen Veränderung drohen langfristig soziale Verwerfungen. Eine abnehmende private Vorsorge bei gleichzeitiger Erosion des gesetzlichen Umlagesystems wirft die Frage nach der zukünftigen Belastbarkeit unserer Versorgungsstrukturen auf.Hinzu kommt eine volkswirtschaftliche Komponente. Wertpapiere stellen die Versorgung der Wirtschaft mit Kapital sicher. Für die Kapitalstruktur von Unternehmen sind langfristig orientierte Privatanleger ein Stabilitätsfaktor. Gleichzeitig wird in Deutschland bis 2020 ein Investitionsbedarf von rund 15 Mrd. Euro für den Ausbau oder den Erhalt des Straßen- und Schienennetzes erwartet. Auch im Rahmen der Energiewende wächst der Kapitalbedarf. Der Staat wird sich in Zukunft stärker aus seiner Rolle als Finanzier zurückziehen. Folgerichtig muss verstärkt privates Kapital mobilisiert werden.Ein Hindernis, das es dabei zu überwinden gilt, ist die mangelhaft ausgeprägte Wertpapierkultur hierzulande. Eine Investition in erfolgreiche Unternehmen ist längst nicht so selbstverständlich wie in anderen Ländern und hat den Beigeschmack von Spekulation. Vorsorge gilt als Aufgabe des Staates. Das hat man uns jahrzehntelang beigebracht. Marktorientierten Modellen, bei denen die Verantwortung, aber eben auch Wahlfreiheit und Chancen auf den Einzelnen übertragen werden, begegnet man mit Skepsis. Diese Haltung wirft langfristig Probleme auf, denn sie kann das Fundament unseres Wohlstandes gefährden.Dem Aufbau einer Wertpapierkultur in Deutschland kommt damit eine wichtige gesamtgesellschaftliche Bedeutung zu. Die Verbindung von sozialer und volkswirtschaftlicher Dimension bei dem Thema macht es zu einem fast logischen Handlungsfeld für die Deka als Teil der Sparkassen-Finanzgruppe.Wir haben einen öffentlichen Auftrag. Das ist unsere DNA, unterscheidet uns von rein profitorientierten Wettbewerbern, prägt unsere Geschäftsmodelle im Verbund und nicht zuletzt auch unsere Wahrnehmung in der Öffentlichkeit. Kern dieses Auftrages ist die kommunale Daseinsvorsorge und das Ziel, breiten Bevölkerungsschichten einen Zugang zu Finanzprodukten zu schaffen. Diese Aufgabe gilt seit dem 18. Jahrhundert unverändert und ist heute aktueller denn je.Im Mittelpunkt stand ursprünglich der Gedanke, auch ärmere Bürger in die Lage zu versetzen, Rücklagen zu bilden. Heute gelten andere Parameter. Neben den klassischen Passivanlagen steht ein breites Spektrum an kapitalmarktbasierten Instrumenten zur Verfügung. Zur Idee der Rücklagenbildung ist die Möglichkeit der Beteiligung am Erfolg von Unternehmen und Volkswirtschaften getreten. Die erweiterte Vielzahl von Anlagemöglichkeiten erfordert heute eine Institution, die Orientierung im Sinne des Sparers oder Anlegers gibt.Auch diese Anforderung lässt eine Positionierung der Sparkassen bei der Entwicklung einer Aktien- und Wertpapierkultur sinnvoll erscheinen. Aber was sind die Voraussetzungen, damit eine solche Wertpapierkultur entstehen kann? Verschiedene Perspektiven sind zu berücksichtigen: die regulatorische, die der Kunden und die der Berater in den Sparkassen. Maßgebliche StellschraubenAls Reaktion auf die Finanzkrise haben die Gesetzgeber eine umfassende Regulierungswelle gestartet. Neben Vorschriften auf Ebene der Bankensteuerung sollte auch der Verbraucherschutz massiv verstärkt werden. Das ist grundsätzlich sinnvoll und zu begrüßen, denn eine transparente und verantwortungsvolle Beratung braucht sinnvolle Regeln, die dem Anleger einen Mehrwert bieten und Vertrauen schaffen. Was die Berater in den Sparkassen aber heute erleben, passt nicht zu dieser Zielsetzung.Der bürokratische Aufwand ist mittlerweile so hoch, dass Berater verunsichert und Kunden verärgert sind. Damit wächst die Gefahr, dass einzelne Institute sich aus der flächendeckenden Beratung zurückziehen. Der Kunde wird so zwangsläufig zum Selbstentscheider – mit allen Konsequenzen. Der Fall Prokon hat gezeigt, wie diese aussehen können. Die Regelungen des Verbraucherschutzes sollten deshalb nicht nach ihrem Zweck, sondern nach ihren Auswirkungen beurteilt und laufend dahingehend überprüft werden, ob sie ihr Ziel erreicht haben.Mit Blick auf die Kundenperspektive wird ein weiterer Nachteil einer überbordenden Regulierung deutlich. Sparer fühlen sich heute nicht ausreichend über Wertpapiere informiert und scheuen eine Auseinandersetzung mit diesem Thema. Ein Verbraucherschutz, der suggeriert, er könne alle Risiken ausschalten, entmündigt den Anleger, denn er nimmt ihm die Eigenverantwortung für sein Handeln ab. Viele Maßnahmen, wie die zuletzt diskutierte Ampel für Anlageprodukte, unterstreichen die Risiken einer Anlage, geben aber keinerlei Hilfestellung, wenn es um Chancen bzw. die richtige Vermögensstruktur geht. Sie verschärfen die Situation noch, wenn sie Anbieter aus der Beratung verdrängen.Grundlegende Abhilfe schafft hier nur eine deutlich verbesserte ökonomische Bildung. Denn nur ein informierter Kunde wird in der Lage sein, mit seinem Berater auf Augenhöhe zu sprechen. Wir haben in diesem Bereich hierzulande Nachholbedarf. Deshalb gehört das Thema Finanzbildung in die Lehrpläne unserer Kinder.Für die Berater in den Sparkassen ist die Arbeit herausfordernder geworden. Verunsicherte Kunden, eine verschärfte Regulierung und immer komplexer werdende Märkte haben die Aufgabe in den vergangenen Jahren deutlich erschwert. Aber die Sparkassen haben mit dem Sparkassen-Finanzkonzept den richtigen Grundstein gelegt und ihn durch die Umsetzung des neuen Investment- und Beratungsprozesses abgerundet. Sie haben einen Beratungsansatz implementiert, der die Anforderungen der Kunden in den Mittelpunkt stellt, ohne auf einzelne Produkte zu fokussieren.Die drei Perspektiven sind maßgebliche Stellschrauben beim Aufbau einer Wertpapierkultur in Deutschland. Die Sparkassen und ihre Verbundpartner sind aus ihrer gesellschaftspolitischen Aufgabe sowie aus dem ihnen entgegengebrachten Vertrauen heraus natürliche Paten für dieses Projekt. Die Förderung der Wertpapierkultur passt zu uns wie zu keiner anderen Institutsgruppe.—Von Michael Rüdiger Vorstandsvorsitzender der DekaBank