GASTBEITRAG

Die Wiederauferstehung der internen Modelle

Börsen-Zeitung, 13.3.2018 Im Zuge der Aufarbeitung der letzten Finanzkrise sind insbesondere auch die sogenannten internen Modelle, die Banken seit vielen Jahren für die Messung ihrer Handels- und Kreditrisiken sowie teilweise auch für deren...

Die Wiederauferstehung der internen Modelle

Im Zuge der Aufarbeitung der letzten Finanzkrise sind insbesondere auch die sogenannten internen Modelle, die Banken seit vielen Jahren für die Messung ihrer Handels- und Kreditrisiken sowie teilweise auch für deren aufsichtsrechtliche Kapitalunterlegung verwenden, stark in die Kritik geraten. Das Misstrauen von Öffentlichkeit und Bankenaufsicht wurde dabei vor allem dadurch geschürt, dass viele Modelle für gleiche Portfolien scheinbar kaum vergleichbare Ergebnisse lieferten, wie zahlreiche Studien gezeigt haben. Es ist bemerkenswert, dass als Reaktion hierauf der Baseler Ausschuss für Bankenaufsicht (BCBS), dessen Ziel eine international harmonisierte Bankaufsicht ist, und die europäische Bankenaufsicht, vertreten durch die European Banking Authority (EBA) und die Europäische Zentralbank (EZB), zunächst unterschiedliche Wege beschritten haben: Während der BCBS anfänglich auf interne Modelle für Zwecke der Kapitalunterlegung weitgehend verzichten wollte, verfolgten die europäischen Instanzen das Ziel, deutlich detaillierter als bisher Vorgaben zu Modelldesign und Validierung sowie zur Implementierung und praktischen Handhabung zu machen, um so die Freiheitsgrade bei der Modellierung und Anwendung signifikant zu reduzieren. Mit seinem im Dezember 2017 vorgelegten Papier “Basel III: Finalising post-crisis reforms” ist der BCBS allerdings dann weitgehend auf die europäische Linie einer grundsätzlich fortgesetzten Anerkennung interner Modelle eingeschwenkt. Dies erfolgte jedoch aus Bankensicht zu dem Preis, dass über die Vorgabe eines am Standardmodell orientierten Floor auf die Modellergebnisse deren bisherige Attraktivität zumindest für einige Portfolien deutlich abnehmen wird. Gleichwohl ist es durchaus eine Erfolgsstory, dass es den Banken gelungen ist, ihre internen Modelle trotz der heftigen Kritik auch zukünftig im Regelwerk der internationalen Bankenregulierung fest zu verankern.Ein näherer Blick auf das für Europa geltende Regelwerk, welches die Kommission über die EBA auf den Weg gebracht hat und dessen Einhaltung von der EZB überwacht wird, hat zwischenzeitlich allerdings bei vielen Risikoexperten die Frage aufgeworfen, ob es sich bei diesem Erfolg der internen Modelle nicht eher um einen Pyrrhussieg handelt. Denn die von der EBA vorgeschlagenen Standards und Leitlinien sind zwar einerseits bis ins kleinste Detail ausformuliert, werfen aber andererseits wiederum aufgrund verbleibender Unschärfen neue Fragen bei der Umsetzung auf. Erschwerend kommt hinzu, dass die von der EZB beaufsichtigten Banken im Rahmen der TRIM-Prüfungen bereits heute mit Anforderungen an interne Modelle konfrontiert werden, die erst ab 2021 gelten sollen. Es ist heute schon erkennbar, dass nahezu alle heute bei Banken eingesetzten Modelle in den nächsten Jahren mehr oder weniger umfangreich angepasst werden müssen.In diesem Szenario verdienen die sogenannten Poolmodelle, die bisher vor allem von deutschen Banken genutzt werden, eine besondere Betrachtung: Dabei handelt es sich um interne Modelle, die auf Basis von Datenpools entwickelt wurden, um von mehreren Anwendern einheitlich genutzt werden zu können. Eine Verwendung von Poolmodellen hat den Charme, dass sich über eine einheitliche Modellentwicklung und -validierung für die beteiligten Banken grundsätzlich erhebliche Skaleneffekte erzielen lassen, sofern sich die Umsetzung der aufsichtsrechtlichen Anforderungen auf der Ebene des Poolbetreibers sinnvoll bündeln lässt. Konkret bedeutet dies, dass Poolmodelle nicht nur bezogen auf den gemeinsamen Entwicklungs- und Validierungsdatenpool eine gute Modellperformance zeigen müssen, sondern auch für jede einzelne Bank. Damit dies gelingen kann, müssen vor allem vier Voraussetzungen erfüllt sein:1. Sicherstellung einer hinreichenden DatenqualitätStatistisch geprägte Modelle sind stets nur so gut wie die