Digitalisierung intelligent vorantreiben

Warum die Finanzindustrie in Baden-Württemberg weiter in die digitale Transformation investieren muss - Großes Potenzial in der Vermögensverwaltung

Digitalisierung intelligent vorantreiben

Mit seinem Finanzplatz Stuttgart hat Baden-Württemberg großes Gewicht, wenn es um den Wandel und die Sicherstellung der Zukunftsfähigkeit der traditionell innovativen Unternehmen in der Region geht. Auch der Finanzsektor selbst befindet sich in der Transformation – das Thema digitale Technik ist mit voller Wucht angekommen. Die Märkte befinden sich im Umbruch, immer neue regulatorische Anforderungen erhöhen zunehmend die Komplexität des Geschäfts. Gebot der StundeOb bei Versicherungen, im Banking oder mit Blick auf den Zahlungsverkehr – die Entwicklung innovativer Finanzlösungen ist das Gebot der Stunde. So treibt die Börse Stuttgart beispielsweise die Schaffung eines globalen Ökosystems für digitale Assets auf Basis der Blockchain-Technologie voran. Daneben investieren abgesehen von Versicherungsgesellschaften insbesondere auch Privatbanken in Digitalisierung, um den sich verändernden Kundenanforderungen gerecht zu werden.Wenn es um die erfolgreiche Umsetzung solcher Digitalisierungsprojekte im Finanzsektor geht, sind vor allem drei Faktoren von großer Bedeutung. Erstens entscheidet die Verortung der Projekte im Unternehmen maßgeblich über ihren Erfolg oder Misserfolg. Denn rein IT-getriebene, auf technischer Ebene getroffene Entscheidungen führen häufig zu einer falschen Schwerpunktsetzung, wodurch in vielen Fällen System- und Strukturfragen im Vordergrund stehen anstatt der Lösung des konkreten Anwendungsfalls.Ähnlich negative Effekte lassen sich im Übrigen immer wieder beobachten, wenn es um den Zukauf von Start-up-Lösungen geht, zumal wenn sie nur auf einen Bereich der täglichen Abwicklung einzahlen. Im Kern sollte es jedoch immer darum gehen, welchen Mehrwert ein Projekt für den Kunden bietet und wie sich Kosteneffizienz und Automatisierungsgrad erhöhen lassen. Die Entscheidungskompetenz sollte daher in die Fachabteilung übertragen werden.Weiter hilft es meiner Wahrnehmung nach, Digitalisierungsprojekte in kleineren Etappen anzulegen und nach jeder dieser Etappen beziehungsweise Sprints die erreichten Ergebnisse zu bewerten und daraus lernend weiter voranzugehen. Dabei gilt es, das Big Picture immer im Blick zu behalten beziehungsweise das große Ziel, auf das hingearbeitet wird, nicht zu vernachlässigen. Ansonsten besteht die Gefahr, dass vorliegende Lücken nur kurzfristig geschlossen werden, statt eine langfristige Weiterentwicklung zu erreichen. Werden Projekte andererseits von Beginn an zu groß und komplex angelegt, besteht die Gefahr, dass sie sich sehr langwierig darstellen, im schlimmsten Fall als “Dauerbaustelle”, mit entsprechenden negativen Auswirkungen auf Kosten und Ressourcen. Es hat sich etwas getanSchließlich hat in den vergangenen Jahren auch die Aufstellung auf technischer Seite stark an Bedeutung gewonnen. Einige Finanzinstitute haben sich in diesem Bereich bereits weiterentwickelt und nutzen eine Cloud, was es ermöglicht, in den Abwicklungen und Prozessen die Geschwindigkeit zu erhöhen und effizienter zu werden, ohne relevante Sicherheitsaspekte zu vernachlässigen. Auf der anderen Seite ist “die Denke” nach wie vor weit verbreitet, dass für sämtliche neue Digitalisierungsprojekte ein Data Warehouse aufgebaut werden muss, obwohl die heutigen Technologien sehr viel weiter sind und dieses nicht benötigen.Auch hat die Corona-Pandemie zutage gefördert, dass viele Banken im Gegensatz zu Industrieunternehmen, die über Zoom, Teams und andere Tools mit externen Partnern kommunizieren konnten, dazu zunächst nicht in der Lage waren, weil der Zugriff auf kundenspezifische Daten in der sogenannten Zone 5 von außerhalb untersagt ist. Das Vorantreiben von Lösungen, die einen solchen Systemzugriff über einen gesicherten Modus mit einer automatischen und ständigen Überprüfbarkeit gewähren, wird sicherlich auch in den kommenden Monaten weiter an Bedeutung gewinnen. Daneben gilt es, den nun beschrittenen Weg, die technischen Voraussetzungen für Remote-Unterstützungen