Peter Rathgeb, Heiko Nix und Andreas Windmeier

Digitales Geld für eine Revolution

Jeder redet über digitales Geld, kaum jemand nutzt es. Siemens und J.P. Morgan packen nun Zahlungsprozesse via Blockchain an, um das Treasury zu vereinfachen.

Digitales Geld für eine Revolution

Von Michael Flämig, München

Siemens und J.P. Morgan entwickeln die gemeinsam gestalteten Payment-Prozesse via Blockchain und programmierbares Geld zügig weiter. „Wir wollen die darauf basierende Infrastruktur relativ schnell bereitstellen“, erklärt Heiko Nix, der die Siemens-Abteilung Cash Management and Payments führt, im Gespräch mit der Börsen-Zeitung. J.-P.-Morgan-Manager An­dreas Windmeier registriert ein großes Interesse an dem Ansatz, den Zahlungsverkehr auf eine neue Technologieplattform zu heben. „Wir können Treasury-Funktionen automatisieren“, lautet die Erwartung des Leiters des J.-P.-Morgan-Payment-Geschäfts in der Region Europa (EEA und Schweiz). Die Technologie könne unter Umständen sogar die Art und Weise revolutionieren, wie der Siemens-Konzern seine Produkte in den Markt bringe, sagt wiederum Siemens-Treasurer Peter Rathgeb.

J.P. Morgan und Siemens bewegen bereits Dollar-Transaktionen per Blockchain-Technologie zwischen Siemens-Konten (vgl. BZ vom 22.12.2021). Aktuell dienen lediglich Kontostände als Auslöser für zuvor programmierte Abläufe. Beispielsweise wird ein Konto wieder gefüllt, wenn ein vorab definierter Geldbetrag unterschritten wird.

Natürlich könne man dies auch mit traditioneller Technologie über einen Cash-Pool organisieren, räumt J.-P.-Morgan-Manager Windmeier ein. Der Blockchain-Ansatz eröffne aber revolutionäre Möglichkeiten bei späteren Anwendungen. Vorher müsse man sich gut vorbereiten, betont Siemens-Treasurer Rathgeb: „Denn wir greifen in den Cash-Kreislauf von Siemens ein.“ Der Umbau des Zahlungsverkehrs erfordere Gespür und Augenmaß, um Risiken zu senken. Der aktuelle Cash-Pool-Anwendungsfall zeige, ob das System funktioniere und stabil sei, sagt Siemens-Manager Nix. In einem nächsten Schritt eröffnen die Partner im April oder Mai gemeinsam Coin-Accounts in den drei Zeitzonen Amerika, Mitteleuropa und Asien. So werde ein dollarbasierter Korridor eröffnet, in dem 24 Stunden am Tag und sieben Tage die Woche Geldbestände ausgetauscht werden könnten. Der notwendige Dollar-Cash-Bestand könne so zu jedem Zeitpunkt an jedem ge­wünschten Ort bereitgestellt werden. Die gesamte dafür notwendige Infrastruktur solle bis Ende September einsatzfähig sein. Im darauffolgenden Siemens-Geschäftsjahr sei geplant, zusätzlich einen Euro-Korridor zu schaffen.

Nutzung löst Zahlung aus

Siemens will mit der neuen Technologie das Problem lösen, dass in digitalen Geschäftsmodellen teils nicht mehr für den Kauf, sondern nur bei Gebrauch eines Produkts gezahlt werden wird. „Wir schreiben dann zukünftig in einigen Geschäften vielleicht gar keine Rechnungen mehr“, skizziert Nix den Ansatz: „Vielmehr löst die Nutzung des jeweiligen Siemens-Produktes die Zahlung aus.“

Im heutigen System sei dies nicht effizient darstellbar, insbesondere wenn sich in der Folge die Zahl der Transaktionen vervielfache. „Wir müssen daher stärker automatisieren“, betont Nix. J.P. Morgan hält derartige Trigger ebenfalls für vorteilhaft, auch um potenzielle Fehlerquellen auf der Kundenseite zu minimieren, betont Windmeier.

Die Kooperation mit J.P. Morgan bietet Nix zufolge Lösungen in drei wesentlichen Punkten. Erstens könne man mit Coins jederzeit Zahlungen anstoßen, zeitliche Einschränkungen gebe es nicht mehr. Für die automatisierte Bezahlung von Maschine zu Maschine seien auch Micropayments mit Bruchteilen von Centbeträgen möglich, und zwar direkt zwischen Unternehmen statt über die Bankeninfrastruktur. Zweitens werde mit programmierbarem Geld die Zahlung automatisiert, weil ein vorher definiertes Ereignis als Auslöser diene. So könnte etwa auch ein Text einer eingehenden Zahlung eine vorher definierte Steuerzahlung auslösen oder ein Elektrofahrzeug eine automatische Zahlung an die Ladestation veranlassen.

Ein weiterer Baustein ermögliche drittens Echtzeitkommunikation mit der Bank über definierte Schnittstellen (API), sagt Nix: „Das ist ganz wichtig für uns.“ Damit könnten die Daten und Prozesse, die die Bank in ihrer eigenen IT-Welt habe, bei Siemens nahtlos integriert werden: „Es existiert also eine funktionale Cloud.“ Siemens könne dann selbständig Trigger im IT-System von J.P. Morgan definieren: „Die Bank entwickelt sich zusätzlich auch in Richtung Plattform-Provider, das ist ein Riesenschritt.“ Die Echtzeitkommunikation habe mit Instrumenten wie Sepa Instant Payments nicht umfassend bereitgestellt werden können, sagt Windmeier. Sein Szenario: „Wir wollen den Kunden die Informationen zum gleichen Zeitpunkt bieten, wie wir sie als Banken haben.“

Die Ausgaben für die Implementierung der Technologie bewegten sich im normalen Budgetrahmen, erklärt Nix. Rathgeb sieht zwar Investitionen in gewisser Höhe. Aber Siemens werde dafür bei der erwarteten stark zunehmenden Zahl von Zahlungen einen Anstieg der Kosten vermeiden.

Wie sieht die ferne Zukunft aus? „Zukünftig könnte eine Zahlungsfunktion ein Teil eines jeden Siemens-Produktes sein“, lautet die Vermutung von Rathgeb. Zahlungen könnten dann direkt von Wallet zu Wallet geschickt werden, also von einem Tool für Online-Zahlungen direkt zum nächsten: „Dies ist nur mit dieser Technologie möglich.“

Weil der Ansatz eine Integration von Systemen des Unternehmens und der Bank verlange, müsse man sich auf Bankpartner konzentrieren, die diese Fähigkeiten hätten und technologisch führend seien, so Nix: „Wir hoffen, dass J.P. Morgan erst der Anfang ist und wir weitere Partner finden, die wir integrieren können.“ Windmeier sieht seine Bank nicht zufällig als Vorreiter, denn sie investiere 11 Mrd. Dollar jährlich in die IT. Das Bestreben sei aber, dass die Technologie mittel- bis langfristig multibankenfähig werde: „Wir bei J.P. Morgan werden den Zahlungsverkehr in gewisser Form mit revolutionieren, letztlich werden sich aber viele Banken beteiligen müssen.“

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