Digitale Herausforderung und analoge Realität

Wenn analoge und digitale Vertriebsmodelle zusammenwachsen

Digitale Herausforderung und analoge Realität

Carsten DauPartner bei Osborne ClarkeWährend Amazon und Zalando eigene Läden in deutschen Innenstädten eröffnen, wird der stationäre Einzelhandel immer digitaler. Mit Multi-Channel-Vertrieb und Click-&-Collect-Modellen besinnt sich der stationäre Einzelhandel auf seine Stärke: die räumliche Nähe zum Kunden. Zugleich testen neue Marktteilnehmer wie Tesla oder Borgward weitgehend digitale Vertriebsmodelle, die selbst für Automobile mit kleinen Showrooms in Innenstadtlagen auskommen und den eigentlichen Vertrieb an die Kunden über das Internet abwickeln. Das Zusammenwachsen analoger und digitaler Vertriebsmodelle ist eine, auch rechtliche, Herausforderung für die Hersteller und ihre stationären Vertriebspartner, aber auch eine Chance im Kampf um den Kunden.Bevor das Internet sich als eigener Verkaufskanal etabliert hat, waren Markenhersteller für den Vertrieb ihrer Ware in erster Linie auf ihre Vertriebspartner im stationären Groß- und Einzelhandel angewiesen. Ein guter Zugang zu möglichst flächendeckend präsenten Handelsorganisationen war, je nach Produkt und Zielgruppe, für die Markterschließung von maßgeblicher Bedeutung. Diese Bedeutung des stationären Groß- und Einzelhandels nimmt für die Markenhersteller so stark ab, wie der Vertrieb über das Internet an Bedeutung gewinnt. Hinzu kommt in einigen Branchen die zunehmende vertikale Integration der Markenhersteller, etwa im Bereich Mode.Viele Markenhersteller sahen den reinen Online-Handel lange als unkontrollierten und somit unerwünschten “Discount”-Vertriebskanal an. Mittlerweile setzt sich jedoch die Erkenntnis durch, dass mit der zunehmenden Konvergenz analoger und digitaler Vertriebsmodelle die Wettbewerbsposition gegenüber reinen Online-Händlern deutlich gestärkt werden kann. Neben Technologien wie Beacons oder dem Tracking des Kunden auf der Fläche mit Hilfe von WLAN werden bereits “smarte” Preisauszeichnungen an den Regalen getestet. Diese können immer häufiger anhand unterschiedlichster Merkmale des potenziellen Kunden “individualisierte” Preise bestimmen. Dem klassischen Einzelhandel stehen für die Ausgestaltung seiner Angebote nicht unbedingt weniger Daten zur Verfügung als den großen Online-Händlern. Schließlich gibt es, neben der teilweise jahrzehntelang gepflegten Kundendatei oder Daten aus Kundenclubs und Kundenkarten wie Payback, auch kommerzielle Angebote von Datenanbietern. Diese können dem klassischen Einzelhandel dabei helfen, seinen Rückstand im Bereich Datenauswertung und -analyse zu den großen Online-Händlern zu verringern.Entscheidend für den stationären Einzelhandel ist, den Kunden einen Mehrwert zu bieten, der – angesichts von Skaleneffekten unvermeidliche und unüberbrückbare – Preisunterschiede zu reinen Online-Händlern aufwiegt. Hierzu gehören etwa digitale Ankleidekabinen mit Kamerasystemen und “digitaler” Farbauswahl, die Echtzeitinformation mit entsprechender Auskunft über die Verfügbarkeit von Produkten, aber auch die Möglichkeit, im Laden gekaufte Ware direkt nach Hause liefern zu lassen. Ein weiterer Mehrwert wäre, wenn Kunden direkt aus dem Showroom des Markenherstellers beim lokalen Händler ihres Vertrauens einkaufen könnten, einschließlich der Lieferung frei Haus oder einer Abholung zu einem bestimmten Termin.In rechtlicher Hinsicht setzt die Entwicklung und Umsetzung eines erfolgreichen “konvergenten” Vertriebsmodells voraus, dass die bestehende Partnerschaft von Markenherstellern und markengebundenem Handel gestärkt wird. Der Weg hierzu führt in erster Linie über selektive Vertriebssysteme, die Schlupflöcher für Systemaußenseiter und insbesondere den unkontrollierten Vertrieb über Online-Plattformen wie Ebay oder Amazon Marketplace schließen. Welche Spielräume der Europäische Gerichtshof (EuGH) den Markenherstellern zugesteht, wird sich in der für den 6. Dezember 2017 angekündigten Entscheidung in Sachen Coty gegen die Parfümerie Akzente zeigen (Az. C-230/16). Der Generalanwalt vertritt jedenfalls die Auffassung, dass Marktplatzverbote grundsätzlich zulässig seien. Sollten die Richter diese Auffassung bestätigen und der Bundesgerichtshof im Ausgangsverfahren nicht zu einem abweichenden Ergebnis kommen, hätten Markenhersteller und markengebundener Handel für die kommenden Jahre Planungssicherheit. Sie würden nicht mehr Gefahr laufen, dass entsprechende Plattformverbote in selektiven Vertriebssystemen vom Bundeskartellamt oder vor den Instanzgerichten für unwirksam gehalten würden. Eine weitere Herausforderung für die Markenhersteller liegt jedoch darin, wie sie den Informationsaustausch für Planungs- und Steuerungszwecke mit ihren Vertriebspartnern kartellrechtlich sauber gestalten. Dies gilt insbesondere dann, wenn selektive Vertriebssysteme mehrstufig aufgebaut sind und der Markenhersteller sowohl auf der Großhandels- als auch auf der Einzelhandelsstufe im Wettbewerb steht. Ohne eine klare Abgrenzung von Informationsströmen und die Einrichtung von sogenannten Chinese Walls innerhalb der jeweiligen Unternehmen drohen kartellrechtliche Konsequenzen.Schließlich folgen aus dieser Konvergenz auch datenschutzrechtliche Herausforderungen, die insbesondere für den markengebundenen Handel teilweise vollkommen neu sind.Für die Markenhersteller und den stationären Handel bietet der technologische Fortschritt somit ungeahnte Möglichkeiten – für die großen Online-Händler allerdings auch. Je digitaler der stationäre Handel wird, umso stationärer wird auch der Online-Handel werden. Insofern bietet der Kauf von Whole Foods durch Amazon einen ersten Vorgeschmack auf die Entwicklung der kommenden Jahre.