Qualität der für die Entwicklung herangezogenen Daten. Im Kontext der Poolmodelle besteht die besondere Herausforderung, einerseits auf viele heterogene Datenlieferanten für die Modellentwicklung zurückzugreifen, andererseits dabei aber auch gleichzeitig auf eine hohe Datenqualität zu achten. Um dies gewährleisten zu können, hat sich in der Praxis bewährt, durch den Poolbetreiber bei den teilnehmenden Banken eine Poolgovernance zu etablieren, um so eine möglichst homogene und sachgerechte Anwendung sicherzustellen. Eine solche Governance umfasst neben automatisierten Plausibilitätsprüfungen bei der Eingabe vor allem die Vorgabe verbindlicher Leitlinien für die Ratingdurchführung. Daneben hat der Poolbetreiber retrospektiv Analysen durchzuführen, um solche Daten, die festgelegte Mindeststandards nicht erfüllen, aus den Entwicklungs- und Validierungsdatensätzen zu selektieren. 2. Durchführung institutsindividueller ValidierungsanalysenSowohl über die Vorgaben der EBA als auch in der Prüfungspraxis von EZB und nationalen Aufsehern kommt es beim Einsatz von Poolmodellen entscheidend auf die individuelle Eignung des Modells für die jeweilige Bank an. Hierzu muss der Nachweis erbracht werden, dass das Poolmodell die tatsächlichen Verhältnisse der Bank hinsichtlich der relevanten Geschäfts- und Risikomerkmale repräsentativ abbildet. Dieser Nachweis ist vor der erstmaligen Anwendung eines Poolmodells sowie fortlaufend durch regelmäßige Modellvalidierungen zu erbringen. Kohärente ValidierungFür den Poolbetreiber bedeutet dies, dass er für die teilnehmenden Banken auf der Ebene des Datenpools und auf der Ebene der einzelnen Bank ein kohärentes Validierungskonzept vorhalten muss, auf dessen Basis die jährlichen Validierungen durchgeführt werden können. Über eine entsprechend skalierbare Validierungsinfrastruktur kann dies trotz der Individualisierung zu sehr geringen Grenzkosten sichergestellt werden. 3. Schaffung von Möglichkeiten zur Einflussnahme auf das PoolmodellDie Durchführung individualisierter Validierungsanalysen wirft zwangsläufig die Frage auf, welchen Einfluss eine einzelne Bank auf das Poolmodell nehmen kann. Denn spätestens dann, wenn sich bei der Validierung negative Auffälligkeiten zeigen, etwa eine deutliche Verschlechterung in der Modelltrennschärfe oder eine signifikante Unterschätzung der Kreditnehmerausfälle, ist eine Modellanpassung erforderlich. Der Poolbetreiber hat hierzu eine für alle Nutzer transparente und offene Model-Change-Policy zu etablieren, die für jede Bank eine faire Kosten-Nutzen-Abwägung erlaubt und die den aufsichtsrechtlich geforderten Model-Change-Prozess optimal unterstützt.4. Etablierung eines poolübergreifenden MoC-KonzeptsAuch in einem professionellen Risikomanagement lässt es sich nicht vollständig vermeiden, dass Modelle in Grenzbereichen fehlerhafte Impulse geben. Der europäische Aufseher fordert daher eine systematische und fortlaufende Identifikation und Bewertung möglicher Modellschwächen in den Kategorien “Datenqualität”, “Prozesse” und “Schätzfehler”. Die Ergebnisse dieser Bewertung sind zu bündeln und als Zuschlag auf die Modellschätzung der Ausfallwahrscheinlichkeiten als sog. “Margin of Conservatism (MoC)” zu berücksichtigen.Für Poolmodelle bedeutet dies, dass auf Basis eines pooleinheitlichen MoC-Konzepts sowohl Bestimmungsfaktoren auf Poolebene als auch auf Bankebene mit in die Festlegung dieser bankindividuellen Sicherheitsmarge einfließen. Zusammenfassend ist die fortgesetzte Möglichkeit, interne Modelle im Rahmen der Kapitalunterlegung zu verwenden, positiv zu werten. Diese Entwicklung steht im Einklang mit dem allgemeinen Trend zur fortschreitenden Modellorientierung und Digitalisierung der Geschäftsmodelle. Insbesondere Banken werden zukünftig nur dann überlebensfähig sein, wenn es ihnen gelingt, ihre Geschäftsprozesse in diesem Sinne konsequent umzubauen bzw. zu modularisieren. Mit Blick auf den Ratingprozess stellen Poolmodelle eine Möglichkeit zum Outsourcing dar, was diesen Transformationsprozess trotz deutlich gestiegener aufsichtsrechtlicher Anforderungen kosteneffizient unterstützen kann.—-Christoph Müller-MasiáGeschäftsführer der CredaRate Solutions GmbH, Köln