Digitalisierung geht mit radikalem Umdenken einher
Eine der größten Herausforderungen der Wirtschaft dieser Tage ist die fortschreitende Digitalisierung von Dienstleistungen. Traditionelle Geschäftsmodelle werden zunehmend von innovativen Start-ups aus dem IT-Sektor in Frage gestellt. Für die Finanzbranche bedeutet dies ein radikales Umdenken und die damit einhergehende Anpassung selbst klassischer Finanzdienstleistungen.Langfristig wird davon nicht nur die Finanzbranche profitieren, sondern vor allen Dingen die breite Bevölkerung. Denn noch immer haben 2,5 Milliarden Menschen keinen Zugang zu Finanzdienstleistungen – das ist etwas weniger als die Hälfte der erwachsenen Weltbevölkerung. Es kommt diesen Menschen zugute, dass bereits heute keine Bankfiliale vor Ort mehr benötigt wird, um ein Konto zu eröffnen oder Geld zu transferieren, sondern lediglich ein funktionierendes Datennetz. Auch wenn noch längst nicht die ganze Welt vernetzt ist, wird die fortschreitende Digitalisierung das Leben vieler Menschen deutlich leichter machen.Die Verantwortung, Zugang zu digitalen Finanzdienstleistungen auf der ganzen Welt möglich zu machen, liegt jedoch keinesfalls ausschließlich bei der Finanz- oder IT-Branche. Vielmehr ist es die Aufgabe von Regierungen, ein innovatives Klima und regulatorische Voraussetzungen zu schaffen. Zudem ist hier lang-fristiges und vorausschauendes Handeln gefragt, da die aktuellen Entwicklungen vor keiner Branche haltmachen und laufend neue Technologien marktreif werden. Masse an InformationenDer wirtschaftliche Erfolg von Suchmaschinen und sozialen Netzwerken unterstreicht den Wert, den Profile und persönliche Informationen darstellen. Banken verfügen über eine enorme Masse an solchen Informationen, die es zu sichern und sinnvoll zu nutzen gilt. Dies kann nur durch die Automatisierung von Prozessen geschehen, da die schiere Menge an Daten menschliche Kapazitäten übersteigt. Hier stellt sich zudem auch die Frage, inwiefern Finanzplätze im Zusammenspiel aller Dienstleister gemeinsame Lösungen im Ecosystem entwickeln und so Synergien schaffen können – ein Ansatz, welcher in der kompetitiven Finanzwelt bisher wenig Beachtung gefunden hat.Innovationen bergen aber auch Herausforderungen. Seit der Finanzkrise fordern Kunden zudem zu Recht mehr Transparenz. Wenn persönliches Vermögen involviert ist, ist Datensicherheit daher umso wichtiger. Durch seine langjährigen Aktivitäten im Bereich Vermögensverwaltung hat der Finanzplatz Luxemburg die nötige Erfahrung sowie die Infrastrukturen, um verantwortungsvoll mit persönlichen Daten umzugehen.Neben dem wichtigen Thema “Big Data” wird sich die Finanzbranche in Zukunft auch immer mehr mit virtuellen Währungen beschäftigen. Die Luxemburger Finanzaufsicht CSSF war eine der ersten Finanzaufsichten der Welt, die 2014 virtuelle Währungen als Buchgeld anerkannt hat, mit der Betonung darauf, dass solche genauso reguliert werden müssen. Dies bietet eine exzellente Möglichkeit für Start-ups, ihren Geschäftsplan bei unserer Finanzaufsicht zu präsentieren und von einem regulierten Status zu profitieren, was erheblich zur Vertrauensbildung zwischen Finanzakteur und Kunde beiträgt.Auch haben wir in Luxemburg schon früh einen legalen Rahmen für elektronische Zahlungsfirmen definiert. So konnten als Reaktion auf die europäischen Richtlinien über Zahlungsdienste und E-Geld sowohl Zahlungs- als auch E-Geld-Institute am Finanzplatz Luxemburg zugelassen werden. Mit Hilfe des Europäischen Passes können diese Firmen ihre Dienstleistungen in der ganzen EU vertreiben – mit dem Ergebnis, dass sich in den letzten drei Jahren die Zahl dieser Institute in Luxemburg verdreifacht hat.So ist es nicht verwunderlich, dass Luxemburg sich im Bereich des elektronischen Handels schon seit einigen Jahren einen Namen gemacht hat. International tätige Firmen haben ihre europäischen Headquarter in Luxemburg, um von dort aus den europäischen Binnenmarkt zu bedienen. Große deutsche Konzerne haben unseren Standort für die Niederlassungen ihrer Zahlungssysteme gewählt. Ausgereiftes EcosystemEs liegt daher auf der Hand, dass Luxemburg auch im Bereich Fintech seine Position in der Eurozone ausbaut. Die Voraussetzungen dafür sind gegeben: Unser Bankenplatz beheimatet zurzeit 144 Banken und über 1 700 ICT-Firmen.Fintech-Firmen profitieren in Luxemburg von einem ausgereiften Ecosystem eines der führenden Finanzzentren Europas und dem