einzurichten, weiter konsequent zu beschreiten.Geht es um den Einstieg in Digitalisierungsprojekte, wird häufig auf ein Management-Informationssystem, Financial Scorecard oder Controlling Tool zurückgegriffen. Erfolgversprechender ist es aus meiner Sicht aber, dort zu beginnen, wo die meiste manuelle Arbeit anfällt, viele Ressourcen zum Einsatz kommen, und dabei zugleich vom Endkunden beziehungsweise Key Account Manager aus zu denken. Studien zeigen beispielsweise, dass Relationship Manager in der Finanzindustrie bis zu 65 % ihrer Arbeitszeit mit Administrationsaufgaben und der Informationsgenerierung verbringen und eben nicht mit der eigentlichen Kundenbetreuung. Es sollte also ganz primär um zufriedene Kunden und mehr Ressourcen für Berater und damit eine erfolgreichere Kundenbetreuung gehen. Beide Seiten profitierenEssenziell hierfür ist die Schaffung von Eco-Systemen, welche die Innenwelt einer Bank mit der Außenwelt verbinden, also strukturierte mit unstrukturierten Daten zusammenbringen. Davon profitieren Berater und Endkunde gleichermaßen, denn sehr viele relevante Informationen liegen außerhalb der Bank, zum Beispiel Daten aus dem Internet, tagesaktuelle Nachrichten, der Anschluss an Ortsanalysesysteme, Bewertungsportale und Beteiligungs- oder Marktinformationen. Bisher werden diese nur zu 5 % genutzt, da sie mit herkömmlichen Analysewerkzeugen nicht ausgewertet werden können. Sie sind jedoch entscheidend für die Identifizierung beziehungsweise Vorwegnahme von Kundenanforderungen und -wünschen und entsprechendes Cross- und Upselling und bergen damit ein großes Verbesserungspotenzial. Veränderte ErwartungshaltungInsbesondere für die in Stuttgart traditionell stark vertretenen Privatbanken und die vermögende Anlegerschaft spielen der Ausbau von Digitalisierung und die Automatisierung von Prozessen eine zentrale Rolle. Denn die Ansprüche der Kunden an Beratung und Reporting sind massiv gestiegen: Die Erwartungshaltung verändert sich etwa dahingehend, dass ihre Portfolien jederzeit digital verfügbar sind und die Betrachtung von Vermögenswerten einschließlich Immobilienbesitz oder anderen Sachwerten über Institutsgrenzen hinaus in Echtzeit möglich ist. Das Stichwort heißt hier konsolidierte Depotanalyse mit ausgewerteten Performance- und Risikokennzahlen – und das in Sekundenschnelle.Der Einsatz von digitalen Plattformen, die mittels Business Intelligence und künstlicher Intelligenz (KI) funktionieren, erlaubt es längst, automatisiert abzuprüfen, ob Investitionsentscheidungen bestimmte Kriterien einer Anlagestrategie erfüllen. Nicht weniger bedeutend ist das Thema Compliance – hier geht es um präzise Aussagen, ob möglicherweise Risiken eintreten, um Verstöße im Regulierungsbereich etwa der Mifid (Markets in Financial Instruments Directive) zu vermeiden.Bei all diesen technologischen Weiterentwicklungen und der Notwendigkeit für technologiegetriebene Prozessänderungen sollte man jedoch nie vergessen, dass diese kein Selbstzweck sind. Nur im Zusammenspiel mit Menschen können sie zu einer positiven Veränderung führen. Die Einführung von Technologielösungen macht erst Sinn, wenn das Ziel klar ist und sichergestellt wurde, dass das Management hinter dem Projekt steht und alle Mitarbeiter “an Bord” sind. Denn solche Digitalisierungsvorhaben müssen von allen auch während der Projektphase und im Live-Betrieb gelebt werden. Der Faktor Mensch steht in diesem Sinne unverändert im Mittelpunkt – werden beispielsweise IT-Mitarbeiter nicht ausreichend für Neues geschult, wächst die Gefahr der Ablehnung, was am Ende ganze Digitalisierungsprojekte blockieren kann. Maschinen nicht überschätzenAuch was die Rolle von KI betrifft, warne ich davor, die Maschine zu überschätzen und den Menschen zu unterschätzen – schließlich entscheiden bei der großen Mehrheit der innovativen Finanzlösungen die Mitarbeiter, was auf Grundlage der aus Daten entwickelten Vorschläge letzten Endes passiert. Nicht zu vergessen, dass alles, was KI aktuell hervorbringt, auf menschlichem Input basiert – stimmt der menschliche Ausgangspunkt nicht, kann KI zumindest heute noch nicht zu einem brillanten Ergebnis kommen. Memo Dener, Chief Executive Officer der axeed AG