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Digitaler Euro: Am Bargeld orientieren!

Börsen-Zeitung, 24.10.2020 Beim digitalen Euro steckt der Teufel im Detail. Von allen offenen Fragen ist die wichtigste, wie das digitale Zentralbankgeld der Europäischen Zentralbank (EZB) verzinst werden soll. Während EZB-Direktoriumsmitglied Fabio...

Digitaler Euro: Am Bargeld orientieren!

Beim digitalen Euro steckt der Teufel im Detail. Von allen offenen Fragen ist die wichtigste, wie das digitale Zentralbankgeld der Europäischen Zentralbank (EZB) verzinst werden soll. Während EZB-Direktoriumsmitglied Fabio Panetta mit einer variablen, möglicherweise sehr negativen Verzinsung eine neue Form des Geldes schaffen würde, plädiere ich für eine Ausrichtung an den Eigenschaften des zinslosen Bargeldes.Mit einem digitalen Euro will die EZB ermöglichen, dass Bürger und Unternehmen Konten nicht nur bei Geschäftsbanken, sondern auch direkt bei ihr unterhalten dürfen. Zentralbankgeld stünde den Bürgern dann nicht nur als Bargeld, sondern auch als Guthaben bei der EZB zur Verfügung. Nur als ZahlungsmittelMit Blick auf die vielen offenen Fragen rund um den digitalen Euro erweckt die EZB den Eindruck, als sei noch nichts entschieden. Aber kürzlich stellte sich Panetta hinter einen früheren Vorschlag des EZB-Generaldirektors Ulrich Bindseil, der konkret wird.Um den digitalen Euro auf die Rolle eines Zahlungsmittels zu beschränken und ihn für die Geldanlage unattraktiv zu machen, schlagen Bindseil und Panetta ein zweistufiges Modell vor. Bis zu einem Betrag von 3 000 Euro je Bürger, der in etwa dem gegenwärtigen Bargeldbestand je Kopf entspricht, wollen sie den digitalen Euro auf den zu schaffenden Zentralbankkonten der Bürger mit einem Satz verzinsen, wie ihn die Banken für ihre EZB-Guthaben bekommen. Allerdings soll der digitale Euro anders als die Zentralbankguthaben der Banken nicht negativ verzinst werden. Für Beträge über 3 000 Euro empfehlen sie einen Strafzins, um die Verwendung des digitalen Euro als Finanzanlage unattraktiv zu machen. Der Zins soll 50 Basispunkte unter dem jeweiligen EZB-Einlagensatz liegen, aber niemals positiv sein. Gegenwärtig läge er bei – 1 % pro Jahr.Mit einem Strafzins für digitales Zentralbankgeld über 3 000 Euro wollen Bindseil und Panetta verhindern, dass Bürger ihre Bankguthaben in großem Stil in digitales Zentralbankgeld umwandeln. Denn in diesem Fall müssten die Banken Zentralbankgeld in gleicher Höhe auf die Zentralbankkonten der Bürger überweisen. Den Banken könnte das Zentralbankgeld ausgehen, das sie brauchen, um neue Kredite an die Realwirtschaft auszuzahlen. Selbst wenn die EZB die Finanzierungslücke der Banken durch Kredite schließen würde, könnten bei den Banken die dafür notwendigen Sicherheiten knapp werden. Im Ergebnis wäre die Rolle der Banken als Vermittler zwischen Sparern und Kreditnehmern gefährdet (“Disintermediation”).Dies gilt erst recht für Finanzkrisen, in denen solche Umschichtungen Züge eines digitalen Bank-Runs annehmen könnten, wobei in solch außergewöhnlichen Stressphasen Instrumente wie betragsmäßige Beschränkungen wirksamer sein dürften als Strafzinsen.Indem Bindseil und Panetta das Problem der Disintermediation mit einem variablen Strafzins lösen möchten, schaffen sie ein neues Problem: die Möglichkeit, dass die EZB am Markt deutlich tiefere Negativzinsen durchsetzt als heute. Noch können Banken und Anleger solch tiefen negativen Zinsen dadurch ausweichen, dass sie sich ihre Guthaben in zinslosem Bargeld auszahlen lassen. Bargeld begrenzt die Fähigkeit der EZB, Strafzinsen durchzusetzen, die höher sind als die Lagerkosten des Bargeldes. Aber irgendwann könnte der Gebrauch des Bargeldes so sehr zurückgehen, dass es faktisch nicht mehr als alternative Anlageform verfügbar wäre. Wenn die EZB dann den digitalen Euro mit einem deutlich negativen Zins versähe, könnte sie anders als beim zinslosen Bargeld in der ganzen Wirtschaft tief negative Zinsen durchsetzen und eine noch aggressivere Geldpolitik fahren – mit all den Problemen wie dem Entstehen gefährlicher Blasen an den Finanz- und Immobilienmärkten.Statt einen digitalen Euro mit ganz neuen, riskanten Eigenschaften zu schaffen, sollte sich die EZB an den Eigenschaften des Bargeldes ausrichten. Nur so kann sie die bewährte Arbeitsteilung zwischen staatlichem Zentralbankgeld und den ebenfalls als Geld genutzten Sichteinlagen der Geschäftsbanken bewahren, die das marktwirtschaftliche Element im ansonsten staatlich geprägten Geldsystem darstellen.Orientierte sich die EZB am zinslosen Bargeld, gäbe es für digitales Zentralbankgeld, das der Abwicklung von Zahlungen dient, ebenfalls keine Zinsen – weder positive noch negative. Darüber hinausgehende große Bargeldmengen werden jedoch bereits heute faktisch negativ verzinst. Schließlich fallen bei der Lagerung Kosten etwa für die Anmietung von Tresoren und die Versicherung an, die sich derzeit im Bereich zwischen 0,5 % und 0,75 % bewegen dürften. So hat die Schweizerische Zentralbank ihren Leitzins nicht unter – 0,75 % gesenkt, weil sie ein Ausweichen auf Bargeld befürchtete. Daher sollte ein am Bargeld orientierter digitaler Euro, der der Geldanlage dient, mit einem entsprechenden festen Satz negativ verzinst werden. Risiko für die FinanzstabilitätSowohl im Bindseil-Panetta-Modell als auch im Bargeldmodell gäbe es finanzielle Strafen für das Halten großer Mengen an digitalen Euro. Aber anders als bei Bindseil und Panetta wäre ein an den Lager- und Versicherungskosten orientierter Zins faktisch fix und hinge nicht am Einlagensatz der EZB, die ihn weitgehend beliebig in den negativen Bereich senken könnte. Mit einem am Bargeld orientierten digitalen Euro könnte die EZB die Marktzinsen nicht tief in den negativen Bereich drücken. Das wird den Anhängern einer Politik des lockeren Geldes missfallen, ist aber wichtig, um dem Entstehen gefährlicher Blasen an den Finanz- und Immobilienmärkten nicht noch mehr Vorschub zu leisten. Dr. Jörg Krämer ist Chefvolkswirt der Commerzbank. In dieser Rubrik veröffentlichen wir Kommentare von führenden Vertretern aus der Wirtschafts- und Finanzwelt, aus Politik und Wissenschaft.——-Von Jörg KrämerBeim digitalen Euro als Zahlungsmittel sollte es wie beim Bargeld keine Verzinsung geben. Ein Gegenentwurf zum Bindseil-Panetta-Modell der EZB.——