Zugang zum europäischen Binnenmarkt mit über 500 Millionen Konsumenten. Die Erfahrung der Luxemburger Finanzspezialisten in grenzübergreifenden Transaktionen und dem Umgang mit dem regulatorischen Umfeld verschiedener Märkte ist hier von großem Vorteil.Tatsächlich ist Luxemburg mit seinen zahlreichen internationalen Firmen so etwas wie Europa im Kleinen. Start-ups bietet sich ein idealer Markt, ein Projekt in einem geografisch begrenzten Umfeld zu testen und von den Erfahrungen zu lernen, um dann erfolgreich in andere Länder zu expandieren. Im Falle von Fintech-Start-ups stellt Luxemburg als internationaler Finanzplatz sogar einen signifikanten einheimischen Markt dar.Auch im Bereich Infrastruktur bietet das Großherzogtum beste Konditionen. Unsere Datenzentren gehören zu den besten und sichersten in Europa. Zudem liegt Luxemburg inmitten Europas Netzwerk an stärksten Datenleitungen, die das Land an die wichtigsten europäischen Metropolen anschließen. Wir haben diese Situation dazu genutzt, Datenleitungen mit extrem geringer Latenz zu diesen Städten zur Verfügung zu stellen.Das Luxemburger Modell ist so erfolgreich, dass wir nun zum zweiten Mal in Folge im Global Financial Centres Index als wichtigster Finanzplatz der Eurozone rangieren und als einziger europäischer Finanzplatz genannt werden, der in Zukunft global an Bedeutung gewinnen wird. Mehr große VermögenIn der Tat hat Luxemburg das Ende des Bankgeheimnisses erfolgreich als Chance genutzt, neue Geschäftsbereiche zu entwickeln, ohne dass die traditionellen Bereiche der Vermögensverwaltung und der Investmentfonds gelitten haben. Kunden mit einem Vermögen von über 20 Mill. Euro machen heute über 50 % des gesamten im Großherzogtum verwalteten Vermögens aus, während die Anzahl von Kunden mit kleineren Vermögen sinkt. Dieser Trend bestätigt den von uns vorgesehenen Ausbau des Finanzplatzes als Standort für die Vermögensverwaltung global aktiver Kunden. Mobile Kunden mit Geschäft oder Familie in verschiedenen Ländern benötigen Spezialisten, die sich mit internationaler Gesetzgebung auskennen – diesen Ansprüchen gerecht zu werden, gehört zu unserer DNA.Auch im Bereich Investmentfonds konnte die führende Position weiter ausgebaut werden. Mehr als 3,5 Mrd. Euro werden heute in Luxemburger Fonds verwaltet. Damit ist Luxemburg der zweitgrößte Fondsstandort der Welt hinter den USA.Neben den klassischen Geschäftsbereichen hat sich der Finanzplatz außerdem innerhalb kürzester Zeit zum wichtigsten Renminbi-Standort der Eurozone entwickelt. Mit den kontinentalen Hubs der sechs größten chinesischen Banken sind wir zur Plattform von deren Europa-Geschäft geworden. Ähnliches gilt für den Bereich islamische Finanzen, in dem Luxemburg sich zu einem der führenden Zentren Europas entwickelt hat. 2002 wurde hier schon die erste islamische Anleihe (Sukuk) gelistet. 2014 hat das Großherzogtum dann sehr erfolgreich die weltweit erste Scharia-konforme Staatsanleihe in Euro ausgegeben. Der Verantwortung bewusstGerade aufgrund des Erfolges des Luxemburger Modells sind wir uns bewusst, dass wir auch international Verantwortung tragen. Die BEPS-Diskussion (Base Erosion and Profit Shifting) zeigt, dass es höchste Zeit ist, die aus dem früheren Jahrhundert stammenden Regeln zur Besteuerung internationaler Konzerne an die Realitäten des digitalen Zeitalters anzupassen. Luxemburg ist als konstruktiver Verhandlungspartner bemüht, gangbare Lösungen gegen die Aushöhlung der Steuerbasis und die Gewinnverlagerung zu finden. In diesem Sinne werde ich auch die Luxemburger EU-Ratspräsidentschaft, und insbesondere den Vorsitz des ECOFIN-Rates, in der zweiten Hälfte von 2015 dazu nutzen, die Einführung der Direktive über den automatischen Informationsaustausch von Steuer-Rulings, die Diskussionen über eine gemeinsame Körperschaftsteuer-Bemessungsgrundlage in der EU sowie eine weitere Vertiefung der Kapitalmarktunion aktiv voranzutreiben.Dies sind nur einige in einer Reihe von Prioritäten während Luxemburgs Ratspräsidentschaft mit dem Ziel, die europäische Wettbewerbsfähigkeit zu steigern, indem wir sie an einem globalen und transparenten Rahmen ausrichten. Eine Union für die Bürger – das Motto der Luxemburger Ratspräsidentschaft – kann sich nur bewahrheiten, wenn abstrakte Politik auch bei den Bürgern in Form von Wachstum und Beschäftigung ankommt. Dafür werde ich mich persönlich einsetzen.—Pierre Gramegna, Luxemburger Finanzminister